September
2019: der schlimmste Monat den wir je hatten
EIGENTLICH
sollte dieser Blogbeitrag davon handeln wie der aktuelle Entwicklungsstand bei
Jonathan ist: was hat sich nach der Delphintherapie verändert und wo stehen wir
momentan??
Denn
schon lange habe ich kein Update mehr über Jonis Fortschritte gegeben….
Aber es ist
etwas Unvorhergesehenes passiert.
Anfang
September ist der kleine Mann krank geworden: ein Virus mit Fieber. Auch Marvin
hat sich unwohl gefühlt und so bin ich mit beiden Jungs zum Arzt gefahren.
Ein
Virus: Fiebersenker, viel trinken und viel Ruhe war die Ansage des Arztes.
Marvin
ging es nach ein paar Tagen schon deutlich besser.
Jonathan
hingegen…..hat 5 Tage lang hoch gefiebert: jeden Tag über 40 Grad mit
Schüttelfrost.
Unser
Kinderarzt sagte das wir aufpassen müssen das das Fieber nicht ZU SCHNELL
ansteigt damit Joni keinen Fieberkrampf bekommt: doch das Fieber stieg schnell,
manchmal um 1 Grad in 10 Minuten. Wir haben Brustwickel gemacht was das Zeug
hielt. (Wadenwickel gingen ja nicht wegen der Orthesen!) Nach ein paar Tagen
sogar mit Pfefferminztee weil unsere Reittherapeutin sagte das kühlt besser:
stimmte auch!!!
Doch....es
wurde nicht besser…
Der Virus
hat von unserem kleinen Mann Besitz ergriffen und sich in seinem Mund ausgebreitet.
Aphten und Beläge im kompletten Mund: auf der Zunge, dem Zahnfleisch und in den
Wangentaschen. Es wurde immer mehr….trinken und essen war eine Quälerei,
Jonathan hatte unvorstellbare Schmerzen: und doch hat er gegessen und getrunken
– begleitet von Tränen.
Ich war
am Limit. Ihn so zu sehen überstieg meine Kräfte.
Täglich
habe ich unseren Kinderarzt „genervt“ und ihn gefragt ob wir nicht doch etwas
machen können: ob es nicht doch ein Medikament gibt das Jonathan helfen würde.
Aber
immer sagte er dass ich es aussitzen müsse, gegen einen Virus hilft nichts.
Stimmt ja auch.
Dann kam
das Wochenende – und der Geburtstag meines Mannes.
Jonathan
hatte nun seit 6 Tagen hohes Fieber. Der Ausschlag war mittlerweile so schlimm
geworden das der kleine Mann den Mund nicht mehr zubekam. Und dann…fing er an
zu schreien – und hörte für Stunden nicht mehr auf.
Irgendwann…..hatte
ich so ein Gefühl. Ich kann es nicht genau beschreiben….es war Unruhe in mir -
und Angst. Mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg.
Da sagte
ich zu meinem Mann dass wir nun eine Tasche packen und ins Krankenhaus fahren.
Weil ich das Gefühl habe wir sollten das UMGEHEND TUN.
Mein Mann
war skeptisch und fragte mich ob ich das wirklich für nötig erachte,
schließlich hatte der Kinderarzt gesagt wir sollten es aussitzen. Aber ich ließ
mich nicht beirren…irgendwas trieb mich zur Eile an.
Ich
packte….und wir fuhren los. Ich war wie in Trance, spürte das Joni in dieser
Nacht nicht zu Hause sein würde.
In der
Klinik wurde Blut abgenommen, ein Abstrich vom Mund gemacht…und dann kam das
Ergebnis.
Jonathans
Kaliumwert lag nur noch bei 1,7.
Viel zu
niedrig!!! Und ein zu niedriger Kaliumwert kann zu Herzrythmusstörungen und
Herzstillstand führen.
Hätte ich
nicht auf mein Gefühl gehört….hätte Jonathan den Wochenanfang vermutlich nicht
mehr erlebt.
