Freitag, 21. Juli 2017

Chirurgie
Diejenigen die selbst ein Frühchen hatten werden sich schon lange fragen: „Was ist denn nun eigentlich mit dem Leistenbruch? Das wird doch normalerweise schon vor der Entlassung aus dem Krankenhaus operiert?“ Korrekt: so wird es normalerweise gehandhabt.

Ein Leistenbruch ist etwas das bei Frühchen ganz typisch ist. Die Erklärungen der Ärzte habe ich so verstanden: die Muskeln sind noch nicht fertig ausgebildet, das Baby kommt aber schon zur Welt und das Kindspech (der erste Stuhlgang) muss raus. Wenn das kleine Kerlchen sich dabei stark anstrengen muss, drückt der Darm zu stark auf die noch nicht fertigen Muskeln in der Leistengegend – und schon ist der Leistenbruch da. Es handelt sich eigentlich nur um ein „Loch“ zwischen den Muskeln in der Leistengegend – aber durch dieses Loch drückt sich ein Teil des Darms nach außen. Das hört sich jetzt schlimmer und ekliger an als es ist!! Es ist eigentlich nichts Besorgnis erregendes: so lange man den Darm wieder „reponieren“, sprich: ihn wieder zurückdrücken, kann. Schlimm wird es nur dann wenn der Darm sich nicht mehr zurückdrücken lässt: dann muss sofort operiert werden, denn ein eingeklemmter Darm kann in kurzer Zeit absterben. Und ein abgestorbener Darm ist lebensbedrohlich.

Bei Jonathan konnte man problemlos reponieren, er hat sich auch nie dagegen gewehrt oder dabei geweint. Deswegen hatte man sich zu Klinikzeiten entschlossen das er vor der Entlassung NICHT operiert werden würde: sein Gewicht war mit noch nicht einmal 2 Kg einfach zu gering. Man wollte mit der Narkose kein Risiko eingehen.

Also haben mein Mann und ich gelernt den Darm zurückzudrücken. Mein Mann war dabei immer sehr gelassen und cool…aber ich fand es einfach nur WIDERLICH! Ich habe mich geschüttelt und gequiekt wenn ich das machen musste – wirklich und ganz ehrlich!!!

Vorsichtig auf die Beule drücken die in der Leiste hängt und dann ganz laaaaangsam nach innen drücken..und dann machte das immer irgendwie PLOPP….Brrrrr! SOOO WIDERLICH!!! Aber gut: es war notwendig und deswegen habe ich es gemacht, wie so viele Dinge davor – und auch danach.

Im letzten Beitrag habe ich von unserem Termin bei der Humangenetikerin erzählt. Zu diesem Termin kam ein Kinderchirurg der Klinik dazu der sich den Leistenbruch angesehen hat. Er befand dass weiterhin kein Handlungsbedarf bestand, der Leistenbruch ließ sich gut wegdrücken und so lange sich daran nichts änderte, sollten wir in einem halben Jahr erneut vorsprechen. Dann würde man sehen wie Jonathans Gewicht sich entwickelt habe und wann die OP stattfinden könne.



