Freitag, 26. Januar 2018

Der Schritt in die Öffentlichkeit
Für mich ist eine Welt untergegangen als ich erfuhr dass ich ein behindertes Kind - ein Kind mit nur sehr geringer Lebenserwartung! - bekommen habe. Wie geht man damit um und wie verarbeitet man das???

Ich denke dafür gibt es kein „Geheimrezept“, das muss jeder für sich selber herausfinden. Wichtig ist nur DAS man einen Weg findet damit umzugehen!! Denn findet man den Weg nicht…geht man daran kaputt. Und vielleicht auch die Partnerschaft/Ehe. Das wollte ich unbedingt vermeiden!! Beides…

Nun ist es so dass ich in meinem Leben schon einige Schicksalsschläge einstecken musste und gelernt habe damit umzugehen, vielleicht sogar an ihnen zu wachsen. Denn….man wächst und reift nicht an dem was im Leben GUT läuft – sondern an dem was im Leben SCHLECHT läuft. Die negativen Erfahrungen machen einen zu dem Menschen der man ist….

(An der Stelle muss ich dann auch mal sagen das ich es aus diesem Grund auch komisch finde das man in Fotoalben immer nur die schönen Momente des Lebens abbildet, aber nie die schlimmen. Dabei sind es doch DIE, die uns verändern!!! Und es sind auch DIE, die uns viel mehr in Erinnerung bleiben!! Oder nicht?? Denkt mal drüber nach!)

Mein Weg mit diesem Schicksalsschlag umzugehen war….aufzuschreiben was in meinem Leben passierte und wie es mir damit ging.

Ursprünglich wollte ich das nur tun um NICHTS zu vergessen was in Jonathans Leben passierte…um mich an alles erinnern zu können wenn er mal nicht mehr da sein sollte. Um die Bilder in meinem Kopf wieder heraufbeschwören zu können und von ihnen zu zehren.

Immer wenn ich aber am PC saß und in Worte fasste was passiert war und wie es mir damit ging….kamen mir die Tränen. Ich suchte mir mit Absicht Zeiten zum Schreiben aus in denen ich allein war, so konnte ich meinen Tränen ungestört freien Lauf lassen und beim Schreiben einfach alles rauslassen. Danach: ging es mir viel besser! Das alles schwarz auf weiß zu sehen, mich überhaupt noch einmal damit auseinanderzusetzen…DAS war meine Therapie!! Das war genau DAS was ich brauchte um damit klarzukommen und mich mit meinem Schicksal zu arrangieren.

Irgendwann…hat mein Mann ein wenig in meinem Blog gelesen und mich gedrängt: „Stell das online, das ist fantastisch!“…und ich habe nur gesagt: „Ach Quatsch!! Es wird NIEMANDEN interessieren wie es MIR geht und was ICH fühle!“…das war meine felsenfeste Überzeugung und ich habe mich geweigert auch nur darüber NACHZUDENKEN meine Worte im Internet für jeden zugänglich zu machen.

Das sollte sich ändern als ich eines Nachmittags Besuch von einer jungen Frau bekam die in einem Online-Auktionshaus bei mir etwas gekauft hatte. Als wir kurz an der Haustür redeten hat sie mir erzählt das sie Zwillings-Jungs hat, von denen einer leider unter großen Einschränkungen leidet: die Ärzte hätten ihr prognostiziert das er nie laufen oder reden wird, er habe auch epileptische Anfälle. Normalerweise bitte ich nie Fremde zu uns in die Wohnung – aber in diesem Moment habe ich ihr gesagt das sie mal mitkommen soll.  

Im Wohnzimmer lag Jonathan auf dem Boden, er quietschte und lachte und rollte sich wie ein Rollmops durch die Gegend. Die junge Frau betrachtete ihn, wir setzten uns zu ihm auf den Boden und ich habe ihr unsere Geschichte erzählt. Angefangen von der Diagnose über die geringe Lebenserwartung und die Prognosen der Ärzte. Und ich sagte ihr das Jonathan das alles widerlegt hat! Das er Dinge kann die man nie für möglich hielt….und dann…begann sie zu weinen. So sehr zu weinen – vor mir, einer Fremden….und sie sagte zu mir das ihr das so viel Hoffnung gibt! Denn wenn UNSER Junge den Aussagen der Ärzte getrotzt hat: dann vielleicht auch IHR Junge?

