Chirurgie
Diejenigen
die selbst ein Frühchen hatten werden sich schon lange fragen: „Was ist denn
nun eigentlich mit dem Leistenbruch? Das wird doch normalerweise schon vor der
Entlassung aus dem Krankenhaus operiert?“ Korrekt: so wird es normalerweise
gehandhabt.
Ein
Leistenbruch ist etwas das bei Frühchen ganz typisch ist. Die Erklärungen der
Ärzte habe ich so verstanden: die Muskeln sind noch nicht fertig ausgebildet,
das Baby kommt aber schon zur Welt und das Kindspech (der erste Stuhlgang) muss
raus. Wenn das kleine Kerlchen sich dabei stark anstrengen muss, drückt der
Darm zu stark auf die noch nicht fertigen Muskeln in der Leistengegend – und
schon ist der Leistenbruch da. Es handelt sich eigentlich nur um ein „Loch“
zwischen den Muskeln in der Leistengegend – aber durch dieses Loch drückt sich
ein Teil des Darms nach außen. Das hört sich jetzt schlimmer und ekliger an als
es ist!! Es ist eigentlich nichts Besorgnis erregendes: so lange man den Darm
wieder „reponieren“, sprich: ihn wieder zurückdrücken, kann. Schlimm wird es
nur dann wenn der Darm sich nicht mehr zurückdrücken lässt: dann muss sofort
operiert werden, denn ein eingeklemmter Darm kann in kurzer Zeit absterben. Und
ein abgestorbener Darm ist lebensbedrohlich.
Bei
Jonathan konnte man problemlos reponieren, er hat sich auch nie dagegen gewehrt
oder dabei geweint. Deswegen hatte man sich zu Klinikzeiten entschlossen das er
vor der Entlassung NICHT operiert werden würde: sein Gewicht war mit noch nicht
einmal 2 Kg einfach zu gering. Man wollte mit der Narkose kein Risiko eingehen.
Also
haben mein Mann und ich gelernt den Darm zurückzudrücken. Mein Mann war dabei
immer sehr gelassen und cool…aber ich fand es einfach nur WIDERLICH! Ich habe
mich geschüttelt und gequiekt wenn ich das machen musste – wirklich und ganz ehrlich!!!
Vorsichtig
auf die Beule drücken die in der Leiste hängt und dann ganz laaaaangsam nach
innen drücken..und dann machte das immer irgendwie PLOPP….Brrrrr! SOOO WIDERLICH!!!
Aber gut: es war notwendig und deswegen habe ich es gemacht, wie so viele Dinge
davor – und auch danach.
Im
letzten Beitrag habe ich von unserem Termin bei der Humangenetikerin erzählt.
Zu diesem Termin kam ein Kinderchirurg der Klinik dazu der sich den
Leistenbruch angesehen hat. Er befand dass weiterhin kein Handlungsbedarf
bestand, der Leistenbruch ließ sich gut wegdrücken und so lange sich daran
nichts änderte, sollten wir in einem halben Jahr erneut vorsprechen. Dann würde
man sehen wie Jonathans Gewicht sich entwickelt habe und wann die OP
stattfinden könne.
Zu diesem
Gespräch mit der Humangenetikerin und unserem Chirurgen muss ich noch eine
lustige Geschichte erzählen, ich hoffe der Chirurg verzeiht mir das! 8o)))
Kurz vor Jonathans
Entlassung aus dem Krankenhaus wurde mir angekündigt dass ein Kinderchirurg auf
Station vorbeikommen würde, der sich den Leistenbruch ansehen und dann
entscheiden sollte ob Jonathan so nach Hause gehen darf oder ob eventuell
vorher doch noch operiert werden muss. Ich war total aufgeregt, klar: jeder hat
Angst davor das sein Kind eine OP benötigt! Dann kamen eine Ärztin…und ein
Medizinstudent. So mein Eindruck. Die Ärztin war vielleicht in meinem Alter,
also Ende 30. Den Mann im weißen Kittel schätzte ich auf Mitte/Ende 20. Beide
sehr nett, er hat Jonathan untersucht und ich dachte noch: „Er muss ja auch
noch üben!!“ Geredet habe ICH fast nur mit der Ärztin. Sie hat dann auch
verkündet dass Jonathan nach Hause darf und die OP gemacht wird sobald er 3
oder besser 3,5 Kilo wiegt – WENN sich der Leistenbruch vorher nicht einklemmt.