Zu diesem Gespräch mit der Humangenetikerin und unserem Chirurgen muss ich noch eine lustige Geschichte erzählen, ich hoffe der Chirurg verzeiht mir das! 8o)))
Kurz vor Jonathans Entlassung aus dem Krankenhaus wurde mir angekündigt dass ein Kinderchirurg auf Station vorbeikommen würde, der sich den Leistenbruch ansehen und dann entscheiden sollte ob Jonathan so nach Hause gehen darf oder ob eventuell vorher doch noch operiert werden muss. Ich war total aufgeregt, klar: jeder hat Angst davor das sein Kind eine OP benötigt! Dann kamen eine Ärztin…und ein Medizinstudent. So mein Eindruck. Die Ärztin war vielleicht in meinem Alter, also Ende 30. Den Mann im weißen Kittel schätzte ich auf Mitte/Ende 20. Beide sehr nett, er hat Jonathan untersucht und ich dachte noch: „Er muss ja auch noch üben!!“ Geredet habe ICH fast nur mit der Ärztin. Sie hat dann auch verkündet dass Jonathan nach Hause darf und die OP gemacht wird sobald er 3 oder besser 3,5 Kilo wiegt – WENN sich der Leistenbruch vorher nicht einklemmt. So weit, so gut….jetzt waren einige Monate vergangen, wir waren in der Tagesklinik und unsere Humangenetikerin meinte das sie mal den Kinderchirurgen anruft, einen sehr erfahrenen und langjährigen Kollegen. Und als die Tür aufgeht und der Arzt den Raum betritt….war es „mein“ Medizinstudent!!! Mir ist buchstäblich die Kinnlade heruntergefallen…ich habe gestaunt und gestottert und ihn gefragt ob er WIRKLICH der Kinderchirurg sei denn er sehe doch noch so jung aus!! Und er hat gegrinst und gemeint: „Ja, das höre ich öfter. Aber ich habe tatsächlich schon mein Studium abgeschlossen und auch einige Jahre Berufserfahrung!“ Bei jedem weiteren unserer Treffen hat sich das zu einem „runing gag“ entwickelt und irgendwann habe ich ihm auch gestanden dass ich ihn zu Anfang für einen Studenten gehalten habe. Das nahm er als Kompliment und hat sich sehr gefreut. Leider hat er mir bis heute nicht verraten wie alt er wirklich ist…8o)))

Die „To-Do-Liste“ war abgearbeitet, Kontrolltermine vereinbart. Jetzt konnte der Alltag beginnen!!!


Kleine Geburtstagsfeier für den Papa
Wir feierten das mit einem gemeinsamen Restaurantbesuch. Sie erinnern sich: die Termine beim Kardiologen und in der Tagesklinik fanden am Geburtstag meines Mannes statt. Nachdem wir in den Kliniken fertig waren haben wir beschlossen in einem Restaurant zu Mittag zu essen, damit der Tag zumindest ein bisschen den Charakter eines Geburtstages/einer Feier hatte.

Es war schon fast 14 Uhr und deswegen war uns klar das das Restaurant nicht mehr stark besucht sein würde: solche Überlegungen sind im Leben mit Jonathan bis heute wichtig denn aufgrund seines Immunsystems ist es besser wenn wir uns NICHT allzu großen Menschenmengen aussetzen.

Den größten Teil des Mittagsessens hat der kleine Mann verschlafen: die lange Autofahrt und die Untersuchungen hatten ihn doch ganz schön geschlaucht. Aber irgendwann hatte er auch Hunger und ist wach geworden, also habe ich ihn auf den Arm genommen und gefüttert. Bei diesem Restaurantbesuch haben wir zum ersten Mal erlebt wie fremde Menschen auf Jonathan reagieren: die Kellnerin kam direkt zu uns und hat gefragt wie alt er denn sei, denn er sei doch so wahnsinnig klein….Wir haben ihr freundlich alles erklärt, gestört hat uns das an diesem Tag nicht. Wir waren eher amüsiert darüber so im Mittelpunkt zu stehen.

Aber DAS…sollte in unserem Leben nicht mehr lange so bleiben…

In den Alltag finden
Der Alltag pendelte sich relativ schnell ein: Medikamente geben und zu Therapien fahren. Zuhause „turnen“ und Blutdruck messen. Jonathan füttern, Essen kochen und mit Marvin Schularbeiten machen. Den Haushalt führen und einkaufen gehen. Im Endeffekt (fast) alles das was auch eine Familie mit zwei gesunden Kindern im Alltag erlebt!

