Sonntag, 27. Dezember 2020

 

Weihnachten 2020 – wir sind seit 43 Wochen in Selbstisolation

Seit Monaten gab es hier keinen neuen Beitrag. Mir fehlte schlichtweg die Motivation…

 

Es ist Ende Dezember 2020 und Corona hat die Welt immer noch im Griff. Aktuell rollt die zweite Welle über Deutschland hinweg – und die Zahlen sind schlimmer als je zuvor.

Warum? Weil der Herbst/Winter da ist und damit traditionell die Virussaison beginnt – oder weil zu viele Menschen die Maßnahmen unserer Bundesregierung leid sind und sich nicht mehr an die Vorgaben halten?

Ich weiß es nicht. Ich möchte es auch gar nicht wissen: bin der Diskussionen und Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken überdrüssig.

 

Wir schlagen uns weder auf die Seite der Corona-Leugner noch auf die Seite der Corona-Paniker: wir versuchen das Thema neutral und objektiv zu beurteilen.

Für Jonathan könnte Corona lebensgefährlich sein. Aber wir rennen nicht schreiend durch die Gegend und verdammen Bill Gates dafür hinter dieser riesigen Verschwörung zu stecken. Wir verharmlosen Corona auch nicht als Grippe. Wir treffen unsere Entscheidungen zum Schutz unserer Familie – und berücksichtigen dabei nur was wir selbst verantworten können und womit wir uns wohl fühlen. Unsere Familie und unsere Freunde stehen hinter uns und tragen alle unsere Entscheidungen mit, ohne zu hinterfragen oder zu belächeln.

 

Wir sind seit 2.3.2020, also seit 43 Wochen, in Selbstisolation.

Bedeutet: mein Mann ist im Homeoffice – vorerst auch noch bis Ende März 2021. Marvin ist seit März (mit Ausnahme von zwei Wochen vor den Herbstferien) im Homeschooling. Zu Klassenarbeiten -oder wenn er ein Referat halten muss- geht er in die Schule.

Eingekauft wird einmal in der Woche ganz Früh morgens von meinem Mann, der FFP-Maske trägt.

Jonathans Therapien hatten wir monatelang auf Eis gelegt, sind aber mittlerweile wieder gestartet: allerdings bei Physio- und Reittherapie nur im Zwei-Wochen-Rhythmus, Logopädie wurde von Anfang an und bis auf weiteres von unserer Krankenkasse via „Online-Therapie“ genehmigt.

 

Freunde und Familie sehen wir nur durchs Fenster - oder mit Abstand im Freien.

Wir haben seit 43 Wochen niemanden mehr umarmt. Weder unsere Patenkinder…noch unsere engsten Freunde…

Wir haben in diesem Jahr zum allerersten Mal in unserem Leben Weihnachten NICHT mit unserer Familie gefeiert. Sondern allein.

 

Ob das alles übertrieben ist?

Keine Ahnung. Wir wissen nicht was richtig oder was falsch ist - und werden das vermutlich auch nie wissen.

Wir treffen unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen – als Familie. Dabei hat für uns das Gefühl Priorität das wir alles in unserer Macht Stehende tun um Jonathan zu schützen. Sollte dann trotzdem „etwas passieren“: haben wir uns nichts vorzuwerfen. Handeln wir aber leichtsinnig, müssten wir uns irgendwann sagen „Warum habe ich nicht besser aufgepasst!“ – und damit würden wir unseres Lebens nicht mehr froh werden.

 

Wir sind wirklich unfassbar dankbar für unsere Familie und unsere Freunde!!! Unser soziales Leben hat sich seit März komplett verändert – unser Umfeld muss ungefragt akzeptieren was wir beschlossen haben… wir haben viele Geburtstage und Feiern versäumt. Trotzdem sind alle noch an unserer Seite, geben ihr Bestes und nehmen Rücksicht.

Das ist nicht selbstverständlich. DANKE euch allen dafür!

 

 

Und wie geht es uns nach dieser langen Zeit?

Gut! 8o)

Wir versuchen weiterhin das Positive zu sehen: mehr Familienzeit und viel Entschleunigung.

Die Zeit in der wir leben ermöglicht es uns zum Glück via „SocialMedia“, Telefonaten, WhatsApp-Nachrichten oder auch Skype mit Freunden in Kontakt zu bleiben.

Und ja: auch Marvin geht es gut mit der Situation.

Er telefoniert viel mit seinen Freunden, sie treffen sich auch, sitzen mit Abstand zusammen und quatschen stundenlang. Manchmal gehen sie auch eine Runde Radfahren.

 

Und Jonathan?

Der entwickelt sich prächtig!! Vermutlich tut es ihm gut ZEIT zu haben: Zeit zum Ausschlafen, Zeit zum Spielen, Zeit mit der Familie.

