Der
Schritt in die Öffentlichkeit
Für mich
ist eine Welt untergegangen als ich erfuhr dass ich ein behindertes Kind - ein
Kind mit nur sehr geringer Lebenserwartung! - bekommen habe. Wie geht man damit
um und wie verarbeitet man das???
Ich denke
dafür gibt es kein „Geheimrezept“, das muss jeder für sich selber herausfinden.
Wichtig ist nur DAS man einen Weg findet damit umzugehen!! Denn findet man den Weg
nicht…geht man daran kaputt. Und vielleicht auch die Partnerschaft/Ehe. Das
wollte ich unbedingt vermeiden!! Beides…
Nun ist
es so dass ich in meinem Leben schon einige Schicksalsschläge einstecken musste
und gelernt habe damit umzugehen, vielleicht sogar an ihnen zu wachsen.
Denn….man wächst und reift nicht an dem was im Leben GUT läuft – sondern an dem
was im Leben SCHLECHT läuft. Die negativen Erfahrungen machen einen zu dem
Menschen der man ist….
(An der
Stelle muss ich dann auch mal sagen das ich es aus diesem Grund auch komisch
finde das man in Fotoalben immer nur die schönen Momente des Lebens abbildet,
aber nie die schlimmen. Dabei sind es doch DIE, die uns verändern!!! Und es
sind auch DIE, die uns viel mehr in Erinnerung bleiben!! Oder nicht?? Denkt mal
drüber nach!)
Mein Weg
mit diesem Schicksalsschlag umzugehen war….aufzuschreiben was in meinem Leben
passierte und wie es mir damit ging.
Ursprünglich
wollte ich das nur tun um NICHTS zu vergessen was in Jonathans Leben
passierte…um mich an alles erinnern zu können wenn er mal nicht mehr da sein
sollte. Um die Bilder in meinem Kopf wieder heraufbeschwören zu können und von
ihnen zu zehren.
Immer
wenn ich aber am PC saß und in Worte fasste was passiert war und wie es mir
damit ging….kamen mir die Tränen. Ich suchte mir mit Absicht Zeiten zum
Schreiben aus in denen ich allein war, so konnte ich meinen Tränen ungestört
freien Lauf lassen und beim Schreiben einfach alles rauslassen. Danach: ging es
mir viel besser! Das alles schwarz auf weiß zu sehen, mich überhaupt noch
einmal damit auseinanderzusetzen…DAS war meine Therapie!! Das war genau DAS was
ich brauchte um damit klarzukommen und mich mit meinem Schicksal zu
arrangieren.
Irgendwann…hat
mein Mann ein wenig in meinem Blog gelesen und mich gedrängt: „Stell das
online, das ist fantastisch!“…und ich habe nur gesagt: „Ach Quatsch!! Es wird
NIEMANDEN interessieren wie es MIR geht und was ICH fühle!“…das war meine
felsenfeste Überzeugung und ich habe mich geweigert auch nur darüber
NACHZUDENKEN meine Worte im Internet für jeden zugänglich zu machen.
Das
sollte sich ändern als ich eines Nachmittags Besuch von einer jungen Frau bekam
die in einem Online-Auktionshaus bei mir etwas gekauft hatte. Als wir kurz an
der Haustür redeten hat sie mir erzählt das sie Zwillings-Jungs hat, von denen
einer leider unter großen Einschränkungen leidet: die Ärzte hätten ihr
prognostiziert das er nie laufen oder reden wird, er habe auch epileptische
Anfälle. Normalerweise bitte ich nie Fremde zu uns in die Wohnung – aber in
diesem Moment habe ich ihr gesagt das sie mal mitkommen soll.
Im
Wohnzimmer lag Jonathan auf dem Boden, er quietschte und lachte und rollte sich
wie ein Rollmops durch die Gegend. Die junge Frau betrachtete ihn, wir setzten
uns zu ihm auf den Boden und ich habe ihr unsere Geschichte erzählt. Angefangen
von der Diagnose über die geringe Lebenserwartung und die Prognosen der Ärzte.
Und ich sagte ihr das Jonathan das alles widerlegt hat! Das er Dinge kann die
man nie für möglich hielt….und dann…begann sie zu weinen. So sehr zu weinen –
vor mir, einer Fremden….und sie sagte zu mir das ihr das so viel Hoffnung gibt!