Natürlich
mussten wir bleiben und Jonathan hat eine Kaliuminfusion bekommen. Zusätzlich
auch gleich noch Glukose und Elektrolythe weil er ja nicht wirklich essen und
trinken konnte.
Zugänge
findet Joni grundsätzlich überhaupt nicht gut und regt sich immer furchtbar
darüber auf!!! So auch an diesem Abend. Und weil es einfach total wichtig war
das der Zugang drin blieb und das Kalium schnellstmöglich in den Körper
gelangte – wurde Jonathan sediert.
Ich
konnte nicht mehr aufhören zu heulen, war am Ende meiner Kräfte….wenn ich da
schon gewusst hätte was mich in den kommenden Wochen noch erwartet…
Jonathan
wehrte sich nicht mehr gegen den Zugang – scheinbar merkte er dass es ihm gut
tat!!! Der Mund wurde täglich von den Schwestern gepflegt. Die Ergebnisse des
Abstriches waren da: Jonathan hatte einen HERPES SIMPLEX VIRUS TYP 1, eine
Stomatitis (Mundfäule). Wünsche ich niemandem: ich habe tatsächlich in meinem
ganzen Leben nie etwas Ekligeres gesehen….
Nach 4
Tagen wurden wir entlassen weil Joni wieder anfing selbst zu essen…..was
tatsächlich bei ihm total untypisch ist in einer Klinik: da verweigert er sonst
immer komplett die Nahrungsaufnahme.
Doch wir
machten uns darüber keine Gedanken. Genau wie wir es nicht hinterfragten das er
auf einmal den linken Arm ständig ganz grade in die Luft reckte….oder auf dem
Schoß total in sich zusammen gesunken saß statt aufgerichtet wie wir es von ihm
kannten.
Wir
dachten einfach das er erschöpft wäre und kraftlos nach der Krankheit.
Zu Hause
würde alles besser werden.
Doch das
wurde es nicht, im Gegenteil.
Am Morgen
nach unserer Entlassung setzte ich ihn auf den Boden und war fassungslos als er
einfach…umfiel.
Jonathan
konnte sich nicht halten, er fiel ständig nach links um. Seine Hände…begannen
zu zittern und er robbte total komisch: bewegte seine Beine nicht mehr.
Eine
befreundete Krankenschwester hatte sich für diesen Morgen angekündigt weil sie
Jonis Mund pflegen wollte (weil ich es total eklig fand, ehrlich gesagt) und
sie machte ein Video von ihm. Dann fuhr sie zur Arbeit und zeigte das Video
ihren Chefs. Und die…..schickten uns sofort zu unserem Kinderarzt.
Ich bekam
während der Fahrt dorthin kaum Luft und zitterte…ich wusste… wir haben
neurologische Auffälligkeiten.
Der
Kinderart betrachtete Jonathan und wurde ganz ganz still. Dann sah er mich
an…ich heulte eh schon wie verrückt…und er sagte: „Sie haben mich noch nie so
ernst gesehen wie jetzt. Wir haben ein Problem. Sie müssen sofort in die
Klinik.“
Die
Kliniktasche stand schon im Auto. Ich hatte es geahnt.
Ein MRT
wurde umgehend eingeleitet und es zeigte…einen Befund.
Einen
GROSSEN BEFUND. Am Hirnstamm. Jonathan hatte eine Enzephalitis, eine
Hirnentzündung.
Die
Situation war ernst, sehr ernst. Auch unseren Neurologen - der uns schon seit
3,5 Jahren betreut - habe ich noch nie so gesehen wie nach dem MRT. Er ließ
sich sogar zu dem Wort mit „SCH..“ hinreissen und kratzte sich dauernd am Kopf…
Der
Hirnstamm regelt die Atmung…und die Motorik. Nervenbahnen laufen durch ihn
durch.
Wir
wurden aufgeklärt über eine mögliche Intubation…wurden gefragt ob wir
lebenserhaltende Maßnahmen für Jonathan wünschen und in welchem Umfang. Wir
haben Entscheidungen getroffen und Dokumente unterschrieben.
