Freitag, 11. Oktober 2019


September 2019: der schlimmste Monat den wir je hatten
EIGENTLICH sollte dieser Blogbeitrag davon handeln wie der aktuelle Entwicklungsstand bei Jonathan ist: was hat sich nach der Delphintherapie verändert und wo stehen wir momentan??
Denn schon lange habe ich kein Update mehr über Jonis Fortschritte gegeben….

Aber es ist etwas Unvorhergesehenes passiert.

Anfang September ist der kleine Mann krank geworden: ein Virus mit Fieber. Auch Marvin hat sich unwohl gefühlt und so bin ich mit beiden Jungs zum Arzt gefahren.

Ein Virus: Fiebersenker, viel trinken und viel Ruhe war die Ansage des Arztes.

Marvin ging es nach ein paar Tagen schon deutlich besser.
Jonathan hingegen…..hat 5 Tage lang hoch gefiebert: jeden Tag über 40 Grad mit Schüttelfrost.

Unser Kinderarzt sagte das wir aufpassen müssen das das Fieber nicht ZU SCHNELL ansteigt damit Joni keinen Fieberkrampf bekommt: doch das Fieber stieg schnell, manchmal um 1 Grad in 10 Minuten. Wir haben Brustwickel gemacht was das Zeug hielt. (Wadenwickel gingen ja nicht wegen der Orthesen!) Nach ein paar Tagen sogar mit Pfefferminztee weil unsere Reittherapeutin sagte das kühlt besser: stimmte auch!!!

Doch....es wurde nicht besser…
Der Virus hat von unserem kleinen Mann Besitz ergriffen und sich in seinem Mund ausgebreitet. Aphten und Beläge im kompletten Mund: auf der Zunge, dem Zahnfleisch und in den Wangentaschen. Es wurde immer mehr….trinken und essen war eine Quälerei, Jonathan hatte unvorstellbare Schmerzen: und doch hat er gegessen und getrunken – begleitet von Tränen.

Ich war am Limit. Ihn so zu sehen überstieg meine Kräfte.

Täglich habe ich unseren Kinderarzt „genervt“ und ihn gefragt ob wir nicht doch etwas machen können: ob es nicht doch ein Medikament gibt das Jonathan helfen würde.

Aber immer sagte er dass ich es aussitzen müsse, gegen einen Virus hilft nichts. Stimmt ja auch.  

Dann kam das Wochenende – und der Geburtstag meines Mannes.
Jonathan hatte nun seit 6 Tagen hohes Fieber. Der Ausschlag war mittlerweile so schlimm geworden das der kleine Mann den Mund nicht mehr zubekam. Und dann…fing er an zu schreien – und hörte für Stunden nicht mehr auf.

Irgendwann…..hatte ich so ein Gefühl. Ich kann es nicht genau beschreiben….es war Unruhe in mir - und Angst. Mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg.

Da sagte ich zu meinem Mann dass wir nun eine Tasche packen und ins Krankenhaus fahren. Weil ich das Gefühl habe wir sollten das UMGEHEND TUN.
Mein Mann war skeptisch und fragte mich ob ich das wirklich für nötig erachte, schließlich hatte der Kinderarzt gesagt wir sollten es aussitzen. Aber ich ließ mich nicht beirren…irgendwas trieb mich zur Eile an.
                                                                          
Ich packte….und wir fuhren los. Ich war wie in Trance, spürte das Joni in dieser Nacht nicht zu Hause sein würde. 

In der Klinik wurde Blut abgenommen, ein Abstrich vom Mund gemacht…und dann kam das Ergebnis.

Jonathans Kaliumwert lag nur noch bei 1,7.

Viel zu niedrig!!! Und ein zu niedriger Kaliumwert kann zu Herzrythmusstörungen und Herzstillstand führen.

Hätte ich nicht auf mein Gefühl gehört….hätte Jonathan den Wochenanfang vermutlich nicht mehr erlebt.