Er hat in den letzten 9 Monaten wahnsinnige Entwicklungssprünge gemacht:

Jonathan krabbelt im Vierfüßerstand und zieht sich überall in den Kniestand hoch. Allein aufstehen funktioniert noch nicht. Doch wir sind optimistisch das auch das bald funktionieren wird.

Jonathan steht an seiner Spielküche fast frei: er lehnt sich nur noch mit dem Bauch ein wenig an und nutzt beide Hände aktiv zum Spielen.

Jonathan steht allein von einem Stuhl auf, wenn er sich an unseren Händen oder einem Tisch festhalten kann.

Jonathan kann Reißverschlüsse öffnen und sich sein T-Shirt/seinen Pulli alleine ausziehen.

Jonathan kann wenige Schritte machen wenn wir ihn an den Händen halten. 8o)))

Gewachsen ist er auch ein wenig: er misst jetzt 82cm und bringt 6600g auf die Waage. Sein Kopfumfang ist weiterhin bei 35cm.

Sprachlich ist leider in den letzten Monaten nichts Nennenswertes passiert. Wir arbeiten seit kurzem mit „Metacom“, weil wir einfach den Tatsachen ins Auge sehen müssen das Jonathan unter Umständen nie sprechen lernt - und wir ihm trotzdem eine Möglichkeit der Kommunikation geben wollen. Hier kann ich noch keine Erfahrungswerte teilen, dafür ist es aktuell zu früh.

 

 

Zusammenfassend gesagt: können wir dem Jahr 2020 durchaus auch positive Aspekte abgewinnen.

Welche das in erster Linie sind könnt ihr zwischen dem 28.12.2020 und dem 3.1.2021 im HESSISCHEN RUNDFUNK bei der HESSENSCHAU sehen: wir durften nämlich eine Folge einer Serie über „Positive Geschichten 2020“ drehen. Also schaltet unbedingt ein! Oder schaut in unserem Facebook- oder Instagram-Account vorbei, da werden wir die Folge nach Ausstrahlung auch verlinken.

Sonntag, 10. Mai 2020


Zwischen Hoffnung und Angst
„Hoffnung ist nicht der Glaube daran, das etwas gut ausgeht. Sondern es ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat. Egal wie es ausgeht.“
(Vaclav Havel)

Wahre Worte.

Wenn man ein Kind mit MOPD TYP1 (einem Lebensverkürzenden Gendefekt) hat, dann MUSS man vor allem EINES sehen: den Sinn.
Denn gut ausgehen wird es nicht.

Wir werden unsere Kinder beerdigen. Nicht umgekehrt, wie es die Natur eigentlich vorgesehen hat.


Ab dem Zeitpunkt der Diagnose wissen wir Bescheid: uns bleibt nicht so viel Zeit mit unseren Kindern wie anderen Eltern.

Wird es durch dieses Wissen leichter? Kann man sich dadurch besser auf TagX „vorbereiten“?
Ich denke NEIN.

„Ihr wisst nicht wie viel Zeit ihr habt, ihr müsst jeden Tag genießen!“…hören wir so oft.
Und natürlich versuchen wir das auch: schieben nichts mehr auf die lange Bank, versuchen jedes Erlebnis mit Jonathan aufzusaugen und in Erinnerung zu behalten, machen HUNDERTE Fotos und Videos.  
ABER….immer…einfach immer ist da dieser Gedanke: JONATHAN HAT NUR EINE BEGRENZTE LEBENSERWARTUNG.

Wie hoch diese Lebenserwartung sein wird wissen wir nicht. Die Prognose der Ärzte war seinerzeit NEUN MONATE. Das haben wir lange hinter uns gelassen.
Der älteste Mensch mit MOPD Typ1 der UNS bekannt ist lebt noch und ist aktuell 18 Jahre alt. Das gibt Grund zur Hoffnung. Aber es ist keine Garantie: denn das ist mit GROSSEM ABSTAND das höchste Alter das ein Mensch mit dieser Diagnose erreicht hat – und deswegen vielleicht ein Einzelfall.



ANGST….jeden Tag ist ANGST Bestandteil unseres Lebens: ANGST vor Jonathans Tod.
Angst die zumindest mir den Atem raubt, Panikattacken auslöst und Alpträume verursacht. Seit 5 Jahren. Immer und immer wieder….


Mein Mann und ich haben uns schon vor langer Zeit zusammengesetzt und eine Patientenverfügung für Jonathan erstellt. Für den Fall der Fälle. Was wollen wir – was wollen wir nicht? Was erlauben wir den Ärzten – was nicht? Wie weit wollen wir überhaupt gehen?
So ein Gespräch als Eltern zu führen ohne dass eine akute Notwendigkeit dazu besteht ist die Hölle. Aber wir wollten diese Entscheidungen mit „klarem Kopf“ treffen und nicht am Krankenbett in einer Ausnahmesituation.