Denn wenn UNSER Junge den Aussagen der Ärzte getrotzt hat: dann vielleicht auch
IHR Junge?
Dieser
Besuch hat mich so berührt….als sie ging wollte sie meine Handynummer um mit
mir in Kontakt zu bleiben und ich kann das an der Stelle gerne sagen: wenn wir
uns auch seitdem selten sehen oder hören – aber wir sind in Kontakt geblieben!!
Abends
kam mein Mann von der Arbeit und ich habe ihm erzählt was nachmittags passiert
ist….und wie sehr es mich berührt hat. Und ich kam ins Grübeln. Das habe ich
zwei Tage lang getan und dann hatte ich einen Entschluss gefasst:
MEIN BLOG
WÜRDE ONLINE GEHEN!!
Wenn es
dieser jungen Frau geholfen hatte mit mir zu reden oder zu hören wie Jonathan
sich entwickelte, was er alles lernte und wie er den Prognosen trotzte…dann
würde das NOCH MEHR MENSCHEN helfen!
Ab diesem
Moment war DAS mein Ziel: ich wollte durch unser Schicksal anderen Menschen
helfen. Ich wollte dass Jonathans Leben nicht umsonst ist. Das etwas von ihm
bleibt und das alles das, was wir „erleiden“ mussten anderen Menschen dienen
sollte.
Ich bin
der festen Überzeugung dass alles im Leben einen Sinn hat. Den erkennt man
nicht immer sofort, manchmal braucht es auch Jahre – aber irgendwann erkennt
man ihn. Und ich hatte nun für mich den Sinn gefunden warum ich mich unter Tränen
mit unserem Leben auseinandergesetzt hatte – und war total euphorisch und
glücklich!!
Ein Punkt
mit dem ich aber SEHR haderte waren…FOTOS!
Ich war
IMMER…und ich meine wirklich IMMER!!!....der Auffassung gewesen das Fotos
meiner Kinder NICHTS im Internet zu suchen haben. Mein Mann hatte von mir ein
striktes Verbot bekommen bei Facebook Fotos der Kinder zu posten, ich selber
war dort gar nicht angemeldet.
Aber….nun
musste ich überlegen was mir wichtiger war. Wollte ich anderen Menschen helfen?
Dann musste ich auch Fotos von Jonathan zeigen – denn wer liest so viel Text
ohne sich Bilder anzuschauen? Ohne eine Vorstellung davon bekommen zu können
wie Kinder mit MOPD I aussehen….ein Blog ohne Fotos ist wie ein Butterbrot ohne
Butter – es geht GAR NICHT. Also bin ich sehr intensiv in mich gegangen und
habe diesen Punkt überdacht.
Wie ihr
ja alle wisst: bin ich an der Stelle über meinen Schatten gesprungen. Es gibt
Fotos von Jonathan und Marvin im Internet. ABER….mein Mann und ich haben uns
intensiv mit Fotobearbeitungsprogrammen auseinandergesetzt. Wir suchen die
Fotos SEHR bewusst aus und diskutieren auch oft darüber ob dieses oder jenes
Foto wirklich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Oftmals verkleinern
wir das Bild oder bearbeiten den Hintergrund (wenn es unseren Aufenthaltsort
verrät), Bilder die unsere Kinder in intimen Situationen zeigen oder mit deren
Veröffentlichung Marvin nicht einverstanden ist werden nicht gezeigt…. und
andere Menschen werden unkenntlich gemacht (wenn sie keine Genehmigung zur
Veröffentlichung gegeben haben) – denn das ist ein Punkt der mir extrem wichtig
ist: in meinem Blog (und auch bei Facebook) wird NIEMAND ohne sein
ausdrückliches Einverständnis gezeigt oder beschrieben. Jedes Foto das „fremde
Menschen“ zeigt ist von diesen Personen genehmigt worden – jeder der in meinem
Blog erwähnt wird hat dem vorher zugestimmt. Alles andere ist für mich ein
ABSOLUTES „NO-GO“.