Diese
ersten Stunden in der Klinik liegen bei mir wie in einem Nebel. Ich habe meine
Eltern informiert, das weiß ich - was genau ich geschrieben habe…weiß ich nicht
mehr. Geweint habe ich nicht….aber in diesen Stunden bin ich vom schlimmsten
ausgegangen…..der Neurologe hat mir die Bilder des MRT gezeigt. Ich bin Laie,
aber was ich dort gesehen habe……Hoffnung hatte ich ehrlich gesagt nicht.
Ich habe
mich dennoch getraut und den Neurologen gefragt ob ich Jonathan wieder mit nach
Hause nehmen werde und er sagte mir….das er es nicht weiß. Eine Enzephalitis am
Hirnstamm gehört zu den seltensten Formen der Enzephalitis - und das bei einem
Kind mit einem so seltenen Gendefekt. Keiner wagte über den möglichen Ausgang
dieser Erkrankung eine Prognose abzugeben.
Geduld
ist NICHT meine Stärke, das ich abwarten und hoffen soll war demnach nicht das
was ich gerne hören wollte.
Aber mir
blieb nichts anderes übrig.
Entweder
die Zeit arbeitete gegen uns….oder FÜR UNS. Es lag nicht mehr in unserer Hand.
Vor
ziemlich genau einem Jahr waren die Eltern der kleinen Lotta in GENAU der Situation
in der wir uns aktuell befanden: Lotta hatte ebenfalls eine Enzephalitis. Und
Lotta hat denselben Gendefekt wie Jonathan.
Zufall??
Daran
glaubte ich ehrlich gesagt nicht, denn wir wissen noch von zwei weiteren Kinder
mit MOPD1 die ebenfalls nach einem Infekt und/oder einer Impfung eine
Enzephalitis entwickelt haben.
Uns sind
10 betroffene Kinder weltweit bekannt und 4 davon haben dieselben
gesundheitlichen Probleme? Das ist schon ungewöhnlich.
Also habe
ich unserem Neurologen davon erzählt und mit dem Forscher Kontakt aufgenommen
um weitere Infos zu bekommen. Gleichzeitig habe ich Lottas Mama gebeten ihren
Neurologen von der Schweigepflicht zu entbinden: was sie UMGEHEND getan hat. So
konnten unsere Ärzte sich austauschen und besprechen was die sinnvollste
Therapie für Jonathan wäre - was hat
Lotta geholfen….was wollen WIR versuchen???
Ich danke
Gott jeden Tag für unsere WALKING WITH GIANTS FAMILIE!! Für die Möglichkeit mit
den Forschern zu reden und Infos zu bekommen die NICHT im Netz verfügbar sind.
Für die Hilfe und den Support der anderen Familien. Keine Ahnung ob ich richtig
liege….aber ich habe das GEFÜHL das diese ganzen Informationen Jonathan
geholfen haben, das wir dadurch SCHNELLER mit der korrekten Therapie beginnen
konnten. Ja, das es ihm unter Umständen das Leben gerettet hat.
Wir
vertrauen unserem Neurologen vollkommen. Schon immer. Er ist gnadenlos ehrlich und
direkt – und fachlich sehr kompetent (seine Antwort auf den letzten Punkt: „Ach
Frau Kremer, das setzt mich ja nun GAR NICHT unter Druck!“….lach)
Nach dem
Telefonat mit Lottas Neurologen entschieden wir uns zu einer Immunglobulinenkur
gepaart mit einer Cortison-Behandlung.
Zusätzlich
bekam Jonathan noch Antibiotika und Aciclovir bis die Ergebnisse der
Lumbalpunktion feststanden und wir wussten WAS GENAU die Enzephalitis
hervorgerufen hatte.
Natürlich
bekam der kleine Mann auch Schmerzmittel. Und eine Infusion mit Nährlösung da
er nicht essen konnte. Und seine normalen Medikamente.
…keine
Ahnung wie viel Chemie in das arme kleine Kerlchen in diesen Tagen
hineingepumpt wurde…ich hatte Angst um seine Nieren…um seine Leber…aber ich
hatte vor allem Angst um sein Leben.
