Ein hartes Stück Arbeit
Nachdem die ersten drei Tage der Enzephalitis in der Klinik geschafft waren
und Jonis Blutwerte besser wurden – Joni selbst wieder sehr viel wacher und
agiler wurde….wussten wir das er es schaffen würde: er würde leben und wir
würden ihn mit nach Hause nehmen.
Unser Neurologe hatte nie Zweifel daran das Jonathan alle seine Fähigkeiten
zurückerlangen würde. Aber er sagte uns das wir wegen der Schwere des Befundes damit
rechnen müssten das es MINDESTENS 6 Monate dauern würde bis unser Joni wieder der
Alte wäre. Und das viel Arbeit -also viel Physiotherapie- auf uns zukommen würde.
Ich erzählte das Jonathan neben der wöchentlichen Physiotherapie nach
Bobath auch einmal wöchentlich zur Reittherapie gehen würde und fragte ob das auch
in der jetzigen Situation ratsam/empfehlenswert sei.
Das bejahten die Ärzte voller Inbrunst. Sie waren überzeugt das die Kombination
aus beiden Therapien Jonathan sehr helfen würde.
Bei unserer Physiotherapeutin sind wir nun schon circa 3 Jahre in Behandlung.
Sie ist SEHR kompetent und weiß was sie tut! Wir fühlen uns bei ihr sehr gut
aufgehoben und wissen das wir heute nicht da wären wo wir sind….wenn wir sie
nicht hätten.
Das Konzept nach Bobath ist für mich DAS was wirklich funktioniert! Es ist (im
Gegensatz zum Konzept nach Vojta) für MICH im Alltag relativ einfach umzusetzen:
hat man das Prinzip einmal verstanden, werden Alltagsgegenstände zu Hilfsmitteln
für Physioübungen und diese werden ganz selbstverständlich ins Spiel eingebaut.
So kommt man natürlich auf viel mehr „Therapiezeit“ als wenn die Übungen „erzwungen“
sind und dem Kind keinen Spaß machen – und so war es bei uns leider bei Vojta.
Macht man aber mehr „Therapie“ – erzielt man mehr Erfolge. Logisch, oder?
Uns war also klar: gemeinsam mit unserer Physiotherapeutin würden wir es
schaffen das Jonathan wieder ganz der Alte werden würde!
Nachdem wir aus der Klinik entlassen wurden haben wir beschlossen uns allen
…trotz der Dringlichkeit das Jonathan wieder motorisch fit werden musste… eine
Pause zu gönnen. Um erstmal zu Hause anzukommen und zu verarbeiten was passiert
ist. Um Jonathan erstmal wieder etwas zu Kräften kommen zu lassen.
Nach einigen Tagen habe ich mit der Physiotherapeutin über die Möglichkeiten
des Hausbesuches gesprochen und das war für sie überhaupt kein Problem - wofür
ich sehr dankbar war: so musste ich Joni nicht durch die Gegend „zerren“. Er war
zu dem Zeitpunkt nämlich noch sehr schwach und jede Anstrengung machte ihn
unglaublich fertig und müde.
Aber als ihr erster Hausbesuch bei uns stattfand -er war nur dazu gedacht eine
„Bestandsaufnahme“ zu machen und zu schauen wie wir nun gemeinsam verfahren
wollten- waren wir beide geschockt. Jonathan ließ sie nicht in seine Nähe. Sie durfte
nicht mal im selben Zimmer sein wie er. Der kleine Mann brüllte und wand sich,
er war richtig panisch! Mein Mann hat mit ihm den Raum verlassen und ich habe
mit der Therapeutin darüber geredet wie ich Joni bestmöglich fördern kann.
Nach diesem Termin hatte ich Angst.
Angst das wir nicht in absehbarer Zeit mit der Therapie würden starten
können…Angst das Jonathan dadurch nicht wieder zu seinem ursprünglichen ICH
zurückfinden würde…Angst das er vielleicht gar nicht mehr der Alte werden
KÖNNTE. Denn in den Augen der Therapeutin hatte ich gesehen dass sie geschockt
über den motorischen Zustand war in dem er sich befand: er konnte sich ja kaum
bewegen….
Aber es half nichts. Wir mussten uns langsam rantasten und das Beste hoffen.
Die Physiotherapeutin kam eine Woche später wieder zu uns. Wieder rastete
Jonathan aus. Wir beschlossen ihm mehr Zeit zu geben und warteten noch ein
wenig ab.
Und irgendwann: funktionierte es und sie durfte ihn anfassen und beginnen
mit ihm zu arbeiten.
Von Termin zu Termin wurde es besser. Jonathan wurde stärker. Eroberte sich
seine Fähigkeiten zurück. Begann wieder zu krabbeln und sich hinzusetzen. Am
Anfang konnte er nur 2 Meter weit krabbeln und war dann fix und fertig….aber es
wurde von Tag zu Tag mehr.
Ich arbeitete jeden Tag mit ihm: trainierte was die Physiotherapeutin mir empfahl.
Oftmals klappte es nicht richtig – Jonathan hatte keine Lust….oder war erschöpft….oder
er machte nur wenige Minuten mit und dann wurde es ihm zu anstrengend.