Mein Mann hatte mittlerweile seine zweimonatige Elternzeit angetreten und ich denke ich kann sagen: wir waren ziemlich entspannt! Wir hatten morgens keinen Stress: wir MUSSTEN nicht ins Bad und mein Mann nicht rechtzeitig zur Arbeit losfahren. Wir konnten einen Gang zurückschalten, unser Leben lief gemächlicher ab. Zeit die langen Monate in der Klinik zu vergessen und zu verarbeiten – Zeit zu begreifen dass es Vergangenheit war, dass Jonathan zu Hause war! Bei uns…

Einige Wochen lang lag ich morgens nach dem Aufwachen ganz still in meinem Bett und wartete ab bis sich meine Gedanken sortiert hatten…wartete ob es dann immer noch real war das Jonathan hier bei mir im Raum war, in seinem Bettchen am Fußende meines Bettes…oder ob ich das nur geträumt hatte..

Die Monate in der Klinik zu verarbeiten war (und ist bis heute) nicht leicht. „Es hängt einem nach“, es gibt immer noch Momente in denen alles wieder hochkommt – meist unverhofft und plötzlich. Wie ein Blitzlicht. Dann ist der Kloß im Hals wieder da, die Enge in der Brust - die Angst…die Gerüche und die Geräusche. Die Tränen.

Das blöde daran ist…selbst enge und langjährige Freunde verstehen das nicht!! Man kann nicht mit Menschen darüber reden die selbst nie in dieser Situation waren, Vorstellungskraft allein reicht nicht aus um komplett zu ermessen was so eine Situation für die Eltern bedeutet oder ihnen abverlangt. Niemand der es nicht selbst erlebt hat kann verstehen was einen beschäftigt oder was man zu verkraften hat. Was man braucht in dieser Situation. Und wann Plattitüden einfach nicht angemessen sind.

Ich weiß das ich nicht die Einzige bin die während ihrer Zeit auf der Frühchenintensivstation von Freunden gefragt wurde: „Was, Du fährst schon WIEDER ins Krankenhaus?? Machst Du das JEDEN Tag???“

Wenn schon die Tatsache das ich täglich bei meinem Kind sein möchte für solches Erstaunen sorgt…wie soll ich dann diesen Menschen erklären wie die Zeit in der Klinik mich verändert hat? Wie sie dafür gesorgt hat das sich meine Wahrnehmung verändert hat: so viele Dinge die früher wichtig waren (z.B. Erfolg im Beruf oder das Erreichen von materiellen Gütern) auf einmal total egal sind? Weil nur das Leben allein zählt…weil nur mein Kind zählt.

Wenn man stundenlang neben einem Inkubator sitzt und betet das dieser winzige Mensch kämpft…wenn man merkt das man selbst „so klein“ und unwichtig ist in dieser Welt und das man nichts was zählt im Leben selber beeinflussen kann…dann wird man so verdammt demütig!

Dann zählen auf einmal andere Dinge im Leben und der Blickwinkel auf die Welt verändert sich. Man wird ernster. Nachdenklicher. Trauriger?! Ja, für mich stimmt auch das. Ich wollte nie ein Kind bekommen um von Anfang an zu wissen dass ich es überleben werde. Das ist wohl bei niemandem der Plan. Jeden Tag hängt eine dunkle Wolke über einem..richtig genießen, mit jeder Faser des Herzens, kann man sein Leben nicht mehr. Denn da ist immer diese Angst dass heute der letzte Tag sein könnte.

Vielleicht ist dieses Gefühl bei mir stärker weil ich weiß dass ich ein Kind mit einem lebensverkürzenden Gendefekt habe. Aber jeder der für längere Zeit auf einer Neonatologie war hat viele Kinder dorthin kommen sehen – und einige sind nicht nach Hause gegangen. Das ist der Lauf der Dinge, das gehört auf so einer Station dazu. Und auch wenn es keine schönen Gedanken sind…so empfindet man Erleichterung wenn der Name des eigenen Kindes NICHT auf der Belegungstafel ausgewischt wird.