So weit, so gut….jetzt waren einige Monate vergangen, wir waren in der
Tagesklinik und unsere Humangenetikerin meinte das sie mal den Kinderchirurgen
anruft, einen sehr erfahrenen und langjährigen Kollegen. Und als die Tür
aufgeht und der Arzt den Raum betritt….war es „mein“ Medizinstudent!!! Mir ist
buchstäblich die Kinnlade heruntergefallen…ich habe gestaunt und gestottert und
ihn gefragt ob er WIRKLICH der Kinderchirurg sei denn er sehe doch noch so jung
aus!! Und er hat gegrinst und gemeint: „Ja, das höre ich öfter. Aber ich habe
tatsächlich schon mein Studium abgeschlossen und auch einige Jahre
Berufserfahrung!“ Bei jedem weiteren unserer Treffen hat sich das zu einem
„runing gag“ entwickelt und irgendwann habe ich ihm auch gestanden dass ich ihn
zu Anfang für einen Studenten gehalten habe. Das nahm er als Kompliment und hat
sich sehr gefreut. Leider hat er mir bis heute nicht verraten wie alt er
wirklich ist…8o)))
Die
„To-Do-Liste“ war abgearbeitet, Kontrolltermine vereinbart. Jetzt konnte der
Alltag beginnen!!!
Kleine
Geburtstagsfeier für den Papa
Wir
feierten das mit einem gemeinsamen Restaurantbesuch. Sie erinnern sich: die
Termine beim Kardiologen und in der Tagesklinik fanden am Geburtstag meines
Mannes statt. Nachdem wir in den Kliniken fertig waren haben wir beschlossen in
einem Restaurant zu Mittag zu essen, damit der Tag zumindest ein bisschen den
Charakter eines Geburtstages/einer Feier hatte.
Es war
schon fast 14 Uhr und deswegen war uns klar das das Restaurant nicht mehr stark
besucht sein würde: solche Überlegungen sind im Leben mit Jonathan bis heute
wichtig denn aufgrund seines Immunsystems ist es besser wenn wir uns NICHT
allzu großen Menschenmengen aussetzen.
Den
größten Teil des Mittagsessens hat der kleine Mann verschlafen: die lange
Autofahrt und die Untersuchungen hatten ihn doch ganz schön geschlaucht. Aber
irgendwann hatte er auch Hunger und ist wach geworden, also habe ich ihn auf
den Arm genommen und gefüttert. Bei diesem Restaurantbesuch haben wir zum
ersten Mal erlebt wie fremde Menschen auf Jonathan reagieren: die Kellnerin kam
direkt zu uns und hat gefragt wie alt er denn sei, denn er sei doch so
wahnsinnig klein….Wir haben ihr freundlich alles erklärt, gestört hat uns das
an diesem Tag nicht. Wir waren eher amüsiert darüber so im Mittelpunkt zu
stehen.
Aber DAS…sollte
in unserem Leben nicht mehr lange so bleiben…
In den
Alltag finden
Der
Alltag pendelte sich relativ schnell ein: Medikamente geben und zu Therapien
fahren. Zuhause „turnen“ und Blutdruck messen. Jonathan füttern, Essen kochen
und mit Marvin Schularbeiten machen. Den Haushalt führen und einkaufen gehen.
Im Endeffekt (fast) alles das was auch eine Familie mit zwei gesunden Kindern
im Alltag erlebt!