Dieser Besuch hat mich so berührt….als sie ging wollte sie meine Handynummer um mit mir in Kontakt zu bleiben und ich kann das an der Stelle gerne sagen: wenn wir uns auch seitdem selten sehen oder hören – aber wir sind in Kontakt geblieben!!
Abends kam mein Mann von der Arbeit und ich habe ihm erzählt was nachmittags passiert ist….und wie sehr es mich berührt hat. Und ich kam ins Grübeln. Das habe ich zwei Tage lang getan und dann hatte ich einen Entschluss gefasst:

MEIN BLOG WÜRDE ONLINE GEHEN!!

Wenn es dieser jungen Frau geholfen hatte mit mir zu reden oder zu hören wie Jonathan sich entwickelte, was er alles lernte und wie er den Prognosen trotzte…dann würde das NOCH MEHR MENSCHEN helfen!

Ab diesem Moment war DAS mein Ziel: ich wollte durch unser Schicksal anderen Menschen helfen. Ich wollte dass Jonathans Leben nicht umsonst ist. Das etwas von ihm bleibt und das alles das, was wir „erleiden“ mussten anderen Menschen dienen sollte.

Ich bin der festen Überzeugung dass alles im Leben einen Sinn hat. Den erkennt man nicht immer sofort, manchmal braucht es auch Jahre – aber irgendwann erkennt man ihn. Und ich hatte nun für mich den Sinn gefunden warum ich mich unter Tränen mit unserem Leben auseinandergesetzt hatte – und war total euphorisch und glücklich!!  

Ein Punkt mit dem ich aber SEHR haderte waren…FOTOS!

Ich war IMMER…und ich meine wirklich IMMER!!!....der Auffassung gewesen das Fotos meiner Kinder NICHTS im Internet zu suchen haben. Mein Mann hatte von mir ein striktes Verbot bekommen bei Facebook Fotos der Kinder zu posten, ich selber war dort gar nicht angemeldet.

Aber….nun musste ich überlegen was mir wichtiger war. Wollte ich anderen Menschen helfen? Dann musste ich auch Fotos von Jonathan zeigen – denn wer liest so viel Text ohne sich Bilder anzuschauen? Ohne eine Vorstellung davon bekommen zu können wie Kinder mit MOPD I aussehen….ein Blog ohne Fotos ist wie ein Butterbrot ohne Butter – es geht GAR NICHT. Also bin ich sehr intensiv in mich gegangen und habe diesen Punkt überdacht.

Wie ihr ja alle wisst: bin ich an der Stelle über meinen Schatten gesprungen. Es gibt Fotos von Jonathan und Marvin im Internet. ABER….mein Mann und ich haben uns intensiv mit Fotobearbeitungsprogrammen auseinandergesetzt. Wir suchen die Fotos SEHR bewusst aus und diskutieren auch oft darüber ob dieses oder jenes Foto wirklich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Oftmals verkleinern wir das Bild oder bearbeiten den Hintergrund (wenn es unseren Aufenthaltsort verrät), Bilder die unsere Kinder in intimen Situationen zeigen oder mit deren Veröffentlichung Marvin nicht einverstanden ist werden nicht gezeigt…. und andere Menschen werden unkenntlich gemacht (wenn sie keine Genehmigung zur Veröffentlichung gegeben haben) – denn das ist ein Punkt der mir extrem wichtig ist: in meinem Blog (und auch bei Facebook) wird NIEMAND ohne sein ausdrückliches Einverständnis gezeigt oder beschrieben. Jedes Foto das „fremde Menschen“ zeigt ist von diesen Personen genehmigt worden – jeder der in meinem Blog erwähnt wird hat dem vorher zugestimmt. Alles andere ist für mich ein ABSOLUTES „NO-GO“.