Alle diese Eindrücke…Gefühle…Ängste…hat man und man nimmt sie mit und ich denke man wird sie zeitlebens nicht mehr los. Und darüber kann man nicht mit jedem sprechen. Weil einen nicht jeder verstehen kann.

Deswegen ändert sich der Freundeskreis. Im besten Falle erweitert er sich, doch bei uns hat er sich verändert. Einige langjährige Freunde spielen heute eine eher geringe Rolle in meinem Leben. Weil es einfach nicht mehr harmoniert hat, weil ich mich mit ihnen nicht mehr wohl gefühlt oder nicht mehr von ihnen verstanden gefühlt haben. Was mit Sicherheit nicht allein an ihnen, sondern auch an mir liegt: weil ICH mich verändert habe!! Weil sich meine Prioritäten verändert haben. Weil mir viele Themen, die für diese Freunde so wichtig sind das sie tagelangen Gesprächsstoff bieten, einfach zu anstrengend oder unwichtig geworden sind.

Mein Vater hat dazu ein paar wirklich sehr weise und treffende Worte gesagt: „Du musst Freunde haben die Dir Kraft geben – und nicht welche die Dir Kraft rauben!“ Genauso ist es: in der Situation „monatelanger Krankenhausaufenthalt und behindertes Kind“ braucht man alle Kraft die man hat. Und dann muss man sich irgendwann von Menschen in seinem Leben trennen, oder zumindest distanzieren, wenn sie einem nicht mehr gut tun. So schade das ist.

Eine Freundin hat mir dazu ebenfalls etwas sehr richtiges gesagt: „Wenn Du auf der einen Seite Freunde verlierst – gewinnst Du auf der anderen Seite neue Freunde dazu!“ Und auch das ist vollkommen richtig in meinem Fall!

Seit Kindheitstagen ist mir eine junge Frau in unserem Wohnort bekannt: man grüßt sich auf der Straße, man redet auch kurz – das war es. Sie ist Mutter von 3 Kindern, zwei davon ebenfalls Extremfrühchen. Als sie gehört hat dass Jonathan geboren ist und wir dasselbe erleben dass sie schon zweimal erlebt hat – hat sie mir einfach angeboten das sie immer für mich da ist. Das ich mit ihr reden oder vorbeikommen kann und sie mich/uns so gut unterstützen wird wie es ihr nur möglich ist. Und das war nicht nur Gerede: sie hat es wahr gemacht! Sie war einfach da! Hat mir zugehört, mich aufgefangen – und sie hat mich verstanden…das war für mich wie ein Geschenk Gottes. In unseren Klinikzeiten wurde sie für mich eine sehr wichtige Bezugsperson. Und ist das bis heute geblieben…ich bin unendlich dankbar das ich sie heute meine Freundin nennen darf!

Jemanden zu haben mit dem ich über die Zeiten in der Klinik reden und mit dem gemeinsam ich es verarbeiten konnte war wichtig…aber jemanden zu finden dessen Kind dieselbe Diagnose wie Jonathan hat war genauso wichtig!!!



Gerrit und Silke
Ich weiß es noch als sei es gestern gewesen…irgendwann piepste mein Handy und ich hatte eine SMS. Im Display stand SILKE und ich sagte zu meinem Mann: „Häh? Wer ist das denn? Ich kenne doch gar keine Silke!“. Dann öffnete ich die Nachricht und da stand: „Hi, ich bin die Mama von Gerrit – dem anderen Jungen mit MOPD. Und ich habe Deine Nummer von unserer Physiotherapeutin bekommen.“ Ich glaube sie hatte noch mehr geschrieben, aber das sah ich gar nicht mehr…weil ich so weinen musste!!! Sie hatte sich tatsächlich gemeldet!! Sie hatte mir eine Nachricht geschrieben und jetzt konnte ich mit ihr REDEN!!! Das hatte ich mir schon so lange gewünscht...eine andere Mama die ein Kind mit MOPD hatte und die genau dieselben Probleme und Sorgen hatte wie ich!! Ich konnte mich gar nicht beruhigen: habe gelacht und gleichzeitig vor Erleichterung geweint. Nun ja…ich habe mehr geweint wenn ich ehrlich sein soll. Es war ein unbeschreibliches Gefühl! Nicht mehr allein sein, jemanden haben der mich versteht….dessen Kind älter ist, der mir Tipps geben kann – mit dem generell ein Austausch stattfinden kann, unfassbar!!!