Und so
gibt es ein paar Menschen die in unserem Leben eine Rolle spielen und die ich
gerne erwähnt hätte….die aber nicht erwähnt oder gezeigt werden MÖCHTEN – also
werden sie das auch nicht.
Nun
gut…aber wieder zurück zum Thema.
Zum Thema
Fotos, das ich mir also nicht leicht gemacht habe. Der Wunsch anderen Menschen
Mut zu machen und ihnen durch unsere Geschichte vielleicht sogar zu helfen –
hat überwogen. Ich wollte den Blog online stellen!!
Mein Mann
ist gelernter ITler und einen Blog zu „bauen“ war für ihn somit kein Problem.
Wir haben uns abends gemeinsam an den Computer gesetzt und ich habe zuerst
einen Hintergrund ausgesucht, dann haben wir uns einen Namen überlegt den die
Seite haben sollte: mein Mann meinte der Name sollte prägnant sein, aber
trotzdem mit dem Thema das Blogs zu tun haben. Der Titel ist mir dann ziemlich
lang geraten und am Anfang war ich nicht sicher ob das gut ist. Aber es war
genau das was ich sagen wollte, also blieb es einfach so.
Dann
haben wir ziemlich lange herum probiert: Schriftgröße und Schriftart unseres
Blognamens auf dem ausgewählten Hintergrund – wie wirkt das? Kann man den
Hintergrund überhaupt noch erkennen oder ist er komplett von Buchstaben
bedeckt?? Erschlägt einen die Überschrift oder ist sie aufdringlich???
….wir
sind am ersten Abend nicht mit der Gestaltung fertig geworden. Was aber auch
voll in Ordnung ist: so eine Sache will gut überlegt sein und ich muss hinter
jedem einzelnen Detail mit meinem ganzen Herzen stehen.
Der
schwierigste Part kam noch…wir mussten ein Foto auswählen auf dem man Jonathan
sehen konnte, das sollte auf die Startseite. Ansprechend sollte es wirken,
damit die Besucher der Seite hier „hängen blieben“ und Lust bekamen die
Geschichte dieses Jungen zu lesen.
Aber für
mich war es nicht leicht das allererste Foto von Jonathan fürs Internet
auszuwählen. Ich wollte das er nicht „richtig“ zu sehen war….so lange hatte ich
meine Meinung über Kinderfotos im Netz konsequent vertreten – an den Gedanken,
das nun doch bald welche für jedermann zu sehen wären, musste ich mich trotz
allem erstmal gewöhnen.
Und das
ist der Grund warum man auf der Startseite unseres Blogs das Foto von Jonathan
mit Mütze und Sonnenbrille sieht….8o) Weil man ihn eben NICHT richtig sieht…
Aber
rückwirkend betrachtet hätte ich auch gar kein besseres Bild von ihm auswählen
können! Es ist eins der schönsten Bilder die von ihm existieren - dieses kleine
Lächeln das um seinen Mund spielt wirkt so niedlich, es zaubert mir heute noch
selbst ein Lächeln ins Gesicht wenn ich es betrachte. Und….dieses Foto zeigt
Jonathans Charakter wie kaum ein anderes Bild: er ist ein so freundliches
kleines Wesen, fast immer gut gelaunt schaut er offen und neugierig in die
Welt.
FÜR
DIESES PHANTASTISCHE FOTO MÖCHTE ICH MICH AN DIESER STELLE, MAL WIEDER, BEI
MEINER FOTOGRAFIN UND FREUNDIN ROSEMARIE HOFER BEDANKEN!! DU SCHAFFST ES SEIT
SO VIELEN JAHREN UNS AUF FOTOS NICHT NUR GUT AUSSEHEN ZU LASSEN - SONDERN AUCH
UNSERE CHARAKTERE EINZUFANGEN!! GANZ, GANZ GRANDIOS!! DANKE!
Noch ein Thema
musste geklärt werden und dann konnte es endlich losgehen: wie wollte ich den
Aufbau gestalten??? Ich hatte ehrlichweise bisher nicht viele Berührungspunkte
mit Blogs anderer Leute gehabt (ich bin eigentlich nicht so der
Internetjunkie), deswegen konnte ich mir gar nicht vorstellen wie das alles
aussehen sollte.
