Freitag, 3. April 2020


Ein hartes Stück Arbeit
Nachdem die ersten drei Tage der Enzephalitis in der Klinik geschafft waren und Jonis Blutwerte besser wurden – Joni selbst wieder sehr viel wacher und agiler wurde….wussten wir das er es schaffen würde: er würde leben und wir würden ihn mit nach Hause nehmen.

Unser Neurologe hatte nie Zweifel daran das Jonathan alle seine Fähigkeiten zurückerlangen würde. Aber er sagte uns das wir wegen der Schwere des Befundes damit rechnen müssten das es MINDESTENS 6 Monate dauern würde bis unser Joni wieder der Alte wäre. Und das viel Arbeit -also viel Physiotherapie- auf uns zukommen würde.

Ich erzählte das Jonathan neben der wöchentlichen Physiotherapie nach Bobath auch einmal wöchentlich zur Reittherapie gehen würde und fragte ob das auch in der jetzigen Situation ratsam/empfehlenswert sei.
Das bejahten die Ärzte voller Inbrunst. Sie waren überzeugt das die Kombination aus beiden Therapien Jonathan sehr helfen würde.


Bei unserer Physiotherapeutin sind wir nun schon circa 3 Jahre in Behandlung. Sie ist SEHR kompetent und weiß was sie tut! Wir fühlen uns bei ihr sehr gut aufgehoben und wissen das wir heute nicht da wären wo wir sind….wenn wir sie nicht hätten.

Das Konzept nach Bobath ist für mich DAS was wirklich funktioniert! Es ist (im Gegensatz zum Konzept nach Vojta) für MICH im Alltag relativ einfach umzusetzen: hat man das Prinzip einmal verstanden, werden Alltagsgegenstände zu Hilfsmitteln für Physioübungen und diese werden ganz selbstverständlich ins Spiel eingebaut. So kommt man natürlich auf viel mehr „Therapiezeit“ als wenn die Übungen „erzwungen“ sind und dem Kind keinen Spaß machen – und so war es bei uns leider bei Vojta.

Macht man aber mehr „Therapie“ – erzielt man mehr Erfolge. Logisch, oder?

Uns war also klar: gemeinsam mit unserer Physiotherapeutin würden wir es schaffen das Jonathan wieder ganz der Alte werden würde!



Nachdem wir aus der Klinik entlassen wurden haben wir beschlossen uns allen …trotz der Dringlichkeit das Jonathan wieder motorisch fit werden musste… eine Pause zu gönnen. Um erstmal zu Hause anzukommen und zu verarbeiten was passiert ist. Um Jonathan erstmal wieder etwas zu Kräften kommen zu lassen.

Nach einigen Tagen habe ich mit der Physiotherapeutin über die Möglichkeiten des Hausbesuches gesprochen und das war für sie überhaupt kein Problem - wofür ich sehr dankbar war: so musste ich Joni nicht durch die Gegend „zerren“. Er war zu dem Zeitpunkt nämlich noch sehr schwach und jede Anstrengung machte ihn unglaublich fertig und müde.

Aber als ihr erster Hausbesuch bei uns stattfand -er war nur dazu gedacht eine „Bestandsaufnahme“ zu machen und zu schauen wie wir nun gemeinsam verfahren wollten- waren wir beide geschockt. Jonathan ließ sie nicht in seine Nähe. Sie durfte nicht mal im selben Zimmer sein wie er. Der kleine Mann brüllte und wand sich, er war richtig panisch! Mein Mann hat mit ihm den Raum verlassen und ich habe mit der Therapeutin darüber geredet wie ich Joni bestmöglich fördern kann.

Nach diesem Termin hatte ich Angst.
Angst das wir nicht in absehbarer Zeit mit der Therapie würden starten können…Angst das Jonathan dadurch nicht wieder zu seinem ursprünglichen ICH zurückfinden würde…Angst das er vielleicht gar nicht mehr der Alte werden KÖNNTE. Denn in den Augen der Therapeutin hatte ich gesehen dass sie geschockt über den motorischen Zustand war in dem er sich befand: er konnte sich ja kaum bewegen….

Aber es half nichts. Wir mussten uns langsam rantasten und das Beste hoffen.

Die Physiotherapeutin kam eine Woche später wieder zu uns. Wieder rastete Jonathan aus. Wir beschlossen ihm mehr Zeit zu geben und warteten noch ein wenig ab.


Und irgendwann: funktionierte es und sie durfte ihn anfassen und beginnen mit ihm zu arbeiten.

Von Termin zu Termin wurde es besser. Jonathan wurde stärker. Eroberte sich seine Fähigkeiten zurück. Begann wieder zu krabbeln und sich hinzusetzen. Am Anfang konnte er nur 2 Meter weit krabbeln und war dann fix und fertig….aber es wurde von Tag zu Tag mehr.
Ich arbeitete jeden Tag mit ihm: trainierte was die Physiotherapeutin mir empfahl. Oftmals klappte es nicht richtig – Jonathan hatte keine Lust….oder war erschöpft….oder er machte nur wenige Minuten mit und dann wurde es ihm zu anstrengend.