Und JA: man denkt auch manchmal darüber nach wie man eine Beerdigung gestalten würde. Einfach weil man vorbereitet sein will.


Aber man ist dadurch nicht vorbereitet.

Auf den Tod des eigenen Kindes kann man sich nicht vorbereiten. Ich habe heute schon panische Angst vor dem Schmerz den ich fühlen werde. Frage mich manchmal ob ich überhaupt in der Lage sein werde ihn auszuhalten….frage mich wie ich „danach“ weitermachen soll.

Hoffentlich werde ich die Antworten auf diese Fragen erst in SEHR VIELEN JAHREN bekommen. Aber eins weiß ich heute schon: diese furchtbare Angst die jetzt täglich über mir schwebt und mir die Luft zum Atmen nimmt….die wird dann verschwunden sein. Denn dann sind meine schlimmsten Vorstellungen Wahrheit geworden.

Und zumindest DAS wird eine Erleichterung sein.

Samstag, 18. April 2020


Eine verrückte Zeit
Im Januar 2020 hören wir zum ersten Mal in den Nachrichten vom Ausbruch eines neuartigen Virus in China. In den ersten Tagen nehmen wir es zur Kenntnis, beschäftigen uns aber nicht eingehender damit.

Doch es kommen immer mehr Meldungen aus China: man liest und hört verstärkt „Covid-19“. Ich setze mich an den Computer und beginne zu recherchieren.

Schon nach kurzer Zeit bin ich besorgt: „Covid-19“ - oder „Corona“- ist ein Virus der Grippeähnliche Symptome mit hohem Fieber hervorrufen kann und die Lungen befällt. In China gibt es mittlerweile eine Menge Tote: Menschen mit schwachem Immunsystem scheinen an Corona zu sterben.


MOPD Typ1 geht einher mit einem schwachen Immunsystem – und Problemen mit der Lunge (auch wenn wir DIE bei Jonathan bis heute zum Glück nicht hatten!). Alle von MOPD Typ1 Betroffenen sterben an Infekten: am häufigsten an Schnupfen/Husten/Fieber o.ä.

Mein Mann und ich beginnen die Nachrichten intensiver zu verfolgen. Wir sind sicher das Corona für Jonathan immens gefährlich ist – und wir sind uns ebenfalls sicher dass es nur eine Frage der Zeit ist bis dieser Virus bei uns in Deutschland ankommt.

Im Februar rückt unsere Besorgnis erst einmal in den Hintergrund weil wir mit Lotta das erste betroffene Kind aus Deutschland verlieren.
Sie stirbt….an der Grippe.


Die Medien melden den ersten Corona-Fall in Deutschland: in Bayern.
Wir leben in Hessen. Wir sind noch nicht „in Gefahr“: aber der Virus ist da. Er ist in Deutschland angekommen.

Und mir geht nicht mehr aus dem Kopf das er Grippesymptome verursacht….Grippe….daran ist Lotta gestorben.

Wir verfolgen die Nachrichten sehr intensiv, achten noch mehr als sonst aufs Hände waschen und bestellen uns ein paar Flaschen Desinfektionsmittel - denn unseres geht zur Neige.
Da Winter ist gehen wir sowieso mit Jonathan nicht in den Supermarkt, in Restaurants oder auf Veranstaltungen. In diesen Punkten müssen wir uns also nicht umstellen.


Ich überlege schon was wir tun können…welche Maßnahmen wir ergreifen müssen…wenn Covid-19 bei uns ankommt.


Und dann ist es so weit: es ist kurz nach Fasching. Der Virus ist zwar nicht in Hessen aufgetaucht, aber in NRW. Und er verbreitet sich rasend schnell: Betroffene waren, ohne zu wissen das sie erkrankt sind, auf Faschingsveranstaltungen. Mit Hunderten anderer Menschen zusammen. Die Inkubationszeit beträgt bis zu 12 Tage. Ich bin mir sicher das NRW den „Peak“, die Spitze der Erkrankungen, noch nicht erreicht hat.


Es ist Donnerstag und Marvin ist auf Konfirmandenfreizeit. Er war die komplette Woche noch nicht in der Schule. Zum Glück, denn er geht auf eine Schule mit circa 1600 Schülern. Und ich gehe davon aus das einige Schüler…oder ihre Geschwister…oder ihre Eltern…auf dem Fasching in NRW gewesen sind.

Ich fahre in die Apotheke und kaufe FFP-Masken….andere haben früher vorgesorgt: es ist nicht einfach noch welche zu bekommen – ich fahre viel herum, aber am Ende habe ich für jeden von uns 2 Masken. Das ist genug, man kann sie ja eine Weile tragen.

