Freitag, 7. Dezember 2018


Convention von WALKING WITH GIANTS
Es ist schwierig (vielleicht sogar unmöglich!) jemandem, der nicht „betroffen“ ist, zu erklären was UNS diese Convention bedeutet hat.

Wenn man die Diagnose einer so seltenen Krankheit bekommt….dann fällt man in ein Loch. Man fühlt sich ALLEIN….man fühlt sich UNVERSTANDEN…man hat ANGST.

Angst vor dem Leben das einen erwartet und für das es keine Vorhersagen gibt. Man weiß nicht wie das Leben aussehen wird….man weiß nicht wie schwierig es werden wird….man weiß nicht…wie lange es dauern wird.

NATÜRLICH haben wir Familie und Freunde!! Und sie stehen VOLLKOMMEN hinter uns – ich glaube, wenn es anders wäre hätten wir es bis hierher auch gar nicht geschafft.

ABER……trotz aller Empathie und Liebe die sie für uns empfinden…können sie alle NICHT komplett nachvollziehen wie unser Leben ist und wie es sich anfühlt - einfach weil sie nicht SELBER betroffen sind.

DAS….können eben nur Menschen die unser Schicksal teilen.

Und davon gibt es nicht sehr viele auf der Welt.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Monate nach der Diagnose. An die vielen Tränen die ich vergossen habe…an die Angst vor dem Ungewissen…vor dem UNBEKANNTEN. Mein Herz hat geschrien dass ich eine andere betroffene Mama brauche mit der ich reden kann!!! Die mich VERSTEHT. Der ich nichts ERKLÄREN muss….

Und dann ist Silke in mein Leben gekommen, Gerrits Mama.

Damals….waren wir 3 betroffene Familien in Deutschland - und Silke wohnt nur 20km von mir entfernt. Und hatte dieselbe Physiotherapeutin wie wir. Wie verrückt ist das bitte???

Ich habe geweint….und ich habe Gott gedankt das wir uns finden durften.

Bis heute…ist sie eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Zwar hat Gerrit ganz andere „Probleme“ als Jonathan….aber wir sind durch unser Schicksal verbunden. Ich weiß das sie mich VOLLKOMMEN versteht, an guten und an schlechten Tagen….das ist SO WICHTIG für mich.


Ein Tag der mein Leben NACHHALTIG verändert hat war der Tag als ich von der Organisation WALKING WITH GIANTS in Liverpool erfahren habe.

Für diesen Beitrag hier im Blog…habe ich sehr lange nachgedacht und versucht mich zu erinnern:
„Wie wurde ich überhaupt auf diese Organisation aufmerksam?“
…und zu meiner Schande muss ich gestehen…
ICH KANN MICH NICHT MEHR ERINNERN!!

Vielleicht ein Moment der mein Leben verändert hat. Und ich weiß einfach nicht mehr wie und warum es passiert ist…..

Ich weiß nur, dass ich schon immer gerne Reportagen über Kinder mit seltenen Erkrankungen gesehen habe. Ich habe mich für Genetik interessiert.

Vor circa 10 Jahren also hatte ich einen Beitrag gesehen der mich gefesselt hat wie kaum ein anderer:
„Das kleinste Mädchen der Welt“. Charlotte Garside.
Ein rothaariges, lebensfrohes….und einfach unfassbar kleines Mädchen. So klein das ich nicht glauben konnte das dieser Bericht ECHT ist!!!! Die Bilder…gingen mir wochenlang durch den Kopf und ich musste immer wieder an dieses faszinierende Mädchen denken.
Und an die Eltern. Was durchlebten sie jeden Tag, mit welchen Herausforderungen wurden sie konfrontiert. Ich war einfach…fasziniert.

Wer hätte damals ahnen können….das ich einige Jahre später ein Kind bekommen würde das ebenfalls eine Form von MIKROZEPHALEM PRIMORDIALEM KLEINWUCHS hat???

Wer hätte damals ahnen können…dass ich Charlotte und ihre Eltern in die Arme nehmen und mit ihnen reden würde weil sie mein Schicksal teilen???


Dieser Familie folgten noch andere Familien die ich nur aus dem Fernsehen, oder von YouTube kannte:
Shelly und Nick Smith, sowie Christy und Bri Jordan aus den USA….Tea und Nevio Kresnic aus Kroatien…Robert, Judith und Emma van der Linden aus Holland (die wir bereits im Sommer „in echt“ kennengelernt hatten).
Alle diese Familien hatten –genau wie wir- den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt und zeigten sich. Ließen andere Menschen an ihrem Schicksal und ihrem Leben teilhaben. Gaben so viel Hoffnung und Mut. So viel Kraft.

