Schon wieder Augenuntersuchung in Vollnarkose….
Man weiß aktuell noch nicht alles über die
Erkrankung MOPD Typ 1: es hat bisher einfach zu wenige Fälle davon gegeben.
Aber man weiß zum Beispiel, dass Kinder die an
dieser Krankheit leiden zu GLAUKOMEN neigen, also zu grünem Star. Den kann man
gut behandeln: WENN man ihn frühzeitig erkennt.
Aus diesem Grund muss Jonathan einmal im Jahr zu
einer Untersuchung in die Augenklinik. Dort wird er in Vollnarkose gelegt und
ein Arzt schaut seinen Augenhintergrund an um festzustellen ob es dort
Veränderungen, also Glaukome, gibt.
Ich habe bereits vor einiger Zeit über diese
Untersuchung berichtet, wie gesagt: sie muss einmal im Jahr gemacht werden. Und
nun war es mal wieder soweit!
Zuerst einmal machten wir uns auf den Weg um mit
dem Narkosearzt ein Vorgespräch zu führen. Und um mit den Augenärzten die OP an
sich durchzusprechen, uns über Risiken und Nebenwirkungen aufklären zu lassen. (Wobei
wir die ja alle schon kannten – aber Deutschland ist eben bürokratisch und da
muss alles seine Richtigkeit haben!)
Die Gespräche an sich waren nicht spektakulär, wir
kannten das ja alles schon. Die Wartezeiten regten uns aber auch heute wieder
auf. Diese Augenklinik ist wirklich so unstrukturiert! Aber wenigstens waren
die Damen am Empfang heute mal nett und auch nicht mit Kosmetikmaßnahmen
beschäftigt.
Ein paar Tage später war dann der „große Tag“
gekommen: der Termin für die Untersuchung in Vollnarkose.
Für mich immer ein Anlass schon Tage vorher nicht
mehr richtig zu schlafen. Vollnarkose bei meinem kleinen Würmchen ist für mich
immer der Horror. Weil ich Angst habe das er nicht mehr aufwacht…das es in der
Narkose Komplikationen gibt.
Mein Mann hatte Urlaub genommen damit wir gemeinsam
in die Klinik fahren konnten, allein hätte ich das auch nicht geschafft! Ich
war ein Nervenbündel, in dem Zustand hätte ich mich nie im Leben gescheit um
Jonathan kümmern können. Geschweige denn IHM die nötige Ruhe vermitteln können
die er brauchte – denn auch für ihn war dieser Tag aufregend! Er merkt immer
sehr genau wenn er in der Klinik ist (die Gerüche und die Kleidung des
Ärzteteams) und das macht ihm Angst!
Nach dem Aufstehen war mir schlecht….frühstücken
ging nicht. Auch Unterhaltungen mag ich in diesen Momenten überhaupt nicht –
mein Mann allerdings möchte mich immer „aufmuntern“ und redet wie ein
Wasserfall. Schwierig….lach…
Da Jonathan weder essen noch trinken durfte konnten
wir zügig losfahren. Ich saß hinten neben dem kleinen Mann und habe Fotos
gemacht: für Facebook, für Instagram…ein paar auch einfach nur fürs private
Fotoalbum. Die Gedanken fuhren Karussell und ich bekam sie einfach nicht aus
dem Kopf – waren das die letzten Fotos von Jonathan? Was wäre wenn
Komplikationen auftreten würden??? Wenn er die Untersuchung nicht überlebte???
Vermutlich geht es allen Eltern so deren Kinder
eine OP benötigen. Als Marvin einmal eine Not-OP wegen eines Armbruchs brauchte
war ich auch fix und fertig. Und doch ist es bei Jonathan irgendwie anders….
Wir wissen ja dass wir nicht sooo viel Zeit mit ihm
haben…und genießen unser Leben deswegen intensiver, unternehmen auch viel mehr.
Trotzdem fragte ich mich an diesem Morgen ob ich aus den letzten 2,5 Jahren
wirklich ALLES rausgeholt hatte was ging: hatte ich genug mit ihm
gespielt…gekuschelt…gelacht??? NEIN. Für mein Empfinden war es nicht GENUG
gewesen. Und deswegen hatte ich auch solche Angst…..ich hatte einfach noch
nicht genug LEBEN mit Jonathan gehabt und ich wollte nicht das es heute schon vorbei
war….
Der Weg in die Klinik ist für mich immer das
Allerschlimmste. Ich habe so viele schreckliche Erinnerungen an diesen Ort und
könnte schon heulen wenn ich nur auf die Eingangstüren zugehen muss.