Ja:
Jonathan ist ein Kämpfer. Aber das hier war ein Kampf von dem ich nicht wusste
ob er ihn allein durch Willenskraft würde gewinnen können.
Es waren
schlimme Tage die wir erlebten. Viele Tränen die ich vergoss. Und viel Kraft
die mein Mann aufbrachte: denn ER war derjenige der im Krankenhaus „einzog“ und
Jonathan Tag und Nacht versorgte und betreute. ICH war nur tagsüber dort und fuhr
jeden Nachmittag/Abend zu Marvin nach Hause und schlief auch daheim.
Viele
Gedanken gingen mir in diesen Tagen durch den Kopf…
Die
letzten Jahre hatten uns vergessen lassen wie schmal der Grat zwischen GESUND
und KRANK bei MOPD1 sein kann, das Schicksal hatte uns verwöhnt – und nun
wurden wir von der Realität „eines Lebens mit MOPD1“ eingeholt. Wir wurden Demut
gelehrt…..
Aber….wir
hatten alles richtig gemacht! Wir hatten viel mit Jonathan erlebt und viel Spaß
mit ihm gehabt. Jeden Tag zu leben als wäre es der letzte Tag ist der RICHTIGE
WEG mit unseren Kindern. Ich habe in diesen Tagen am Krankenhausbett NICHTS
bereut…..
Vor allem
war ich froh in Curacao gewesen zu sein. Jonathan hatte seinen Delphin gesehen
und wir unvergessliche Momente erlebt. Es gab tausende Fotos und Videos dieser
zwei Wochen und ich fühlte Dankbarkeit dafür und….innere Ruhe.
Unsere
Facebook- und Instagram-Community lief zur Hochform auf: tausende Nachrichten,
Kommentare und Herzchen erreichten uns…Kerzen wurden angezündet und Gebete gesprochen.
So viele Menschen fühlten mit uns, hofften und bangten.
Ich bin
gläubig, das habe ich schon öfter erwähnt. Und ich glaube dass all diese
Anteilnahme etwas bewirkt hat. Nicht nur das WIR Kraft daraus geschöpft haben,
sondern auch das es Joni geholfen hat…diesen Kampf zu gewinnen.
JA:
JONATHAN HAT ÜBERLEBT!!!!
Aktuell
liegt er auf meinem Bauch und macht seinen Mittagsschlaf. Er ist noch bei uns.
Auch wenn die Chancen dafür nicht so richtig gut standen.
Aber diese
Enzephalitis ist nicht spurlos an ihm vorbei gegangen.
Momentan hat
er so gut wie alle seine motorischen Fähigkeiten eingebüßt: er kann nur noch den
Kopf und die Arme bewegen. Mehr geht nicht mehr.
….er kann
nicht mehr sitzen, nicht mehr krabbeln..er redet kaum noch…
Es ist
fürchterlich ihn so zu sehen! Es tut so schrecklich weh…
Denn…geistig
ist er genau wie vorher. Was bedeutet dass er mitbekommt das er alles verlernt
hat und dementsprechend natürlich frustriert ist und viel weint. Ich sehe
Unverständnis und Angst in seinen Augen…und kann nichts dagegen tun.
Die Ärzte
sind sich sicher dass er alles wieder erlernen kann was er mal konnte…aber es
wird Zeit brauchen. Viel Zeit. Mindestens ein halbes Jahr, denn so lange
braucht eine Enzephalitis um zu heilen…und es wird viel Physio- und
Reittherapie nötig sein um alles wieder aufzuholen.
Wir haben
einen langen und harten Weg vor uns.
Sind gefühlte
25 Schritte zurückgegangen. Ausgerechnet an einem Punkt an dem wir nach der
Delphintherapie so viele Fortschritte verzeichnen konnten und unser Ziel (Jonathan
wird LAUFEN!) in greifbare Nähe gerückt war.
Es ist
frustrierend und JA…manchmal kommen mir aus Wut und Verzweiflung die Tränen.
Aber es
hilft nichts. Und wir werden auch diesen Weg meistern….gemeinsam.