Die beeindruckensten Menschen für mich aber waren…SUE und JOHN CONNERTY aus Liverpool. Die Gründer der WALKING WITH GIANTS FOUNDATION.
Ich weiß nicht wie viele hunderte Male ich mir einen Bericht über eine Convention mit einem Interview der beiden angesehen habe – und immer und immer wieder geweint habe. Vor Glück diese beiden Menschen „gefunden“ zu haben…..

Sie teilten unser Schicksal, das ist klar…aber es war auch etwas anderes das mich so sehr berührte: die beiden hatten den MUT gehabt sich selber und ihr Kind in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen…und diese Organisation zu gründen! Mit diesem Schritt haben sie HUNDERTEN VON FAMILIEN HOFFNUNG und HILFE gegeben….in unserer Situation unschätzbare Güter.

Niemand von uns muss mehr allein sein oder Angst vor dem Unbekannten haben – wir haben EINANDER.
Niemand von uns muss mehr ohne ärztlichen Rat bleiben – wir haben die besten Ärzte auf dem Gebiet in unseren Reihen und jeder von uns darf sie kontaktieren.
Niemand von uns muss mehr Sorgen um finanzielle Probleme haben die sich mit einem behinderten Kind stellen – die Organisation hilft in persönlichen Krisenmomenten.

Ohne Sue und John….würde es auch UNS heute nicht so gut gehen, weil wir keinen Austausch hätten. Vielleicht hätte ICH meine innere Ruhe nicht gefunden ohne diese vielen Gespräche mit Müttern aus aller Welt.

Dazu kommt noch etwas anderes. Von dem ich nicht weiß wie ich es beschreiben soll…
Wenn ich Sue in Videos anschaute, ihr beim Reden zuhörte, ihren Worten lauschte…dann dachte ich…ich schaue in einen Spiegel. Sie ist wie ICH. Sie wird von denselben Dingen im Leben angetrieben, hat dieselben Gedanken im Kopf und dieselben Ziele….sie ist mein Seelenzwilling.
(In nächtelangen Gesprächen auf der Convention sollten wir beide feststellen dass auch unsere Lebensläufe fast identisch sind. Total verrückt!
Sue sagte in den Tagen in Liverpool sehr oft: „You are my sister from another mister!“ (Du bist meine Schwester von einem anderen Vater). Und so stellte sie mich auch ihren Eltern vor….lach…)



Mit allen diesen Menschen also, die wir nur aus dem Internet kannten, redeten wir seit knapp einem Jahr per Mail oder Facebook – fast täglich. Wir ließen sie in unser Innerstes, teilten alle Sorgen und Ängste, aber auch Freude mit ihnen. Sie waren unsere FAMILIE….

Und nun…würden wir die meisten von ihnen in live sehen. Wir könnten sie umarmen und in Ruhe von Angesicht zu Angesicht reden. ICH WAR SO AUFGEREGT!!!

Die Convention würde montags starten, aktuell war es Samstag. Wir waren mit Absicht zwei Tage früher angereist um Jonathan (und uns) die Chance zu geben in Ruhe anzukommen…die erste gemeinsame Flugreise zu verkraften..und um nicht SOFORT im größten Trubel zu sein. Immerhin wurden dieses Jahr 46 Familien mit annähernd 200 Personen erwartet!!

Ich wusste von Sue das einige Familien früher anreisen würden, auch der führende Forscher aus Amerika war schon da. Im Hotel schaute ich mich also ständig um ob ich jemanden von Fotos aus dem Internet erkennen würde…nun ja: unsere KINDER zu erkennen ist NICHT besonders schwer. Lach….und wo waren Sue und John? Sie hatten gesagt dass sie nachmittags im Hotel wären…mein Herz klopfte weil ich es einfach nicht erwarten konnte die beiden zu umarmen.

Die erste Familie die wir trafen war aus Australien. Ein kleines Mädchen mit MOPD Typ2 war mit Mutter und Schwester angereist.
Wir saßen gemeinsam in der Lobby und redeten, ich noch etwas gehemmt weil mein Englisch über die Jahre doch ein wenig eingerostet war….ich war also hochkonzentriert, dachte über meine Worte nach – versuchte die Grammatik korrekt hinzubekommen…..schaute hoch…und da stehen Sue und John mit ihrem Sohn Alex direkt vor mir….