An diesem Tag sind wir durch die Notaufnahme
reingegangen, das war ein bisschen besser für mich als der Haupteingang – aber
gut war es trotzdem nicht.
Wir mussten warten. Für mein Nervenkostüm nicht
grade förderlich.
Im Wartebereich haben wir noch eine Menge Fotos
gemacht: von Jonathan, von meinem Mann mit Jonathan…und dann kam eine nette
andere Patientin die uns angeboten hat uns auch alle drei zusammen zu
fotografieren. Ich mag das Foto das in diesem Moment entstanden ist: wir sehen
glücklich aus, und die Anspannung sieht man gar nicht.
Und angespannt waren wir. Natürlich zum einen weil
eine Narkose bevorstand - und Narkosen bergen immer ein gewisses Risiko.
Besonders vermutlich bei einem so kleinen Menschen wie Jonathan. Der zudem
epileptische Anfälle hat.
Aber es gab noch einen weiteren Grund für unsere
immense Anspannung. Nur wenige Tage zuvor…wäre das Kind einer Freundin von mir
fast gestorben. In genau diesem Krankenhaus.
Gestorben WEIL der kleine Kerl aufgrund eines
Infektes intubiert werden musste, sich dabei übergeben und das Erbrochene
eingeatmet (also in die Lunge aspiriert) hat. Es folgten drei Stunden manuelle
Beatmung mit dem Beutel – bis zur völligen Erschöpfung der Ärztin…dann künstliches
Koma…viele Medikamente, Schläuche und Untersuchungen. Ein Klinikmarathon,
wochenlange Ungewissheit ob der kleine Kerl es überhaupt schaffen wird oder
nicht.
Auch Jonathan sollte nun intubiert werden – und dieses
Wissen machte mich verrückt!!! Was wenn auch er sich übergeben müsste und
dadurch in Lebensgefahr geriet??? Wie schnell sowas, auch bei einer
Routinehandlung der Ärzte!, gehen konnte hatten wir ja nun erlebt. Teilweise
war ich kurz davor Jonathans Untersuchung abzusagen weil meine Angst einfach zu
groß war. Aber ich wusste auch dass ich sie ja nur aufgeschoben hätte….sie
MUSSTE regelmäßig durchgeführt werden, daran führte kein Weg vorbei. Also
musste ich meine Angst wohl oder übel bekämpfen….
Zum Zeitpunkt von Jonathans Augen-OP lag der Sohn
meiner Freundin nur ein paar Stockwerke von uns entfernt und kämpfte um sein
Leben. Ich war tagelang einfach nur fertig, habe dauernd geweint…..meiner
Freundin viele SMSen geschrieben und mein Handy permanent (auch nachts) bei mir
gehabt um immer sofort reagieren zu können wenn sie mir schreibt.
(Während der OP von Jonathan haben wir uns auch
kurz vor der Intensivstation gesehen und ich konnte sie in den Arm nehmen, das
hat mir unglaublich gut getan weil ich gesehen habe das sie trotz dieser
furchtbaren Situation noch Kraft hat und nicht zusammenbrechen wird..sie ist
eine so starke Frau!)
Nun ja….natürlich war ich – und auch mein Mann- in
erster Linie traurig, betroffen und fertig weil wir Angst um diesen kleinen
Jungen hatten….weil wir uns natürlich auch vorstellen konnten was die Familie
grade durchmachte. Aber….wir machten uns durch diesen Schicksalsschlag auch
andere Gedanken. Gedanken zum Thema „Lebenserhaltende Maßnahmen“. Schon einmal,
als Jonathan wegen seines epileptischen Anfalles im Krankenhaus lag, hatten wir
über dieses Thema gesprochen. Aber wir hatten damals nichts Schriftliches
verfügt und uns auch nach der Entlassung aus der Klinik nie wieder mit diesem
Thema auseinandergesetzt. Sollte man aber. Auch als Erwachsener. Auch als gesunder
Mensch.
Die „fehlgeschlagene“ Intubation machte uns nun
deutlich dass wir uns damit noch einmal auseinandersetzen – und dass wir etwas
Schriftliches verankern sollten…für den Fall der Fälle. Um nicht in einer
Notlage entscheiden zu müssen - wenn man den Kopf überhaupt nicht frei hat für
rationale Gedanken.