Mein Mann
hatte mittlerweile seine zweimonatige Elternzeit angetreten und ich denke ich
kann sagen: wir waren ziemlich entspannt! Wir hatten morgens keinen Stress: wir
MUSSTEN nicht ins Bad und mein Mann nicht rechtzeitig zur Arbeit losfahren. Wir
konnten einen Gang zurückschalten, unser Leben lief gemächlicher ab. Zeit die
langen Monate in der Klinik zu vergessen und zu verarbeiten – Zeit zu begreifen
dass es Vergangenheit war, dass Jonathan zu Hause war! Bei uns…
Einige
Wochen lang lag ich morgens nach dem Aufwachen ganz still in meinem Bett und
wartete ab bis sich meine Gedanken sortiert hatten…wartete ob es dann immer
noch real war das Jonathan hier bei mir im Raum war, in seinem Bettchen am
Fußende meines Bettes…oder ob ich das nur geträumt hatte..
Die
Monate in der Klinik zu verarbeiten war (und ist bis heute) nicht leicht. „Es
hängt einem nach“, es gibt immer noch Momente in denen alles wieder hochkommt –
meist unverhofft und plötzlich. Wie ein Blitzlicht. Dann ist der Kloß im Hals
wieder da, die Enge in der Brust - die Angst…die Gerüche und die Geräusche. Die
Tränen.
Das blöde
daran ist…selbst enge und langjährige Freunde verstehen das nicht!! Man kann
nicht mit Menschen darüber reden die selbst nie in dieser Situation waren,
Vorstellungskraft allein reicht nicht aus um komplett zu ermessen was so eine
Situation für die Eltern bedeutet oder ihnen abverlangt. Niemand der es nicht
selbst erlebt hat kann verstehen was einen beschäftigt oder was man zu
verkraften hat. Was man braucht in dieser Situation. Und wann Plattitüden
einfach nicht angemessen sind.
Ich weiß
das ich nicht die Einzige bin die während ihrer Zeit auf der
Frühchenintensivstation von Freunden gefragt wurde: „Was, Du fährst schon
WIEDER ins Krankenhaus?? Machst Du das JEDEN Tag???“
Wenn
schon die Tatsache das ich täglich bei meinem Kind sein möchte für solches
Erstaunen sorgt…wie soll ich dann diesen Menschen erklären wie die Zeit in der
Klinik mich verändert hat? Wie sie dafür gesorgt hat das sich meine Wahrnehmung
verändert hat: so viele Dinge die früher wichtig waren (z.B. Erfolg im Beruf
oder das Erreichen von materiellen Gütern) auf einmal total egal sind? Weil nur
das Leben allein zählt…weil nur mein Kind zählt.
Wenn man
stundenlang neben einem Inkubator sitzt und betet das dieser winzige Mensch
kämpft…wenn man merkt das man selbst „so klein“ und unwichtig ist in dieser
Welt und das man nichts was zählt im Leben selber beeinflussen kann…dann wird
man so verdammt demütig!
Dann
zählen auf einmal andere Dinge im Leben und der Blickwinkel auf die Welt
verändert sich. Man wird ernster. Nachdenklicher. Trauriger?! Ja, für mich
stimmt auch das. Ich wollte nie ein Kind bekommen um von Anfang an zu wissen
dass ich es überleben werde. Das ist wohl bei niemandem der Plan. Jeden Tag
hängt eine dunkle Wolke über einem..richtig genießen, mit jeder Faser des
Herzens, kann man sein Leben nicht mehr. Denn da ist immer diese Angst dass
heute der letzte Tag sein könnte.
Vielleicht
ist dieses Gefühl bei mir stärker weil ich weiß dass ich ein Kind mit einem
lebensverkürzenden Gendefekt habe. Aber jeder der für längere Zeit auf einer
Neonatologie war hat viele Kinder dorthin kommen sehen – und einige sind nicht
nach Hause gegangen. Das ist der Lauf der Dinge, das gehört auf so einer
Station dazu. Und auch wenn es keine schönen Gedanken sind…so empfindet man
Erleichterung wenn der Name des eigenen Kindes NICHT auf der Belegungstafel
ausgewischt wird.