Freitags macht mein Mann immer Homeoffice, er fährt also nicht ins Büro. Ich sage ihm morgens das er mit seinem Chef reden muss: er muss in den kommenden Wochen komplett ins Homeoffice. Es ist zu gefährlich in die Firma zu fahren und mit 6000 Menschen zusammen in einem Gebäude zu sein – während die Inkubationszeit von Fasching noch läuft.

Mein Mann schaut mich an und ich sehe was er denkt: „Die übertreibt total!“ 8o)
Er sagt aber nur: „Was ist mit Marvin?“. Und ich sage das ich der Lehrerin schon eine E-Mail geschrieben habe und mit dem Kinderarzt reden werde um Marvin von der Schule freizustellen. Für mindestens zwei Wochen.

Jetzt schaut mein Mann mich an als wäre ich geistesgestört.

„Meinst Du das ist WIRKLICH alles nötig?“ fragt er mich. „JA!“ sage ich voller Überzeugung. „Ok, ich rufe meinen Chef an!“ ..und der ist zum Glück WIRKLICH entgegenkommend und stellt meinen Mann zuerst für zwei Wochen von der Anwesenheit im Büro frei.

Und dann ruft auch Marvins Klassenlehrerin an.
Sie weiß über Jonathan Bescheid und ist gar nicht überrascht über meine Bitte Marvin von der Schule freizustellen. Allerdings kann sie nur über einen Zeitraum von 3 Tagen entscheiden (diese 3 Tage sagt sie mir sofort zu), ich muss also mit dem Schulleiter reden.

Mittlerweile ist es Freitag Nachmittag, Marvin ist noch immer auf der Konfirmandenfahrt. Er hat keine Ahnung was ich hier für ihn entscheide…und ich bin mir sicher dass es ihm NICHT gefallen wird!!

Ich rufe im Sekretariat der Schule an und erkläre warum ich mit dem Schulleiter reden möchte. Die Dame am Telefon ist etwas schnippisch, offensichtlich findet sie das ich komplett hysterisch bin und übertreibe. Sie  fragt mich viele Sachen wie „Wie wollen Sie das denn mit dem Einkaufen machen? Muss ihr Mann nicht ins Büro…oder Sie? Ihnen ist bewusst das wir vielleicht über einen Zeitraum reden der länger als zwei Wochen dauert?“…ich habe auf jede ihrer Fragen eine Antwort, ich habe mir ja schließlich schon längere Zeit Gedanken dazu gemacht!

Die Antwort des Schulleiters ist jedenfalls eindeutig: er versteht mich und stellt Marvin von der Schule frei - wenn ein Arzt bescheinigt das es notwendig ist.

Marvin kommt heim, ich rede mit ihm.
Und wie ich vermutet habe ist er nicht begeistert. Er schimpft, sagt das er nicht „eingesperrt“ werden will – dass er den Sinn dahinter nicht versteht. Er zieht sich auf sein Zimmer zurück.

Am Wochenende beruhigen sich die Gemüter.
Ich schaue mit Marvin gemeinsam Nachrichten, wir lesen im Internet. Die ersten Todeszahlen aus NRW werden bekannt gegeben.
Ich schreibe dem führenden Forscher im Bereich MPD eine E-Mail und bitte ihn um seine Einschätzung. Seine Antwort ist eindeutig: Corona ist für Kinder wie Jonathan LEBENSGEFÄHRLICH!
Marvin sagt das er versteht und es für ihn ok ist wenn er zu Hause bleibt.


Am Montag früh klingelt das Telefon. Unser Kinderarzt ist dran.

Er befürwortet es Marvin von der Schule freizustellen, denn auch er denkt das Covid-19 für Jonathan EXTREM gefährlich werden kann.

Bis zu diesem Moment war ich ehrlich gesagt NICHT 100% sicher ob ich nicht doch ein wenig zu viel Panik verbreite…..aber während dieses Telefonates habe ich gemerkt das unser Kinderarzt sehr ernst und besorgt ist – und das ist er sonst NIE.

Zuerst befreit er Marvin für eine Woche. Wir werden am Ende dieser Woche wieder telefonieren und schauen wie sich die Lage entwickelt hat.

Ich sage alle Therapien ab.

Wir gehen in die Selbst-Isolation, teilen es Familie und Freunden mit. Ab sofort darf uns keiner mehr besuchen.

Eine weitere betroffene deutsche Familie geht diesen Weg mit uns gemeinsam. Die anderen Familien beobachten die Situation sehr genau.