In dieser Zeit…hatte ich selbst so gut wie keine Zeit für mich, zum essen oder…um in Ruhe auf Toilette zu gehen.
21 Medikamentengaben am Tag. Circa 8x Windelwechsel. 7 Mahlzeiten. Dazwischen Trinken geben. Physioübungen machen. Jonathans Mund „pflegen“ weil er ständig Probleme mit Bläschen und Ausschlag hatte. Fieber messen. Fiebermedikamente geben. Arztbesuche. Umziehen weil Jonathan gespuckt hatte und/oder die Windel übergelaufen war. Jonathan durch die Gegend tragen weil er weinte und unruhig war. Essen für Marvin zubereiten. Telefonate führen weil Dinge organisiert werden mussten.

Ich hätte jeden Abend wenn mein Mann heim kam am liebsten vor Erleichterung geweint….und morgens wenn ich aufwachte war ich schon total erschöpft weil ich wusste das dieser Tag genauso anstrengend werden würde wie der davor….und der davor…
Unsere Eltern hätten uns gerne unterstützt: Jonathan mal genommen und gekuschelt. Aber es durfte sich niemand mit ihm gemeinsam im Raum aufhalten – nur mein Mann und ich. Selbst Marvin durfte nur da sein wenn Jonathan bei einem von uns auf dem Arm war.

Er hatte ein Trauma.
Durch den Klinikaufenthalt und die Enzephalitis. Wir verstanden es. Aber es kostete uns alle Kraft die wir hatten.
Und wir wussten nicht wie lange das so gehen würde.


Der kleine Mann weinte total viel und war einfach so unglücklich. Das machte mich fertig!
Und weil unsere Reittherapeutin über die Zeit mehr als nur eine Therapeutin geworden ist….“heulte“ ich mich bei ihr aus und erzählte ihr wie anstrengend, beängstigend und belastend das alles war.

Jonathan konnte, entgegen der Vorstellung der Ärzte, die Reittherapie zu dem Zeitpunkt noch nicht wieder aufnehmen. Er war einfach noch nicht in der Lage wieder im Sattel zu sitzen, hatte keinen Muskeltonus und war viel zu schnell erschöpft.

Das wusste die Reittherapeutin natürlich.

Aber sie sagte zu mir das wir gerne auch zum Kuscheln vorbeikommen könnten. Jonathan müsse ja nicht im Sattel sitzen…aber er könne einfach auf Bellas Rücken liegen, sie streicheln, fühlen und riechen. Sich ein wenig „ablenken“ und einfach etwas Schönes erleben.

Ich sagte sofort JA und wir vereinbarten einen Termin.

Ein paar Tage vorher schaute ich mit Jonathan Videos von Bella an die die Therapeutin uns schickte und erzählte ihm von seinem Pony. Erzählte ihm das er sie bald besuchen fahren würde.

Und dann kamen wir im Stall an.

Die Therapeutin und ich hatten verabredet das sie Jonathan nicht auf den Arm nehmen würde, da er auf die Physiotherapeutin ja so ablehnend reagiert hatte. ICH würde Joni zu Bella bringen, ihn auf ihren Rücken legen usw.


Wir hatten uns viel zu viele Gedanken gemacht.
Jonathan sah Bella….gluckste und zeigte auf sie. Er freute sich, man sah es ihm an.

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern wie es abgelaufen ist…aber auf einmal hatte die Therapeutin ihn auf dem Arm, setzte ihn auf Bellas Rücken und…….er lachte. Jonathan lachte.
Das erste Mal seit…ich weiß nicht: 6 Wochen??

Es war der Knaller.

20 Minuten hat er durchgehalten: Bella geschmust, auf ihr gelegen, sie gestreichelt. Er hat ihr sogar ZUM ALLERERSTEN MAL überhaupt…einen Kuß gegeben.
Ich habe so mit den Tränen gekämpft.

Bella….hat Jonathan „geheilt“.
Sie hat ihm einen Teil des Traumas abgenommen und ihm seine Lebensfreude zurück gegeben. Ihm vielleicht sogar die Kraft gegeben sich zurück zu kämpfen.

Gemeinsam mit diesen beiden Therapeuten und Bella haben wir es geschafft das Jonathan in REKORDZEIT der Alte wurde.
Unser Neurologe war beim Kontrolltermin überrascht….und erfreut!...schon wieder den „alten Jonathan“ zu sehen.

Beim Kontroll-MRT knapp 4 Monate nach der Enzephalitis wurden wir von einem Kamera-Team von „SAT1-AKTE 2020“ begleitet.
Unser behandelnder Arzt bestätigte vor laufender Kamera eine komplette Heilung des Gehirns. Und auf die Frage unserer Redakteurin ob das normal sei nach so kurzer Zeit und einem so schweren Befund sagte er sinngemäß: „Nein, das ist nicht normal. Das ist ein Wunder! Jonathan ist ein ganz großer Kämpfer!“