Alle diese
Eindrücke…Gefühle…Ängste…hat man und man nimmt sie mit und ich denke man wird
sie zeitlebens nicht mehr los. Und darüber kann man nicht mit jedem sprechen. Weil
einen nicht jeder verstehen kann.
Deswegen
ändert sich der Freundeskreis. Im besten Falle erweitert er sich, doch bei uns
hat er sich verändert. Einige langjährige Freunde spielen heute eine eher
geringe Rolle in meinem Leben. Weil es einfach nicht mehr harmoniert hat, weil
ich mich mit ihnen nicht mehr wohl gefühlt oder nicht mehr von ihnen verstanden
gefühlt haben. Was mit Sicherheit nicht allein an ihnen, sondern auch an mir
liegt: weil ICH mich verändert habe!! Weil sich meine Prioritäten verändert
haben. Weil mir viele Themen, die für diese Freunde so wichtig sind das sie
tagelangen Gesprächsstoff bieten, einfach zu anstrengend oder unwichtig
geworden sind.
Mein
Vater hat dazu ein paar wirklich sehr weise und treffende Worte gesagt: „Du
musst Freunde haben die Dir Kraft geben – und nicht welche die Dir Kraft
rauben!“ Genauso ist es: in der Situation „monatelanger Krankenhausaufenthalt
und behindertes Kind“ braucht man alle Kraft die man hat. Und dann muss man
sich irgendwann von Menschen in seinem Leben trennen, oder zumindest
distanzieren, wenn sie einem nicht mehr gut tun. So schade das ist.
Eine
Freundin hat mir dazu ebenfalls etwas sehr richtiges gesagt: „Wenn Du auf der
einen Seite Freunde verlierst – gewinnst Du auf der anderen Seite neue Freunde
dazu!“ Und auch das ist vollkommen richtig in meinem Fall!
Seit
Kindheitstagen ist mir eine junge Frau in unserem Wohnort bekannt: man grüßt
sich auf der Straße, man redet auch kurz – das war es. Sie ist Mutter von 3
Kindern, zwei davon ebenfalls Extremfrühchen. Als sie gehört hat dass Jonathan
geboren ist und wir dasselbe erleben dass sie schon zweimal erlebt hat – hat
sie mir einfach angeboten das sie immer für mich da ist. Das ich mit ihr reden
oder vorbeikommen kann und sie mich/uns so gut unterstützen wird wie es ihr nur
möglich ist. Und das war nicht nur Gerede: sie hat es wahr gemacht! Sie war
einfach da! Hat mir zugehört, mich aufgefangen – und sie hat mich
verstanden…das war für mich wie ein Geschenk Gottes. In unseren Klinikzeiten
wurde sie für mich eine sehr wichtige Bezugsperson. Und ist das bis heute
geblieben…ich bin unendlich dankbar das ich sie heute meine Freundin nennen
darf!
Jemanden
zu haben mit dem ich über die Zeiten in der Klinik reden und mit dem gemeinsam
ich es verarbeiten konnte war wichtig…aber jemanden zu finden dessen Kind
dieselbe Diagnose wie Jonathan hat war genauso wichtig!!!
Gerrit
und Silke
Ich weiß
es noch als sei es gestern gewesen…irgendwann piepste mein Handy und ich hatte
eine SMS. Im Display stand SILKE und ich sagte zu meinem Mann: „Häh? Wer ist
das denn? Ich kenne doch gar keine Silke!“. Dann öffnete ich die Nachricht und
da stand: „Hi, ich bin die Mama von Gerrit – dem anderen Jungen mit MOPD. Und
ich habe Deine Nummer von unserer Physiotherapeutin bekommen.“ Ich glaube sie
hatte noch mehr geschrieben, aber das sah ich gar nicht mehr…weil ich so weinen
musste!!! Sie hatte sich tatsächlich gemeldet!! Sie hatte mir eine Nachricht
geschrieben und jetzt konnte ich mit ihr REDEN!!! Das hatte ich mir schon so
lange gewünscht...eine andere Mama die ein Kind mit MOPD hatte und die genau
dieselben Probleme und Sorgen hatte wie ich!! Ich konnte mich gar nicht
beruhigen: habe gelacht und gleichzeitig vor Erleichterung geweint. Nun ja…ich
habe mehr geweint wenn ich ehrlich sein soll. Es war ein unbeschreibliches
Gefühl! Nicht mehr allein sein, jemanden haben der mich versteht….dessen Kind
älter ist, der mir Tipps geben kann – mit dem generell ein Austausch
stattfinden kann, unfassbar!!!