Und so gibt es ein paar Menschen die in unserem Leben eine Rolle spielen und die ich gerne erwähnt hätte….die aber nicht erwähnt oder gezeigt werden MÖCHTEN – also werden sie das auch nicht.

Nun gut…aber wieder zurück zum Thema.

Zum Thema Fotos, das ich mir also nicht leicht gemacht habe. Der Wunsch anderen Menschen Mut zu machen und ihnen durch unsere Geschichte vielleicht sogar zu helfen – hat überwogen. Ich wollte den Blog online stellen!!

Mein Mann ist gelernter ITler und einen Blog zu „bauen“ war für ihn somit kein Problem. Wir haben uns abends gemeinsam an den Computer gesetzt und ich habe zuerst einen Hintergrund ausgesucht, dann haben wir uns einen Namen überlegt den die Seite haben sollte: mein Mann meinte der Name sollte prägnant sein, aber trotzdem mit dem Thema das Blogs zu tun haben. Der Titel ist mir dann ziemlich lang geraten und am Anfang war ich nicht sicher ob das gut ist. Aber es war genau das was ich sagen wollte, also blieb es einfach so.

Dann haben wir ziemlich lange herum probiert: Schriftgröße und Schriftart unseres Blognamens auf dem ausgewählten Hintergrund – wie wirkt das? Kann man den Hintergrund überhaupt noch erkennen oder ist er komplett von Buchstaben bedeckt?? Erschlägt einen die Überschrift oder ist sie aufdringlich???

….wir sind am ersten Abend nicht mit der Gestaltung fertig geworden. Was aber auch voll in Ordnung ist: so eine Sache will gut überlegt sein und ich muss hinter jedem einzelnen Detail mit meinem ganzen Herzen stehen.

Der schwierigste Part kam noch…wir mussten ein Foto auswählen auf dem man Jonathan sehen konnte, das sollte auf die Startseite. Ansprechend sollte es wirken, damit die Besucher der Seite hier „hängen blieben“ und Lust bekamen die Geschichte dieses Jungen zu lesen.

Aber für mich war es nicht leicht das allererste Foto von Jonathan fürs Internet auszuwählen. Ich wollte das er nicht „richtig“ zu sehen war….so lange hatte ich meine Meinung über Kinderfotos im Netz konsequent vertreten – an den Gedanken, das nun doch bald welche für jedermann zu sehen wären, musste ich mich trotz allem erstmal gewöhnen.

Und das ist der Grund warum man auf der Startseite unseres Blogs das Foto von Jonathan mit Mütze und Sonnenbrille sieht….8o) Weil man ihn eben NICHT richtig sieht…

Aber rückwirkend betrachtet hätte ich auch gar kein besseres Bild von ihm auswählen können! Es ist eins der schönsten Bilder die von ihm existieren - dieses kleine Lächeln das um seinen Mund spielt wirkt so niedlich, es zaubert mir heute noch selbst ein Lächeln ins Gesicht wenn ich es betrachte. Und….dieses Foto zeigt Jonathans Charakter wie kaum ein anderes Bild: er ist ein so freundliches kleines Wesen, fast immer gut gelaunt schaut er offen und neugierig in die Welt.

FÜR DIESES PHANTASTISCHE FOTO MÖCHTE ICH MICH AN DIESER STELLE, MAL WIEDER, BEI MEINER FOTOGRAFIN UND FREUNDIN ROSEMARIE HOFER BEDANKEN!! DU SCHAFFST ES SEIT SO VIELEN JAHREN UNS AUF FOTOS NICHT NUR GUT AUSSEHEN ZU LASSEN - SONDERN AUCH UNSERE CHARAKTERE EINZUFANGEN!! GANZ, GANZ GRANDIOS!! DANKE!

Noch ein Thema musste geklärt werden und dann konnte es endlich losgehen: wie wollte ich den Aufbau gestalten??? Ich hatte ehrlichweise bisher nicht viele Berührungspunkte mit Blogs anderer Leute gehabt (ich bin eigentlich nicht so der Internetjunkie), deswegen konnte ich mir gar nicht vorstellen wie das alles aussehen sollte.