Natürlich mussten wir bleiben und Jonathan hat eine Kaliuminfusion bekommen. Zusätzlich auch gleich noch Glukose und Elektrolythe weil er ja nicht wirklich essen und trinken konnte.

Zugänge findet Joni grundsätzlich überhaupt nicht gut und regt sich immer furchtbar darüber auf!!! So auch an diesem Abend. Und weil es einfach total wichtig war das der Zugang drin blieb und das Kalium schnellstmöglich in den Körper gelangte – wurde Jonathan sediert.

Ich konnte nicht mehr aufhören zu heulen, war am Ende meiner Kräfte….wenn ich da schon gewusst hätte was mich in den kommenden Wochen noch erwartet…

Jonathan wehrte sich nicht mehr gegen den Zugang – scheinbar merkte er dass es ihm gut tat!!! Der Mund wurde täglich von den Schwestern gepflegt. Die Ergebnisse des Abstriches waren da: Jonathan hatte einen HERPES SIMPLEX VIRUS TYP 1, eine Stomatitis (Mundfäule). Wünsche ich niemandem: ich habe tatsächlich in meinem ganzen Leben nie etwas Ekligeres gesehen….

Nach 4 Tagen wurden wir entlassen weil Joni wieder anfing selbst zu essen…..was tatsächlich bei ihm total untypisch ist in einer Klinik: da verweigert er sonst immer komplett die Nahrungsaufnahme.

Doch wir machten uns darüber keine Gedanken. Genau wie wir es nicht hinterfragten das er auf einmal den linken Arm ständig ganz grade in die Luft reckte….oder auf dem Schoß total in sich zusammen gesunken saß statt aufgerichtet wie wir es von ihm kannten.
Wir dachten einfach das er erschöpft wäre und kraftlos nach der Krankheit.

Zu Hause würde alles besser werden.

Doch das wurde es nicht, im Gegenteil.

Am Morgen nach unserer Entlassung setzte ich ihn auf den Boden und war fassungslos als er einfach…umfiel.
Jonathan konnte sich nicht halten, er fiel ständig nach links um. Seine Hände…begannen zu zittern und er robbte total komisch: bewegte seine Beine nicht mehr.

Eine befreundete Krankenschwester hatte sich für diesen Morgen angekündigt weil sie Jonis Mund pflegen wollte (weil ich es total eklig fand, ehrlich gesagt) und sie machte ein Video von ihm. Dann fuhr sie zur Arbeit und zeigte das Video ihren Chefs. Und die…..schickten uns sofort zu unserem Kinderarzt.

Ich bekam während der Fahrt dorthin kaum Luft und zitterte…ich wusste… wir haben neurologische Auffälligkeiten.

Der Kinderart betrachtete Jonathan und wurde ganz ganz still. Dann sah er mich an…ich heulte eh schon wie verrückt…und er sagte: „Sie haben mich noch nie so ernst gesehen wie jetzt. Wir haben ein Problem. Sie müssen sofort in die Klinik.“

Die Kliniktasche stand schon im Auto. Ich hatte es geahnt.

Ein MRT wurde umgehend eingeleitet und es zeigte…einen Befund.

Einen GROSSEN BEFUND. Am Hirnstamm. Jonathan hatte eine Enzephalitis, eine Hirnentzündung.

Die Situation war ernst, sehr ernst. Auch unseren Neurologen - der uns schon seit 3,5 Jahren betreut - habe ich noch nie so gesehen wie nach dem MRT. Er ließ sich sogar zu dem Wort mit „SCH..“ hinreissen und kratzte sich dauernd am Kopf…

Der Hirnstamm regelt die Atmung…und die Motorik. Nervenbahnen laufen durch ihn durch.

Wir wurden aufgeklärt über eine mögliche Intubation…wurden gefragt ob wir lebenserhaltende Maßnahmen für Jonathan wünschen und in welchem Umfang. Wir haben Entscheidungen getroffen und Dokumente unterschrieben.

