Mittwoch, 25. März 2020


Wenn man hinfällt: aufstehen…Krone richten…weiter machen!
Einige Wochen sind vergangen seit Lotta ihre Flügelchen genommen hat und davon geflogen ist.

Wochen in denen ich wirklich viel geweint habe….
…weil ich traurig bin…
…weil ich mit Lottas Familie mitfühle…
…weil ich Angst habe das Joni der Nächste ist…
…aber auch weil ich glücklich bin das Lotta überhaupt ein Teil meines Lebens war!

Ich durfte sie im Arm halten und knuddeln…ich habe sie lachen gesehen….ich durfte eine Woche lang mit ihr in Liverpool zusammen sein.

Nur 647 Tage währte ihr Leben.  
Ich habe zwar (für meinen Geschmack) nicht GENUG Erinnerungen an sie…aber ich HABE Erinnerungen. Und die wird mir niemand jemals wegnehmen können.


Lottas Tod….hat mich trotzdem in ein Loch fallen lassen.

Zum einen emotional - einfach weil ich Lotta VERDAMMT lieb habe.
Zum anderen existentiell…weil ich Zweifel daran hatte ob ich der Vereinsarbeit WIRKLICH gewachsen bin - ob ich es aushalten werde weitere Kinder auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Vielleicht nicht WENIGE.


Das Eltern von Kindern mit MPD stark sind: wusste ich.
Aber WIE STARK Eltern von Kindern mit MPD sind hat mir wieder mal…..Lottas Mama gezeigt.
Sie hat mir nach meinem letzten Beitrag (der so voller Zweifel war) eine Nachricht geschickt. Ausgerechnet SIE war es die mich aufgebaut, die mir Mut zugesprochen hat. Die mir gesagt hat WIE WICHTIG die Vereinsarbeit für betroffene Familien ist und WIE VIEL diese Arbeit im vergangenen Jahr schon bewegt hat.

Sie hat mir gesagt dass ich weiter machen MUSS. Für die betroffenen Familien….


Ihre Worte haben mir SO VIEL Kraft gegeben.

Hinzufallen ist keine Schande!!! Aber liegen bleiben wäre es…

Also „aufstehen…Krone richten…weitermachen“!!!



Und sollte ich mal wieder hinfallen….was bestimmt passieren wird!....dann weiß ich das jemand da sein wird der mir die Hand reicht und mir hilft aufzustehen….

…an einem der vielen schlechten Tage den ich in den letzten Wochen hatte….habe ich mit einer weiteren betroffenen deutschen Mami gesprochen und ihr alle meine Sorgen und Ängste erzählt.

Und sie hat etwas gesagt das mich so zum Weinen gebracht….und mir doch so sehr geholfen hat!

Sie hat gesagt….das WALKING WITH GIANTS GERMANY wie eine Pyramide ist.
Eine Pyramide an deren Spitze meine Familie und ich stehen – denn wir sind diejenigen die sich in der Öffentlichkeit zeigen und den Verein repräsentieren. Wir sind diejenigen die viel Lob - aber auch viel Kritik und dumme Kommentare einstecken. Wir sind diejenigen die für den Rest der Pyramide „kämpfen“.

…und dafür vom Rest der Pyramide -der sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen möchte- gehalten und aufgefangen werden….wir sind nicht allein, wir werden immer getragen und unterstützt. Aus dem Hintergrund heraus….und doch auf festem Fundament.


Lottas Tod hat unsere ganze WWG-Familie schwer erschüttert. Lotta hinterlässt eine Lücke die nicht zu schließen sein wird.
Dazu kommt….jede unserer Familien musste sich ZUM ERSTEN MAL ihren Urängsten stellen: dem Tod des eigenen Kindes.

Eine schwere Zeit für uns alle.
Aber eine Zeit die uns als Gruppe hat auch wachsen lassen…wir sind näher zusammen gerückt. Wir sind stärker geworden. Und wir werden noch SEHR SEHR VIEL zusammen schaffen!!! 8o)

Und falls sich einige von euch das nun fragen sollten….8o)
Lottas Familie bleibt natürlich weiterhin Teil von WWGG. So lange wie sie selbst das wollen.




Die ersten Wochen nach der Enzephalitis
Und nun kehren wir zum Thema JONATHAN zurück. In den Herbst 2019.

Im letzten Blogbeitrag zum Thema Enzephalitis habe ich die vielfältigen Probleme aufgezählt die wir mit Jonathan nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zu bewältigen hatten.


Es war eine wirklich nervenaufreibende Zeit!!

Zuerst waren wir ja froh aus der Klinik entlassen zu sein weil wir wussten das Jonathan zu Hause glücklicher sein und besser essen und trinken wird.
Doch dann hatten wir wirklich JEDE WOCHE mit einem Infekt zu tun…er hatte dauernd Fieber….er wollte nicht trinken.

Und er wollte nicht wirklich essen.

Dabei war er SO DERMASSEN abgemagert das seine Oberschenkel nur noch so dick waren wie mein Daumen.

Ich konnte ihn wochenlang nicht wickeln. Konnte ihn nicht nackt sehen weil ich dann weinen musste…
Mein Mann war tapfer und hat es gemacht.

Jonis Beine waren soooo dünn: er war in der Lage die Beine IN DEN ORTHESEN zu drehen.
Wir hatten solche Angst das dadurch nun das Operationsergebnis zerstört werden und die Kniescheiben herausspringen würden.
Doch wir konnten nichts tun…..nichts außer ihm die Orthesen weiterhin jeden Tag anzuziehen und das Beste zu hoffen.


Essen war eine Quälerei wie wir sie bei Jonathan noch NIE erlebt hatten.
(Heute vermute ich das es ihn einfach wahnsinnig angestrengt hat!)