Und dann
meinte mein Mann dass ich ihr zurück schreiben soll. Ja….was sollte ich denn
jetzt schreiben???? Wenn ich die falschen Worte wählte dann wollte sie am Ende
nichts mehr mit mir zu tun haben…der erste Eindruck ist der wichtigste, oder
nicht???
Ich
glaube man merkt es wenn man meine Geschichte liest: ich bin nicht oft um Worte
verlegen…8o)) Aber jetzt war ich wirklich unsicher! Ich habe überlegt, ein paar
Sätze geschrieben und dann wieder gelöscht. Dann habe ich zu meinem Mann gesagt
dass ich einfach nicht weiß was ich antworten soll, dass ich Angst habe das
falsche zu schreiben! Aber mein Mann meinte nur das Silke offensichtlich auch
Interesse an einem Kontakt, an einem Austausch, hätte - also: was sollte da
schon schief gehen???
Ehrlich:
ich weiß heute gar nicht mehr was ich ihr geantwortet habe…aber es wird das
Richtige gewesen sein, denn sie hat mich eingeladen sie und Gerrit zu besuchen.
8o))) Was ich einige Wochen später auch gemacht habe.
Meine GÜTE
war ich AUFGEREGT!!! Mein Herz hat geklopft, ich hatte einen Kloß im Hals. Und
ich weiß noch genau das ich vor der Haustür stand, das Klingelschild angestarrt
habe und dachte: „Wenn ich jetzt da drauf drücke, dann stehe ich gleich vor
einem Kind das genauso ist wie Jonathan!“ Das war wirklich ergreifend! Aber ein
bisschen Angst hatte ich auch…was wäre denn wenn Silke mir unsympathisch wäre –
oder ich ihr??? Wenn wir gar nicht wüssten worüber wir reden sollten???
Alles
unbegründet!! Ich bin mit weichen Knien die Treppe hoch gestiefelt und da stand
Silke schon in der Tür und wartete auf mich. Gleich der erste Eindruck war
positiv: eine sehr nette junge Frau die mich anlächelte. Sie bat mich herein
und als ich ins Wohnzimmer kam…lag er auf dem Fußboden: Gerrit. Ich hatte solch
einen Kloß im Hals… habe mich zu ihm gekniet und ihn betrachtet. Ob Silke mit
mir geredet hat in dem Moment kann ich heute nicht mehr sagen, ich war einfach
gefangen in diesem Augenblick und auf Gerrit fixiert.
Als
erstes ist mir aufgefallen das er total mobil war!!! Er drehte sich um sich
selber und kullerte mit einem Affenzahn durch den Raum. Ein kleines Xylophon
lag auf seinem Spielteppich und er suchte sich den Schläger und…machte Musik
für mich! Dabei schaute er mich an und lächelte. Ab diesem Moment war ich
seinem Charme vollkommen erlegen! Es ist unfassbar wie sehr dieser kleine Junge
mich in seinen Bann schlug, wie sehr er mein Herz berührte. Ich hatte Tränen in
den Augen und einen fetten Kloß im Hals.
Zum einen
war es die Tatsache dass er einfach eine unvorstellbare Lebensfreude versprüht,
er füllt einen Raum mit so viel Freude aus – man kann gar nicht anders als zu
lächeln! Zum anderen war es aber auch seine Mobilität. Er konnte so viel von
dem ich gedacht hatte dass es für MOPD-Kinder unmöglich sei zu lernen! Ein
Hoffnungsschimmer! Mir ging das Herz auf.