Diese ersten Stunden in der Klinik liegen bei mir wie in einem Nebel. Ich habe meine Eltern informiert, das weiß ich - was genau ich geschrieben habe…weiß ich nicht mehr. Geweint habe ich nicht….aber in diesen Stunden bin ich vom schlimmsten ausgegangen…..der Neurologe hat mir die Bilder des MRT gezeigt. Ich bin Laie, aber was ich dort gesehen habe……Hoffnung hatte ich ehrlich gesagt nicht.

Ich habe mich dennoch getraut und den Neurologen gefragt ob ich Jonathan wieder mit nach Hause nehmen werde und er sagte mir….das er es nicht weiß. Eine Enzephalitis am Hirnstamm gehört zu den seltensten Formen der Enzephalitis - und das bei einem Kind mit einem so seltenen Gendefekt. Keiner wagte über den möglichen Ausgang dieser Erkrankung eine Prognose abzugeben.

Geduld ist NICHT meine Stärke, das ich abwarten und hoffen soll war demnach nicht das was ich gerne hören wollte.

Aber mir blieb nichts anderes übrig.
Entweder die Zeit arbeitete gegen uns….oder FÜR UNS. Es lag nicht mehr in unserer Hand.


Vor ziemlich genau einem Jahr waren die Eltern der kleinen Lotta in GENAU der Situation in der wir uns aktuell befanden: Lotta hatte ebenfalls eine Enzephalitis. Und Lotta hat denselben Gendefekt wie Jonathan.

Zufall??

Daran glaubte ich ehrlich gesagt nicht, denn wir wissen noch von zwei weiteren Kinder mit MOPD1 die ebenfalls nach einem Infekt und/oder einer Impfung eine Enzephalitis entwickelt haben.
Uns sind 10 betroffene Kinder weltweit bekannt und 4 davon haben dieselben gesundheitlichen Probleme? Das ist schon ungewöhnlich.

Also habe ich unserem Neurologen davon erzählt und mit dem Forscher Kontakt aufgenommen um weitere Infos zu bekommen. Gleichzeitig habe ich Lottas Mama gebeten ihren Neurologen von der Schweigepflicht zu entbinden: was sie UMGEHEND getan hat. So konnten unsere Ärzte sich austauschen und besprechen was die sinnvollste Therapie für Jonathan wäre -  was hat Lotta geholfen….was wollen WIR versuchen???

Ich danke Gott jeden Tag für unsere WALKING WITH GIANTS FAMILIE!! Für die Möglichkeit mit den Forschern zu reden und Infos zu bekommen die NICHT im Netz verfügbar sind. Für die Hilfe und den Support der anderen Familien. Keine Ahnung ob ich richtig liege….aber ich habe das GEFÜHL das diese ganzen Informationen Jonathan geholfen haben, das wir dadurch SCHNELLER mit der korrekten Therapie beginnen konnten. Ja, das es ihm unter Umständen das Leben gerettet hat.

Wir vertrauen unserem Neurologen vollkommen. Schon immer. Er ist gnadenlos ehrlich und direkt – und fachlich sehr kompetent (seine Antwort auf den letzten Punkt: „Ach Frau Kremer, das setzt mich ja nun GAR NICHT unter Druck!“….lach)

Nach dem Telefonat mit Lottas Neurologen entschieden wir uns zu einer Immunglobulinenkur gepaart mit einer Cortison-Behandlung.
Zusätzlich bekam Jonathan noch Antibiotika und Aciclovir bis die Ergebnisse der Lumbalpunktion feststanden und wir wussten WAS GENAU die Enzephalitis hervorgerufen hatte.
Natürlich bekam der kleine Mann auch Schmerzmittel. Und eine Infusion mit Nährlösung da er nicht essen konnte. Und seine normalen Medikamente.

…keine Ahnung wie viel Chemie in das arme kleine Kerlchen in diesen Tagen hineingepumpt wurde…ich hatte Angst um seine Nieren…um seine Leber…aber ich hatte vor allem Angst um sein Leben.