In dieser Zeit…hatte ich selbst so gut wie keine Zeit für mich, zum essen
oder…um in Ruhe auf Toilette zu gehen.
21 Medikamentengaben am Tag. Circa 8x Windelwechsel. 7 Mahlzeiten.
Dazwischen Trinken geben. Physioübungen machen. Jonathans Mund „pflegen“ weil
er ständig Probleme mit Bläschen und Ausschlag hatte. Fieber messen. Fiebermedikamente
geben. Arztbesuche. Umziehen weil Jonathan gespuckt hatte und/oder die Windel
übergelaufen war. Jonathan durch die Gegend tragen weil er weinte und unruhig
war. Essen für Marvin zubereiten. Telefonate führen weil Dinge organisiert
werden mussten.
Ich hätte jeden Abend wenn mein Mann heim kam am liebsten vor Erleichterung
geweint….und morgens wenn ich aufwachte war ich schon total erschöpft weil ich wusste
das dieser Tag genauso anstrengend werden würde wie der davor….und der davor…
Unsere Eltern hätten uns gerne unterstützt: Jonathan mal genommen und
gekuschelt. Aber es durfte sich niemand mit ihm gemeinsam im Raum aufhalten –
nur mein Mann und ich. Selbst Marvin durfte nur da sein wenn Jonathan bei einem
von uns auf dem Arm war.
Er hatte ein Trauma.
Durch den Klinikaufenthalt und die Enzephalitis. Wir verstanden es. Aber es
kostete uns alle Kraft die wir hatten.
Und wir wussten nicht wie lange das so gehen würde.
Der kleine Mann weinte total viel und war einfach so unglücklich. Das machte
mich fertig!
Und weil unsere Reittherapeutin über die Zeit mehr als nur eine Therapeutin
geworden ist….“heulte“ ich mich bei ihr aus und erzählte ihr wie anstrengend,
beängstigend und belastend das alles war.
Jonathan konnte, entgegen der Vorstellung der Ärzte, die Reittherapie zu
dem Zeitpunkt noch nicht wieder aufnehmen. Er war einfach noch nicht in der
Lage wieder im Sattel zu sitzen, hatte keinen Muskeltonus und war viel zu schnell
erschöpft.
Das wusste die Reittherapeutin natürlich.
Aber sie sagte zu mir das wir gerne auch zum Kuscheln vorbeikommen könnten.
Jonathan müsse ja nicht im Sattel sitzen…aber er könne einfach auf Bellas
Rücken liegen, sie streicheln, fühlen und riechen. Sich ein wenig „ablenken“
und einfach etwas Schönes erleben.
Ich sagte sofort JA und wir vereinbarten einen Termin.
Ein paar Tage vorher schaute ich mit Jonathan Videos von Bella an die die
Therapeutin uns schickte und erzählte ihm von seinem Pony. Erzählte ihm das er
sie bald besuchen fahren würde.
Und dann kamen wir im Stall an.
Die Therapeutin und ich hatten verabredet das sie Jonathan nicht auf den
Arm nehmen würde, da er auf die Physiotherapeutin ja so ablehnend reagiert
hatte. ICH würde Joni zu Bella bringen, ihn auf ihren Rücken legen usw.
Wir hatten uns viel zu viele Gedanken gemacht.
Jonathan sah Bella….gluckste und zeigte auf sie. Er freute sich, man sah es
ihm an.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern wie es abgelaufen ist…aber auf
einmal hatte die Therapeutin ihn auf dem Arm, setzte ihn auf Bellas Rücken und…….er
lachte. Jonathan lachte.
Das erste Mal seit…ich weiß nicht: 6 Wochen??
Es war der Knaller.
20 Minuten hat er durchgehalten: Bella geschmust, auf ihr gelegen, sie gestreichelt.
Er hat ihr sogar ZUM ALLERERSTEN MAL überhaupt…einen Kuß gegeben.
Ich habe so mit den Tränen gekämpft.
Bella….hat Jonathan „geheilt“.
Sie hat ihm einen Teil des Traumas abgenommen und ihm seine Lebensfreude
zurück gegeben. Ihm vielleicht sogar die Kraft gegeben sich zurück zu kämpfen.
Gemeinsam mit diesen beiden Therapeuten und Bella haben wir es geschafft
das Jonathan in REKORDZEIT der Alte wurde.
Unser Neurologe war beim Kontrolltermin überrascht….und erfreut!...schon
wieder den „alten Jonathan“ zu sehen.
Beim Kontroll-MRT knapp 4 Monate nach der Enzephalitis wurden wir von einem
Kamera-Team von „SAT1-AKTE 2020“ begleitet.
Unser behandelnder Arzt bestätigte vor laufender Kamera eine komplette
Heilung des Gehirns. Und auf die Frage unserer Redakteurin ob das normal sei
nach so kurzer Zeit und einem so schweren Befund sagte er sinngemäß: „Nein, das
ist nicht normal. Das ist ein Wunder! Jonathan ist ein ganz großer Kämpfer!“