Ab diesem Moment gehen wir nur noch mit Atemmaske einkaufen. Nur einmal in der Woche und nur einer von uns, meist mein Mann. Der wird auch direkt dumm angemacht im Supermarkt weil es „total übertrieben ist mit Maske einkaufen zu gehen.“ Er ignoriert das. Wir machen das nicht für uns…wir machen das für unseren Sohn!
Natürlich haben wir keine Ahnung ob es etwas bringt - oder ob es übertrieben ist. Aber wir wollen einfach sagen können: „Wir haben alles versucht um Jonathan zu schützen!“


In der kommenden Woche steigen die Todeszahlen in NRW. Immer mehr Menschen sind infiziert.
Erste Fälle in unserem Landkreis werden bekannt.

Mein Mann kann seine Arbeit zu 100% im Homeoffice erledigen, Marvin wird mit den Hausaufgaben versorgt. Wir „grooven“ uns in unserem neuen Alltag ein: stehen morgens trotzdem früh auf, Marvin macht vormittags Schularbeiten und lernt, dann steht 1 Stunde Hausarbeit auf dem Plan (wahlweise er oder ich – der andere passt auf Joni auf), wir kochen und essen gemeinsam.

Marvin ist eine zweite Woche vom Kinderarzt von der Schule befreit.

Wir genießen die gemeinsame Zeit: mein Mann spart jeden Tag zwei Stunden Arbeitsweg. Zeit die wir nun sinnvoller nutzen…das Haus fängt an zu blinken und zu blitzen. Wir erledigen Dinge die wir schon ewig vor uns herschieben – ein gutes Gefühl!

Die Zahl der Corona-Toten steigt.  

Die Menschen beginnen zu hamstern: Nudeln, Konserven, Mehl und vor allem…Klopapier sind in den Supermärkten kaum bis gar nicht mehr zu bekommen. Es gibt jetzt Mengenbeschränkungen der Artikel die man kaufen darf und ich ….. beginne fast das erste Mal in meinem Leben in einem Supermarkt zu weinen als ich nur ZWEI Packungen Windeln kaufen darf – obwohl ich schon IMMER vier Packungen kaufe.
Zudem erlebe ich live mit wie RENTNER sich fast prügeln und durch die Gegend schubsen…nur um eine Packung Klopapier zu ergattern.  


Die Welt steht Kopf und ich habe Angst: wohin wird das noch führen? Welche Charaktereigenschaften der Bevölkerung werden in den kommenden Wochen noch ans Licht kommen?
Immer wieder habe ich Szenen aus „The Walking Dead“ im Kopf.


Der Kinderarzt befreit Marvin für eine weitere Woche von der Schule und unsere Hessische Landesregierung kündigt eine Pressekonferenz an.

Der LOCKDOWN in Deutschland wird verkündet.

ICH finde….das hätte schon ein oder zwei Wochen vorher beschlossen werden sollen! Denn so konnte sich das Virus nach Fasching zu stark verbreiten.
ABER… es ist trotzdem gut dass JETZT die Reißleine gezogen wird. GUT für Risikopatienten wie Jonathan. Gut auch für Marvin, denn er ist nun nicht mehr der „Außenseiter“ der Klasse! Ab sofort sind alle zu Hause und bekommen „Homeschooling“.

Mein Mann geht auf unbefristete Zeit ins Homeoffice.

Die Schule erklärt uns per E-Mail wie das Homeschooling aussehen wird.

Ich habe den Eindruck das die meisten Menschen jetzt den Ernst der Lage verstanden haben.
Geschäfte schließen. Therapeuten machen ihre Praxen dicht. Wir erhalten Anrufe von Ärzten das Termine verlegt/abgesagt werden müssen. Marvin und ich haben Karten für eine Lesung, sein Weihnachtsgeschenk: aber auch diese wird abgesagt.

Weitere betroffene deutsche Familien folgen in die Isolation.

Im Drogeriemarkt sind jetzt circa 70% der Menschen mit Gesichtsmasken unterwegs. Im Supermarkt tragen viele zusätzlich Handschuhe. Niemand macht uns mehr „dumm“ an nur weil wir Maske tragen.

Im Nachbarort werden die ersten Corona-Fälle bestätigt. Es ist der Ort in dem wir immer einkaufen gehen.

Ich beginne mich zu Hause wesentlich sicherer zu fühlen als „draußen“. Ausgerechnet jetzt hat Jonathan einen Termin beim Kinderarzt zur Blutentnahme und Impfung. Ein Termin den ich nicht verschieben kann, er ist zu wichtig.

Die Praxis hat nun einen Spuckschutz am Empfang, alle tragen Mundschutz und Handschuhe. Als wir fertig sind werde ich durch den Garten „geschleust“ damit Jonathan nicht noch einmal durch die Praxis muss. Unser Kinderarzt ist weiterhin besorgt und empfindet die Lage als ernst.