Mein Mann
musste mir viel erklären oder zeigen indem wir es für meinen Blog einfach
ausprobierten. Schlussendlich habe ich mich für die Variante entschieden die
ihr alle kennt: einzelne Reiter die verschiedene Themen beinhalten, je nach
Interesse kann man den einen oder anderen Reiter anklicken – und den Rest der
Seite auch einfach ignorieren…
Für mich
als „Internet-Legastheniker“ war es wichtig das der Blog klar strukturiert und
einfach zu bedienen war. Damit auch Leute die von Internet und Technik nicht so
viel Ahnung hatten (wie ICH!!) hier klarkommen und Spaß haben würden.
Zu Beginn
gab es nur 4 Reiter:
Einen auf
dem ich „bloggen“ würde. Als mein Mann mir zeigte wie das dann aussieht habe
ich festgestellt dass dabei der neueste Beitrag immer oben steht und wenn man
den Text in der richtigen Reihenfolge lesen möchte müsste man sich von unten
nach oben durcharbeiten. Das ging für mich als alte Leseratte ja gar nicht! Das
war gar nicht aufgebaut wie ich Buch, das hatte ich mir so nicht
vorgestellt…hmmmm…
Also gab
es damals noch einen zweiten Reiter: einen auf dem ich „unsere Geschichte“ in
der richtigen Reihenfolge einstellen konnte und somit den Lesern das Gefühl vermitteln
konnte ein Buch zu lesen. (Diesen Reiter gibt es heute nicht mehr. Man kann
nämlich nur eine bestimmte Anzahl von Reitern in den Blog integrieren. Heute
sind ein paar Reiter dazu bekommen und einer ist mir dabei sehr wichtig:
„Medizinische Fakten“, doch dazu später mehr.)
Der
dritte Reiter war der mit den Fotos. Die von mir, bis heute!, sehr sorgfältig
ausgewählt wurden/werden. Zu Beginn habe ich auch viele Fotos eingestellt in
denen Jonathan nicht komplett zu sehen war: es gab Fotos von seinen Händen oder
Beinen. Allerdings muss ich hier sagen dass ich dies AUCH gemacht habe um einen
Eindruck davon vermitteln zu können an welchen Stellen er sich von „gesunden“
Kindern unterscheidet.
Der
vierte Reiter war der mit den Danksagungen. Schon damals war es mir ein sehr großes
Bedürfnis den Menschen in unserem Umfeld zu danken!! Wir spürten dass einige
sehr viel mehr für uns taten und leisteten als sie gemusst hätten. Natürlich
haben wir auch immer persönlich DANKE gesagt. Aber wo kann man heutzutage mit
seinem Dank ein besseres Statement abgeben als im Internet???
Dieser
vierte Reiter ist bis heute derjenige der mich die meisten Tränen kostet. Wenn
ich für jemanden aus unserem Umfeld Worte des Dankes formuliere dann sehe ich
diese Person vor mir und versuche alle meine Gefühle für sie in Worte zu
fassen. Schriftlich fällt es auch leichter manche Dinge zu sagen…und so kann
ich auf diesem Weg WIRKLICH sagen was ich empfinde und das rührt mich einfach
total oft zu Tränen.
Mein Mann
dachte das ein fünfter Reiter sinnvoll wäre: ein Kontaktformular. Wir haben uns
nämlich bewusst gegen ein Gästebuch entschieden…unser Blog sollte keine
Möglichkeiten zur Diskussion bieten, sondern lediglich ein Einblick in unser
Leben und unsere Gefühle sein. Eine „Einbahnstrasse“ sozusagen. Trotzdem
wollten wir Menschen die Möglichkeit bieten mit uns in Kontakt treten zu
können. Also haben wir ein Formular eingerichtet das man an uns senden kann.
Wir entscheiden dann ob wir auf diese Nachrichten antworten und damit UNSERE
Email-Adresse preisgeben. Das war mir ganz Recht so: ich hatte am Anfang
wirklich große Angst vor Beschimpfungen und wollte so wenig Daten wie möglich
von mir zugänglich machen.
Nach ein
paar Abenden Arbeit und auch einiger Diskussionen war das Layout also fertig….nun
könnte es theoretisch losgehen! Aber zuerst…stand ein schon lange geplanter
Ausflug an….