Mein Mann musste mir viel erklären oder zeigen indem wir es für meinen Blog einfach ausprobierten. Schlussendlich habe ich mich für die Variante entschieden die ihr alle kennt: einzelne Reiter die verschiedene Themen beinhalten, je nach Interesse kann man den einen oder anderen Reiter anklicken – und den Rest der Seite auch einfach ignorieren…

Für mich als „Internet-Legastheniker“ war es wichtig das der Blog klar strukturiert und einfach zu bedienen war. Damit auch Leute die von Internet und Technik nicht so viel Ahnung hatten (wie ICH!!) hier klarkommen und Spaß haben würden.

Zu Beginn gab es nur 4 Reiter:
Einen auf dem ich „bloggen“ würde. Als mein Mann mir zeigte wie das dann aussieht habe ich festgestellt dass dabei der neueste Beitrag immer oben steht und wenn man den Text in der richtigen Reihenfolge lesen möchte müsste man sich von unten nach oben durcharbeiten. Das ging für mich als alte Leseratte ja gar nicht! Das war gar nicht aufgebaut wie ich Buch, das hatte ich mir so nicht vorgestellt…hmmmm…

Also gab es damals noch einen zweiten Reiter: einen auf dem ich „unsere Geschichte“ in der richtigen Reihenfolge einstellen konnte und somit den Lesern das Gefühl vermitteln konnte ein Buch zu lesen. (Diesen Reiter gibt es heute nicht mehr. Man kann nämlich nur eine bestimmte Anzahl von Reitern in den Blog integrieren. Heute sind ein paar Reiter dazu bekommen und einer ist mir dabei sehr wichtig: „Medizinische Fakten“, doch dazu später mehr.)   

Der dritte Reiter war der mit den Fotos. Die von mir, bis heute!, sehr sorgfältig ausgewählt wurden/werden. Zu Beginn habe ich auch viele Fotos eingestellt in denen Jonathan nicht komplett zu sehen war: es gab Fotos von seinen Händen oder Beinen. Allerdings muss ich hier sagen dass ich dies AUCH gemacht habe um einen Eindruck davon vermitteln zu können an welchen Stellen er sich von „gesunden“ Kindern unterscheidet.

Der vierte Reiter war der mit den Danksagungen. Schon damals war es mir ein sehr großes Bedürfnis den Menschen in unserem Umfeld zu danken!! Wir spürten dass einige sehr viel mehr für uns taten und leisteten als sie gemusst hätten. Natürlich haben wir auch immer persönlich DANKE gesagt. Aber wo kann man heutzutage mit seinem Dank ein besseres Statement abgeben als im Internet???

Dieser vierte Reiter ist bis heute derjenige der mich die meisten Tränen kostet. Wenn ich für jemanden aus unserem Umfeld Worte des Dankes formuliere dann sehe ich diese Person vor mir und versuche alle meine Gefühle für sie in Worte zu fassen. Schriftlich fällt es auch leichter manche Dinge zu sagen…und so kann ich auf diesem Weg WIRKLICH sagen was ich empfinde und das rührt mich einfach total oft zu Tränen.

Mein Mann dachte das ein fünfter Reiter sinnvoll wäre: ein Kontaktformular. Wir haben uns nämlich bewusst gegen ein Gästebuch entschieden…unser Blog sollte keine Möglichkeiten zur Diskussion bieten, sondern lediglich ein Einblick in unser Leben und unsere Gefühle sein. Eine „Einbahnstrasse“ sozusagen. Trotzdem wollten wir Menschen die Möglichkeit bieten mit uns in Kontakt treten zu können. Also haben wir ein Formular eingerichtet das man an uns senden kann. Wir entscheiden dann ob wir auf diese Nachrichten antworten und damit UNSERE Email-Adresse preisgeben. Das war mir ganz Recht so: ich hatte am Anfang wirklich große Angst vor Beschimpfungen und wollte so wenig Daten wie möglich von mir zugänglich machen.


Nach ein paar Abenden Arbeit und auch einiger Diskussionen war das Layout also fertig….nun könnte es theoretisch losgehen! Aber zuerst…stand ein schon lange geplanter Ausflug an….