Freunde und Bekannte beginnen mich bei Facebook aufzuregen. Ständig liest man Sachen wie „Corona ist nicht gefährlicher als die Grippe“, „Die Regierung versucht nur etwas zu vertuschen!“ oder „Mich interessiert das alles nicht, ich mache einfach weiter wie immer: bin ja kein Risikopatient.“ Ich „entfreunde“ einige Menschen, habe keine Lust mich mit solch hirnlosen Gedanken auseinanderzusetzen.

In Italien und Spanien beginnt die Lage zu eskalieren. Tote werden mit Gabelstaplern abtransportiert und in Massengräbern beerdigt.
Wenn ich die Nachrichten einschalte denke ich das ist ein Film!!! Ist es aber leider nicht. Es ist die Realität. Und noch immer gibt es Menschen die Covid-19 nicht ernst nehmen.
Das Homeschooling läuft „ok“. Es ist nicht dasselbe wie Unterricht, natürlich kann via Internet/Chat nicht so viel Stoff erarbeitet werden wie im Klassenraum. Marvin macht es aber trotzdem Spaß und er lernt sehr viel außerhalb der Unterrichtszeiten.

Der Klavierunterricht findet via Skype statt. Wir freuen uns in der heutigen Zeit zu leben wo so etwas überhaupt technisch möglich ist!

Ich beginne mit Freundinnen zu skypen. Habe ich vorher noch nie gemacht. Aber man muss das Beste aus der Situation machen.

Und das versuchen auch wir als Familie!
Wir versuchen unsere gute Laune zu behalten….versuchen uns von den Tragödien die sich in unserem Land und den Nachbarländern abspielen nicht runter ziehen zu lassen. Versuchen das Positive an der Situation zu sehen: sowohl in unserem Haus als auch in unserem Garten konnten wir schon viel erledigen. Alles ist ordentlich, schön und sauber. Ein paar Dinge stehen noch auf der „To-Do-Liste“, mein Mann möchte nicht alles auf einmal erledigen „Damit wir auch in der kommenden Zeit noch was zu tun haben!“.

Außerdem haben wir so viel Zeit als Familie wie noch nie. Keine Termine, kein Streß, keine Hektik. Wir sind komplett entschleunigt.

Ja: wir finden Corona hat auch seine guten Seiten!!!



Dann steht Ostern vor der Tür. Das erste Ostern das wir nicht mit unserer Familie werden feiern können.
Zum ersten Mal macht mir die Isolation zu schaffen. Ich bin traurig.

Lottas Familie hatte eine geniale Idee und wir „klauen“ sie:
Unser Esszimmerfenster geht auf den circa 4 Meter breiten Hof hinaus. Wir stellen Stühle und einen Sonnenschirm auf und schicken Familie und Freunden Fotos davon. Wir laden sie ein unser „Fenster zum Hof“ zu besuchen, versprechen Getränke und persönliche Gespräche. 8o)

Und so Viele kommen!!
An Ostern dann zum Glück auch unsere Eltern. Wir „feiern“ zwar anders: essen nichts zusammen und sehen uns nur aus 4 Meter Entfernung…aber wir sehen uns LIVE und reden miteinander. Es ist das Beste was wir in dieser Situation tun können, wir fühlen uns nicht mehr ganz so isoliert.



Heute ist Tag 48 unserer Isolation.

Die Nerven liegen bei uns allen etwas blank. Es gibt häufiger als sonst Streit und wir alle werden viel schneller laut als gewöhnlich.
Sauer ist dann aber keiner auf den anderen. Wir wissen ja warum das alles momentan so ist. Wir sitzen alle im selben Boot. Und müssen noch etwas durchhalten.


In vier Tagen hat Jonathan Geburtstag. Er wird 5 Jahre alt.

Wir hätten nie gedacht das wir diesen Tag mal erleben! Wir hätten aber auch nie gedacht ihn unter solchen Umständen begehen zu müssen. Ohne Familie.  

Aber….wie schon immer in unserem Leben mit Joni werden wir den Kopf nicht in den Sand stecken! Wir werden versuchen das Beste aus der Situation zu machen und dem kleinen Mann einen möglichst schönen Tag zu bereiten.

Freitag, 3. April 2020


Ein hartes Stück Arbeit
Nachdem die ersten drei Tage der Enzephalitis in der Klinik geschafft waren und Jonis Blutwerte besser wurden – Joni selbst wieder sehr viel wacher und agiler wurde….wussten wir das er es schaffen würde: er würde leben und wir würden ihn mit nach Hause nehmen.

Unser Neurologe hatte nie Zweifel daran das Jonathan alle seine Fähigkeiten zurückerlangen würde. Aber er sagte uns das wir wegen der Schwere des Befundes damit rechnen müssten das es MINDESTENS 6 Monate dauern würde bis unser Joni wieder der Alte wäre. Und das viel Arbeit -also viel Physiotherapie- auf uns zukommen würde.