Und dann meinte mein Mann dass ich ihr zurück schreiben soll. Ja….was sollte ich denn jetzt schreiben???? Wenn ich die falschen Worte wählte dann wollte sie am Ende nichts mehr mit mir zu tun haben…der erste Eindruck ist der wichtigste, oder nicht???

Ich glaube man merkt es wenn man meine Geschichte liest: ich bin nicht oft um Worte verlegen…8o)) Aber jetzt war ich wirklich unsicher! Ich habe überlegt, ein paar Sätze geschrieben und dann wieder gelöscht. Dann habe ich zu meinem Mann gesagt dass ich einfach nicht weiß was ich antworten soll, dass ich Angst habe das falsche zu schreiben! Aber mein Mann meinte nur das Silke offensichtlich auch Interesse an einem Kontakt, an einem Austausch, hätte - also: was sollte da schon schief gehen???

Ehrlich: ich weiß heute gar nicht mehr was ich ihr geantwortet habe…aber es wird das Richtige gewesen sein, denn sie hat mich eingeladen sie und Gerrit zu besuchen. 8o))) Was ich einige Wochen später auch gemacht habe.

Meine GÜTE war ich AUFGEREGT!!! Mein Herz hat geklopft, ich hatte einen Kloß im Hals. Und ich weiß noch genau das ich vor der Haustür stand, das Klingelschild angestarrt habe und dachte: „Wenn ich jetzt da drauf drücke, dann stehe ich gleich vor einem Kind das genauso ist wie Jonathan!“ Das war wirklich ergreifend! Aber ein bisschen Angst hatte ich auch…was wäre denn wenn Silke mir unsympathisch wäre – oder ich ihr??? Wenn wir gar nicht wüssten worüber wir reden sollten???

Alles unbegründet!! Ich bin mit weichen Knien die Treppe hoch gestiefelt und da stand Silke schon in der Tür und wartete auf mich. Gleich der erste Eindruck war positiv: eine sehr nette junge Frau die mich anlächelte. Sie bat mich herein und als ich ins Wohnzimmer kam…lag er auf dem Fußboden: Gerrit. Ich hatte solch einen Kloß im Hals… habe mich zu ihm gekniet und ihn betrachtet. Ob Silke mit mir geredet hat in dem Moment kann ich heute nicht mehr sagen, ich war einfach gefangen in diesem Augenblick und auf Gerrit fixiert.

Als erstes ist mir aufgefallen das er total mobil war!!! Er drehte sich um sich selber und kullerte mit einem Affenzahn durch den Raum. Ein kleines Xylophon lag auf seinem Spielteppich und er suchte sich den Schläger und…machte Musik für mich! Dabei schaute er mich an und lächelte. Ab diesem Moment war ich seinem Charme vollkommen erlegen! Es ist unfassbar wie sehr dieser kleine Junge mich in seinen Bann schlug, wie sehr er mein Herz berührte. Ich hatte Tränen in den Augen und einen fetten Kloß im Hals.

Zum einen war es die Tatsache dass er einfach eine unvorstellbare Lebensfreude versprüht, er füllt einen Raum mit so viel Freude aus – man kann gar nicht anders als zu lächeln! Zum anderen war es aber auch seine Mobilität. Er konnte so viel von dem ich gedacht hatte dass es für MOPD-Kinder unmöglich sei zu lernen! Ein Hoffnungsschimmer! Mir ging das Herz auf.