Dann
begann ich ihn zu betrachten - und mit Jonathan zu vergleichen. Wo waren sie
sich ähnlich, wo waren sie verschieden??? Was kam vom Gendefekt, was hatte
Jonathan vielleicht doch von meinem Mann und mir???
Ich
bemerkte das Gerrits Hände wirklich eins zu eins die Hände von Jonathan waren:
die spitze Form der Finger, die fleischigen Handteller, die sehr stark
gebogenen Fingernägel….ich war total fasziniert!!! Und ein bisschen traurig.
Als Eltern wünscht man sich doch immer das das Kind aussieht wie man selbst,
oder? Aber ich habe an diesem Nachmittag festgestellt das viele Dinge bei
Jonathan kein „Unikat“ waren sondern offensichtlich Ausprägung seiner
Krankheit. Das war zuerst ein komisches Gefühl…aber dann habe ich mir gesagt
dass Jonathan trotzdem noch Jonathan ist. Er hatte sich ja nicht verändert nur
weil ich jetzt festgestellt hatte das er einige Dinge weder von meinem Mann
noch mir hatte! Er war immer noch so wie Gott ihn gemacht hatte. Und so war er
gut!
Also fuhr
ich in der Betrachtung fort. Auch Gerrits Arme und Beine sahen aus wie bei
Jonathan.
Was
anders war waren die Haare: Gerrit hat sehr viele und dichte Haare, Jonathan
hat eher spärlichen Haarwuchs. Auch die Augen waren unterschiedlich: während
mein Sohn sehr glubschige Augen hat fällt das bei Gerrit nicht so sehr auf. Und
Gerrits Kopf war im Vergleich zum Körper nicht sooo klein, wohingegen Jonathan
einen extremen Microcephalus (kleinen Kopf) hat.
Silke und
ich haben uns dann ausgetauscht über die Probleme die unsere Kinder so haben:
mit dem Gehirn, mit den Organen, mit Infekten. Manche Dinge sind gleich – andere
verschieden. Unsere Kinder haben dieselbe, extrem seltene, Krankheit und sind
trotzdem zwei Persönlichkeiten mit eigenen Problemen und Bedürfnissen.
Wir Mamis
aber haben dieselben Sorgen und Ängste, wir haben dasselbe Schicksal. Wir
leiden unter der frühen Sterblichkeit unserer Jungs…wir kämpfen jeden Tag um
und für unsere Kinder..wir fahren zu Therapien und streiten mit der
Krankenkasse um Hilfsmittel…und wir haben einen 24-Stunden-Job in der Betreuung
und Pflege der beiden.
Bis heute
ist Silke einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wir können uns zwar
nicht oft sehen weil es aufgrund der Infektanfälligkeit meist nicht möglich ist
unsere Jungs zusammenzubringen, aber wir sind in ständigem Kontakt. Wir
tauschen uns aus über Diagnosen, Arzttermine, Untersuchungen und Therapien.
Wenn eine von uns einen schlechten Tag hat (was durchaus häufiger vorkommt!)
dann reicht eine SMS und die andere weiß genau was los ist. Wir reden über
unsere Ängste und versuchen uns gegenseitig zu stützen und zu helfen, einfach
füreinander da zu sein. Und manchmal… reden wir über ganz andere Dinge wie
Filme, Bücher oder unsere Hobbys…dann kehrt für einen Moment Normalität ein und
man vergisst mal alle Sorgen und Probleme.
Wir haben
uns wegen unserer Kinder gefunden, aber heute sind wir Freundinnen. SILKE: WIR
GEHEN NICHT IMMER DEN GLEICHEN WEG, ABER WIR TOLERIEREN UND AKZEPTIEREN UNS
GEGENSEITIG. ICH BIN SEHR DANKBAR DAS DU IMMER FÜR MICH DA BIST. UND ICH BIN
DIR DANKBAR DAS DU DICH MIR ANVERTRAUST UND HOFFE DAS ES NOCH SEHR LANGE SO
BLEIBT ZWISCHEN UNS!