Ich erzählte das Jonathan neben der wöchentlichen Physiotherapie nach Bobath auch einmal wöchentlich zur Reittherapie gehen würde und fragte ob das auch in der jetzigen Situation ratsam/empfehlenswert sei.
Das bejahten die Ärzte voller Inbrunst. Sie waren überzeugt das die Kombination aus beiden Therapien Jonathan sehr helfen würde.


Bei unserer Physiotherapeutin sind wir nun schon circa 3 Jahre in Behandlung. Sie ist SEHR kompetent und weiß was sie tut! Wir fühlen uns bei ihr sehr gut aufgehoben und wissen das wir heute nicht da wären wo wir sind….wenn wir sie nicht hätten.

Das Konzept nach Bobath ist für mich DAS was wirklich funktioniert! Es ist (im Gegensatz zum Konzept nach Vojta) für MICH im Alltag relativ einfach umzusetzen: hat man das Prinzip einmal verstanden, werden Alltagsgegenstände zu Hilfsmitteln für Physioübungen und diese werden ganz selbstverständlich ins Spiel eingebaut. So kommt man natürlich auf viel mehr „Therapiezeit“ als wenn die Übungen „erzwungen“ sind und dem Kind keinen Spaß machen – und so war es bei uns leider bei Vojta.

Macht man aber mehr „Therapie“ – erzielt man mehr Erfolge. Logisch, oder?

Uns war also klar: gemeinsam mit unserer Physiotherapeutin würden wir es schaffen das Jonathan wieder ganz der Alte werden würde!



Nachdem wir aus der Klinik entlassen wurden haben wir beschlossen uns allen …trotz der Dringlichkeit das Jonathan wieder motorisch fit werden musste… eine Pause zu gönnen. Um erstmal zu Hause anzukommen und zu verarbeiten was passiert ist. Um Jonathan erstmal wieder etwas zu Kräften kommen zu lassen.

Nach einigen Tagen habe ich mit der Physiotherapeutin über die Möglichkeiten des Hausbesuches gesprochen und das war für sie überhaupt kein Problem - wofür ich sehr dankbar war: so musste ich Joni nicht durch die Gegend „zerren“. Er war zu dem Zeitpunkt nämlich noch sehr schwach und jede Anstrengung machte ihn unglaublich fertig und müde.

Aber als ihr erster Hausbesuch bei uns stattfand -er war nur dazu gedacht eine „Bestandsaufnahme“ zu machen und zu schauen wie wir nun gemeinsam verfahren wollten- waren wir beide geschockt. Jonathan ließ sie nicht in seine Nähe. Sie durfte nicht mal im selben Zimmer sein wie er. Der kleine Mann brüllte und wand sich, er war richtig panisch! Mein Mann hat mit ihm den Raum verlassen und ich habe mit der Therapeutin darüber geredet wie ich Joni bestmöglich fördern kann.

Nach diesem Termin hatte ich Angst.
Angst das wir nicht in absehbarer Zeit mit der Therapie würden starten können…Angst das Jonathan dadurch nicht wieder zu seinem ursprünglichen ICH zurückfinden würde…Angst das er vielleicht gar nicht mehr der Alte werden KÖNNTE. Denn in den Augen der Therapeutin hatte ich gesehen dass sie geschockt über den motorischen Zustand war in dem er sich befand: er konnte sich ja kaum bewegen….

Aber es half nichts. Wir mussten uns langsam rantasten und das Beste hoffen.

Die Physiotherapeutin kam eine Woche später wieder zu uns. Wieder rastete Jonathan aus. Wir beschlossen ihm mehr Zeit zu geben und warteten noch ein wenig ab.


Und irgendwann: funktionierte es und sie durfte ihn anfassen und beginnen mit ihm zu arbeiten.

Von Termin zu Termin wurde es besser. Jonathan wurde stärker. Eroberte sich seine Fähigkeiten zurück. Begann wieder zu krabbeln und sich hinzusetzen. Am Anfang konnte er nur 2 Meter weit krabbeln und war dann fix und fertig….aber es wurde von Tag zu Tag mehr.
Ich arbeitete jeden Tag mit ihm: trainierte was die Physiotherapeutin mir empfahl. Oftmals klappte es nicht richtig – Jonathan hatte keine Lust….oder war erschöpft….oder er machte nur wenige Minuten mit und dann wurde es ihm zu anstrengend.