Dann begann ich ihn zu betrachten - und mit Jonathan zu vergleichen. Wo waren sie sich ähnlich, wo waren sie verschieden??? Was kam vom Gendefekt, was hatte Jonathan vielleicht doch von meinem Mann und mir???

Ich bemerkte das Gerrits Hände wirklich eins zu eins die Hände von Jonathan waren: die spitze Form der Finger, die fleischigen Handteller, die sehr stark gebogenen Fingernägel….ich war total fasziniert!!! Und ein bisschen traurig. Als Eltern wünscht man sich doch immer das das Kind aussieht wie man selbst, oder? Aber ich habe an diesem Nachmittag festgestellt das viele Dinge bei Jonathan kein „Unikat“ waren sondern offensichtlich Ausprägung seiner Krankheit. Das war zuerst ein komisches Gefühl…aber dann habe ich mir gesagt dass Jonathan trotzdem noch Jonathan ist. Er hatte sich ja nicht verändert nur weil ich jetzt festgestellt hatte das er einige Dinge weder von meinem Mann noch mir hatte! Er war immer noch so wie Gott ihn gemacht hatte. Und so war er gut!

Also fuhr ich in der Betrachtung fort. Auch Gerrits Arme und Beine sahen aus wie bei Jonathan.

Was anders war waren die Haare: Gerrit hat sehr viele und dichte Haare, Jonathan hat eher spärlichen Haarwuchs. Auch die Augen waren unterschiedlich: während mein Sohn sehr glubschige Augen hat fällt das bei Gerrit nicht so sehr auf. Und Gerrits Kopf war im Vergleich zum Körper nicht sooo klein, wohingegen Jonathan einen extremen Microcephalus (kleinen Kopf) hat.

Silke und ich haben uns dann ausgetauscht über die Probleme die unsere Kinder so haben: mit dem Gehirn, mit den Organen, mit Infekten. Manche Dinge sind gleich – andere verschieden. Unsere Kinder haben dieselbe, extrem seltene, Krankheit und sind trotzdem zwei Persönlichkeiten mit eigenen Problemen und Bedürfnissen.

Wir Mamis aber haben dieselben Sorgen und Ängste, wir haben dasselbe Schicksal. Wir leiden unter der frühen Sterblichkeit unserer Jungs…wir kämpfen jeden Tag um und für unsere Kinder..wir fahren zu Therapien und streiten mit der Krankenkasse um Hilfsmittel…und wir haben einen 24-Stunden-Job in der Betreuung und Pflege der beiden.

Bis heute ist Silke einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wir können uns zwar nicht oft sehen weil es aufgrund der Infektanfälligkeit meist nicht möglich ist unsere Jungs zusammenzubringen, aber wir sind in ständigem Kontakt. Wir tauschen uns aus über Diagnosen, Arzttermine, Untersuchungen und Therapien. Wenn eine von uns einen schlechten Tag hat (was durchaus häufiger vorkommt!) dann reicht eine SMS und die andere weiß genau was los ist. Wir reden über unsere Ängste und versuchen uns gegenseitig zu stützen und zu helfen, einfach füreinander da zu sein. Und manchmal… reden wir über ganz andere Dinge wie Filme, Bücher oder unsere Hobbys…dann kehrt für einen Moment Normalität ein und man vergisst mal alle Sorgen und Probleme.

Wir haben uns wegen unserer Kinder gefunden, aber heute sind wir Freundinnen. SILKE: WIR GEHEN NICHT IMMER DEN GLEICHEN WEG, ABER WIR TOLERIEREN UND AKZEPTIEREN UNS GEGENSEITIG. ICH BIN SEHR DANKBAR DAS DU IMMER FÜR MICH DA BIST. UND ICH BIN DIR DANKBAR DAS DU DICH MIR ANVERTRAUST UND HOFFE DAS ES NOCH SEHR LANGE SO BLEIBT ZWISCHEN UNS!