Ich sah sie an und….ich sah sie zum ersten Mal in ECHT, nicht nur über den Bildschirm eines PCs oder Fernsehers….außer „O MEIN GOTT!“ konnte ich nichts sagen…stand einfach auf und nahm Sue in den Arm. Und dann kamen die Tränen und sie hörten nicht mehr auf. Sue sagte nur immer wieder das alles gut sei …aber ich konnte nicht aufhören zu weinen. Diese Erleichterung die mich durchströmte weil ich nun endlich unter WIRKLICH Gleichgesinnten war….das kann man einfach NICHT in Worte fassen…

Zudem ist es ein sehr komisches Gefühl jemanden in den Arm zu nehmen und anzufassen den man nur aus dem „Netz“ kennt. Es ist fast wie einen Prominenten kennenzulernen…lach…

Eine entsprechende Aussage von mir zu dem Thema führte auf der Convention dann auch zu einem running gag. 8o)

Wie schon gesagt: der führende Forscher aus den USA war während der kompletten Convention anwesend, und das nicht nur für Arztgespräche – er war einfach immer mitten zwischen uns Familien, trank mit uns an der Bar….quatschte mit uns allen…spielte mit den Kindern…und nahm an unseren Ausflügen teil. Total cool…und gar nicht wie ein Arzt. Mehr wie ein Kumpel…

Für mich aber…war dieser Arzt eine Koryphäe…DER ARZT schlechthin auf dem Gebiet des MPD. Der führende Forscher eben. Über den ich alles was es zu finden gab im Internet gelesen hatte…den ich UNBEDINGT treffen und ihm Löcher in den Bauch fragen wollte…unvorsichtigerweise habe ich John Connerty das erzählt und ihm gesagt das der Arzt einfach…MEIN ROCKSTAR!!!...ist. Darüber haben sich 5 Tage alle kaputt gelacht, am meisten der Arzt selber. 8o))

Diese ganzen Tage in Liverpool waren einfach nur ÜBERWÄLTIGEND. Ich glaube ich könnte 25 Beiträge darüber schreiben – und könnte meine Gefühle trotzdem nicht korrekt wiedergeben. Deswegen lasse ich es einfach, sonst langweile ich euch noch...
Jedenfalls: wir hatten eine VERDAMMT GUTE ZEIT!!!

Die Convention ist keine Veranstaltung bei der man sich gegenseitig bedauert oder Trübsal bläst. Im Gegenteil!!! Wir haben SPASS zusammen!! Wir lachen, wir halten uns in den Armen…wir bauen uns auf, wir geben uns Tipps und Kraft. Wir brauchen einander. Und unsere Kinder brauchen andere Kinder….FREUNDE!!! Hier auf der Convention sind ALLE GLEICH. Kein Kind wird angestarrt oder ausgegrenzt, kein Kind wird gefragt warum es ANDERS ist. Hier sind einfach alle FREUNDE!!

Diese Tatsache hat uns so oft Tränen in die Augen getrieben…
Jonathan war zum ersten Mal dabei. Und bis auf ein Kind das wegen seiner geistigen Behinderung gar nicht laufen kann – sind hier alle gelaufen. Nur Jonathan nicht, der ist gekrabbelt.
Abends auf der Tanzfläche…ein GEWUSEL, ein GERENNE….und Jonathan: MITTENDRIN, auf dem Boden. Mein Mann hat zuerst Angst gehabt und wollte ihn weg holen. Aber…kein Scherz! ALLE Kinder haben auf Jonathan aufgepasst! Er wurde NIE getreten oder gestoßen, sie waren VORSICHTIG. Weil er einer von ihnen ist und sie Rücksicht aufeinander nehmen.
Und wenn Joni allein am Rand der Tanzfläche lag und einfach alles beobachtet hat….dann hat es nicht lange gedauert bis ein Kind kam und ihn gestreichelt oder ihm die Hand gehalten hat.

Es war einfach der PURE WAHNSINN!!!

Mir ist in diesen Tagen bewusst geworden…WIR brauchen diese Kommunikation mit anderen Eltern, sie ist für uns sehr wichtig. Aber vielleicht noch wichtiger ist für Jonathan der Kontakt zu anderen Kindern die genauso sind wie er!!!

Ein Vater hat es in einem Film der über die Convention für das englische Fernsehen gedreht wurde schön zusammengefasst:
„Hier sind wir genau da wo wir hingehören.“