In dieser Zeit…hatte ich selbst so gut wie keine Zeit für mich, zum essen oder…um in Ruhe auf Toilette zu gehen.
21 Medikamentengaben am Tag. Circa 8x Windelwechsel. 7 Mahlzeiten. Dazwischen Trinken geben. Physioübungen machen. Jonathans Mund „pflegen“ weil er ständig Probleme mit Bläschen und Ausschlag hatte. Fieber messen. Fiebermedikamente geben. Arztbesuche. Umziehen weil Jonathan gespuckt hatte und/oder die Windel übergelaufen war. Jonathan durch die Gegend tragen weil er weinte und unruhig war. Essen für Marvin zubereiten. Telefonate führen weil Dinge organisiert werden mussten.

Ich hätte jeden Abend wenn mein Mann heim kam am liebsten vor Erleichterung geweint….und morgens wenn ich aufwachte war ich schon total erschöpft weil ich wusste das dieser Tag genauso anstrengend werden würde wie der davor….und der davor…
Unsere Eltern hätten uns gerne unterstützt: Jonathan mal genommen und gekuschelt. Aber es durfte sich niemand mit ihm gemeinsam im Raum aufhalten – nur mein Mann und ich. Selbst Marvin durfte nur da sein wenn Jonathan bei einem von uns auf dem Arm war.

Er hatte ein Trauma.
Durch den Klinikaufenthalt und die Enzephalitis. Wir verstanden es. Aber es kostete uns alle Kraft die wir hatten.
Und wir wussten nicht wie lange das so gehen würde.


Der kleine Mann weinte total viel und war einfach so unglücklich. Das machte mich fertig!
Und weil unsere Reittherapeutin über die Zeit mehr als nur eine Therapeutin geworden ist….“heulte“ ich mich bei ihr aus und erzählte ihr wie anstrengend, beängstigend und belastend das alles war.

Jonathan konnte, entgegen der Vorstellung der Ärzte, die Reittherapie zu dem Zeitpunkt noch nicht wieder aufnehmen. Er war einfach noch nicht in der Lage wieder im Sattel zu sitzen, hatte keinen Muskeltonus und war viel zu schnell erschöpft.

Das wusste die Reittherapeutin natürlich.

Aber sie sagte zu mir das wir gerne auch zum Kuscheln vorbeikommen könnten. Jonathan müsse ja nicht im Sattel sitzen…aber er könne einfach auf Bellas Rücken liegen, sie streicheln, fühlen und riechen. Sich ein wenig „ablenken“ und einfach etwas Schönes erleben.

Ich sagte sofort JA und wir vereinbarten einen Termin.

Ein paar Tage vorher schaute ich mit Jonathan Videos von Bella an die die Therapeutin uns schickte und erzählte ihm von seinem Pony. Erzählte ihm das er sie bald besuchen fahren würde.

Und dann kamen wir im Stall an.

Die Therapeutin und ich hatten verabredet das sie Jonathan nicht auf den Arm nehmen würde, da er auf die Physiotherapeutin ja so ablehnend reagiert hatte. ICH würde Joni zu Bella bringen, ihn auf ihren Rücken legen usw.


Wir hatten uns viel zu viele Gedanken gemacht.
Jonathan sah Bella….gluckste und zeigte auf sie. Er freute sich, man sah es ihm an.

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern wie es abgelaufen ist…aber auf einmal hatte die Therapeutin ihn auf dem Arm, setzte ihn auf Bellas Rücken und…….er lachte. Jonathan lachte.
Das erste Mal seit…ich weiß nicht: 6 Wochen??

Es war der Knaller.

20 Minuten hat er durchgehalten: Bella geschmust, auf ihr gelegen, sie gestreichelt. Er hat ihr sogar ZUM ALLERERSTEN MAL überhaupt…einen Kuß gegeben.
Ich habe so mit den Tränen gekämpft.

Bella….hat Jonathan „geheilt“.
Sie hat ihm einen Teil des Traumas abgenommen und ihm seine Lebensfreude zurück gegeben. Ihm vielleicht sogar die Kraft gegeben sich zurück zu kämpfen.

Gemeinsam mit diesen beiden Therapeuten und Bella haben wir es geschafft das Jonathan in REKORDZEIT der Alte wurde.
Unser Neurologe war beim Kontrolltermin überrascht….und erfreut!...schon wieder den „alten Jonathan“ zu sehen.

Beim Kontroll-MRT knapp 4 Monate nach der Enzephalitis wurden wir von einem Kamera-Team von „SAT1-AKTE 2020“ begleitet.
Unser behandelnder Arzt bestätigte vor laufender Kamera eine komplette Heilung des Gehirns. Und auf die Frage unserer Redakteurin ob das normal sei nach so kurzer Zeit und einem so schweren Befund sagte er sinngemäß: „Nein, das ist nicht normal. Das ist ein Wunder! Jonathan ist ein ganz großer Kämpfer!“