Ja: Jonathan ist ein Kämpfer. Aber das hier war ein Kampf von dem ich nicht wusste ob er ihn allein durch Willenskraft würde gewinnen können.

Es waren schlimme Tage die wir erlebten. Viele Tränen die ich vergoss. Und viel Kraft die mein Mann aufbrachte: denn ER war derjenige der im Krankenhaus „einzog“ und Jonathan Tag und Nacht versorgte und betreute. ICH war nur tagsüber dort und fuhr jeden Nachmittag/Abend zu Marvin nach Hause und schlief auch daheim.


Viele Gedanken gingen mir in diesen Tagen durch den Kopf…
Die letzten Jahre hatten uns vergessen lassen wie schmal der Grat zwischen GESUND und KRANK bei MOPD1 sein kann, das Schicksal hatte uns verwöhnt – und nun wurden wir von der Realität „eines Lebens mit MOPD1“ eingeholt. Wir wurden Demut gelehrt…..
Aber….wir hatten alles richtig gemacht! Wir hatten viel mit Jonathan erlebt und viel Spaß mit ihm gehabt. Jeden Tag zu leben als wäre es der letzte Tag ist der RICHTIGE WEG mit unseren Kindern. Ich habe in diesen Tagen am Krankenhausbett NICHTS bereut…..
Vor allem war ich froh in Curacao gewesen zu sein. Jonathan hatte seinen Delphin gesehen und wir unvergessliche Momente erlebt. Es gab tausende Fotos und Videos dieser zwei Wochen und ich fühlte Dankbarkeit dafür und….innere Ruhe.


Unsere Facebook- und Instagram-Community lief zur Hochform auf: tausende Nachrichten, Kommentare und Herzchen erreichten uns…Kerzen wurden angezündet und Gebete gesprochen. So viele Menschen fühlten mit uns, hofften und bangten.

Ich bin gläubig, das habe ich schon öfter erwähnt. Und ich glaube dass all diese Anteilnahme etwas bewirkt hat. Nicht nur das WIR Kraft daraus geschöpft haben, sondern auch das es Joni geholfen hat…diesen Kampf zu gewinnen.

JA: JONATHAN HAT ÜBERLEBT!!!!
Aktuell liegt er auf meinem Bauch und macht seinen Mittagsschlaf. Er ist noch bei uns. Auch wenn die Chancen dafür nicht so richtig gut standen.

Aber diese Enzephalitis ist nicht spurlos an ihm vorbei gegangen.
Momentan hat er so gut wie alle seine motorischen Fähigkeiten eingebüßt: er kann nur noch den Kopf und die Arme bewegen. Mehr geht nicht mehr.
….er kann nicht mehr sitzen, nicht mehr krabbeln..er redet kaum noch…

Es ist fürchterlich ihn so zu sehen! Es tut so schrecklich weh…
Denn…geistig ist er genau wie vorher. Was bedeutet dass er mitbekommt das er alles verlernt hat und dementsprechend natürlich frustriert ist und viel weint. Ich sehe Unverständnis und Angst in seinen Augen…und kann nichts dagegen tun.

Die Ärzte sind sich sicher dass er alles wieder erlernen kann was er mal konnte…aber es wird Zeit brauchen. Viel Zeit. Mindestens ein halbes Jahr, denn so lange braucht eine Enzephalitis um zu heilen…und es wird viel Physio- und Reittherapie nötig sein um alles wieder aufzuholen.

Wir haben einen langen und harten Weg vor uns.
Sind gefühlte 25 Schritte zurückgegangen. Ausgerechnet an einem Punkt an dem wir nach der Delphintherapie so viele Fortschritte verzeichnen konnten und unser Ziel (Jonathan wird LAUFEN!) in greifbare Nähe gerückt war.

Es ist frustrierend und JA…manchmal kommen mir aus Wut und Verzweiflung die Tränen.

Aber es hilft nichts. Und wir werden auch diesen Weg meistern….gemeinsam.