Er musste gemästet werden um zuzunehmen, also gab es viel Schokopudding und „Opas Suppen mit Sahne“. Doch Jonathan schmiss den Kopf hin und her, weinte…lies das Essen einfach aus dem Mund herauslaufen.

Ablenkung musste her.

Also haben wir ihn alle zwei Stunden dick eingepackt, in den Buggy verfrachtet und sind mit ihm zur Hauptstrasse in unserem Ort gelaufen. Da standen wir dann am Straßenrand, er beobachtete die Autos und wir versuchten Löffel für Löffel Essen in seinen Mund zu bekommen.

20g waren ein RIESENERFOLG!!!

..und nach zwei Stunden dann wieder…



In dieser Zeit brauchte Jonathan auch noch Cortison und Kalium. Und das in großen Mengen.
Beides schmeckte offensichtlich ekelhaft und die Gabe war zu Hause nur möglich wenn sich die komplette Familie zum Affen machte (tanzte, auf dem Boden turnte oder sich einfach umfallen ließ).
Lenkte man den kleinen Mann nicht gut genug ab: erbrach er sofort alles.


Auch hier….gingen wir raus zur Straße und schauten Autos an.

Irgendwann hatten wir unseren Zeitplan so angepasst das wir Medikamente und Essen miteinander verbinden konnten…


Dachten wir während der Krankenhauszeit das unsere Ängste nicht größer sein könnten…wurden wir nun eines Besseren belehrt!!!

Fieber…Probleme beim Essen und Trinken…schlechte Nierenwerte…
Jeder Tag war eine RIESIGE Herausforderung. Wir hatten Angst das wir wieder in die Klinik müssten und gaben einfach ALLES damit Joni aß und trank.

Die Nachbarn lächelten schon wenn wir wieder mit dem Buggy und dem Essen in der Hand Richtung Straße vorbei liefen.

Oftmals klappte aber auch die Ablenkung Straße nicht.
Dann stand man eine halbe Stunde da und löffelte langsam das Essen in Jonis Mund und urplötzlich: erbrach er sich – und die ganze Mühe war umsonst.

Ganz blöd war es wenn man Medikamente gegeben hatte und sich fragte ob die wenigstens drin geblieben waren.

An manchen Tagen lief es einfach nicht gut: die Essensmenge war zu gering…Jonathan hatte zusätzlich erbrochen…kaum was getrunken. An solchen Tagen wurde ich panisch und schrie oft ohne Grund meine Männer an, war aufgelöst und hatte Angst wieder in die Klinik zu müssen.

Jonathan weinte unfassbar viel. So kannten wir ihn nicht. 4,5 Jahre lang war er ein so freundlicher und fröhlicher kleiner Kerl – und jetzt weinte er permanent. Er wollte DEN GANZEN TAG herumgetragen und gekuschelt werden. Klar: er konnte sich ja auch nicht mehr selbst bewegen! Bis auf Kopf drehen und Finger bewegen ging einfach GAR NICHTS MEHR. Natürlich merkte er das er seine Fähigkeiten verloren hatte….aber er verstand nicht warum - und auch nicht das er alles wieder lernen konnte.

Mein Kind so zu sehen….so unglücklich….das hat mir das Herz gebrochen. Denn ich konnte nichts tun! Ich habe ihm 1000 Mal am Tag gesagt „Du wirst wieder alles lernen was Du mal konntest! Du darfst keine Angst haben!“…aber er hat mich nicht verstanden.


Ein Freund von uns ist Kinderarzt. Ich weiß nicht wie oft ich ihm Sprachnachrichten geschickt und ihm Situationen geschildert habe die uns überforderten. Er sagte immer nur: „Seid geduldig!! Ihr braucht jetzt einen langen Atem!“

Er hatte Recht.

Es wurde einfacher. Tag für Tag. Immer ein kleines Stückchen.

Joni kam zu Kräften. Er konnte mehr essen. Wodurch er noch mehr Kraft sammeln und noch mehr essen konnte.
Wir fanden eine neue Ablenkung: wir zeigten ihm Videos von sich selbst. Beim krabbeln….beim plappern…beim Radfahren…aus dem Urlaub.

Keine Ahnung wer von uns auf die Idee mit den Videos kam, aber wir sagten uns gegenseitig: „Wenn Joni das sieht…dann erinnert er sich vielleicht daran was er alles konnte. Und vielleicht versucht er diese Dinge dann auch wieder zu lernen.“


Erst passierte nichts. Außer das Jonathan Spaß daran hatte diese Videos anzusehen und vor sich hin gluckste. Und wir nicht mehr zur Straße laufen mussten weil Essen jetzt daheim funktionierte.

Eines Morgens…mein Mann hatte Homeoffice, wollte arbeiten gehen und mir Jonathan geben. Ich sagte: „Leg ihn mal auf den Boden, ich will noch schnell durchsaugen.“….er legte ihn auf den Boden und ging. Da….krabbelte Joni einfach zum Staubsauger, schaute ihn an…und setzte sich hin.

Ich KREISCHTE los…mein Mann kam gerannt, er dachte wahrscheinlich es sei was passiert….und dann schauten wir beide diesen kleinen tapferen Kerl an der auf dem Boden saß als sei nie was passiert. Und zumindest MIR standen Tränen in den Augen.

Von diesem Tag an ging es aufwärts.

Jonathan hatte gemerkt das er sich ins Leben zurück kämpfen konnte. Und er tat es.

Heute…im März 2020…hat er alle Fähigkeiten von vor der Enzephalitis wieder zurück. Und noch einige neue dazu gewonnen!!! 8o)