Dieses Thema hat uns einige Abende gekostet. Wir
haben geredet, diskutiert. Ich habe geweint (man will über den Tod ja gar nicht
nachdenken). Wir haben einen Freund angerufen der jahrelange Arbeits-Erfahrung
auf einer Frühchenstation hat und ihn um Rat gefragt: „Wo fangen
lebenserhaltende Maßnahmen an? Wie lange kann man sie durchführen OHNE dass Hirn-Schädigungen
auftreten? Was kann der Körper verkraften und wo fängt die „Quälerei“ an?“…er
hat uns objektive Auskünfte gegeben, REIN MEDIZINISCH BETRACHTET. Die
Entscheidung was wir verfügen lag allein bei meinem Mann und mir – das zu
betonen ist mir an dieser Stelle sehr wichtig.
Wir haben eine gemeinsame Entscheidung getroffen
und wir haben dafür einige Punkte in die Waagschale geworfen: allen voran den
Punkt das Jonathan aufgrund seines Gendefektes keine normale Lebenserwartung
hat und wir denken das man ihm nicht ALLES UND UM JEDEN PREIS zumuten muss. Er
soll ein schönes, glückliches (und hoffentlich langes!) Leben haben – dafür
geben wir alles!!! Aber er soll auch, wenn der Tag gekommen ist, mit Würde
gehen dürfen.
Was genau wir verfügt haben: bleibt bei uns. Das
ist eine Sache die wir nicht mit der Öffentlichkeit teilen möchten.
Ich habe dieses Thema jetzt aber eigentlich auch aus
dem Grund angeschnitten weil ich glaube, das sich mehr Menschen über diese
Punkte Gedanken machen –und Maßnahmen verfügen- sollten. Das macht einen erstens
selbst „glücklicher“ und „ruhiger“: alles ist geregelt und man weiß was
passiert wenn man selbst nichts mehr sagen kann. Und es ist zweitens für die
Angehörigen um so vieles leichter wenn sie nicht in einem Schockzustand
gezwungen sind weitreichende Entscheidungen zu treffen!!
Mein Mann und ich haben beide einen
Organspender-Ausweis. Wenn ich ein Organ BENÖTIGEN würde – dann wäre ich froh
eines zu bekommen. Also muss ich im Umkehrschluss auch bereit sein ein Organ zu
SPENDEN. Oder???
In anderen Ländern ist die gesetzliche Regelung dass
IMMER Organe entnommen werden dürfen - es sei denn man WIDERSPRICHT dem. Finde
ich ehrlich gesagt eine gute Lösung. Denn bei uns in Deutschland muss man sich
mit dem Thema auseinandersetzen und das machen die wenigsten…aus Bequemlichkeit
oder auch aus Angst: wer denkt schon gerne über die eigene Endlichkeit nach?!
Aber…es ist ein wichtiges Thema, denn es kann LEBEN
RETTEN! Es ist mir eine Herzensangelegenheit….
Vielleicht habe ich ja den ein oder anderen durch
meine Worte nachdenklich gemacht und kann ihn nun dazu bewegen sich über
lebenserhaltende Maßnahmen und/oder Organspende Gedanken zu machen und
Verfügungen zu schreiben. 8O))
….wir jedenfalls hatten ein Schriftstück mit
unseren Verfügungen dabei dass ich der Narkoseärztin mit den Worten „Ich denke
ja dass wir es nicht brauchen – aber wir fühlen uns besser wenn Sie das
wissen!“, überreichte. Sie nahm das Dokument, flog darüber und sagte dass sie
es in die Akte legen und die operierenden Ärzte darüber in Kenntnis setzen
würde. Ich wusste in diesem Moment nicht so recht ob mich das beruhigte oder
eher noch mehr ängstigte….
Angst bekam ich jedenfalls eine gute Stunde später.
Jonathan war mittlerweile in den OP abgeholt
worden, ich war kurz bei meiner Freundin vor der Intensivstation gewesen und
saß nun wieder mit meinem Mann im Wartebereich der Augenklinik – mit direktem
Blick auf den OP-Bereich. Auf einmal…..brach Panik aus: Schwestern rannten
Richtung OP….Pfleger hinterher, einer hatte einen Notfallkoffer in der Hand
(erkennbar an den Zeichen auf dem Koffer). Laute Rufe, Türenknallen….
Mir wurde SO SCHLECHT!!!! War etwas mit Jonathan?
Ging es ihm schlecht??? Diese Minuten waren einfach nur furchtbar….mein Herz
raste…mein Hals war komplett zu und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu
bekommen…. PANIK!!!
Zum Glück musste ich diese Situation nur wenige
Minuten aushalten, dann beruhigte sich die Lage bei Pflegern und Schwestern und
unser behandelnder Arzt kam zu uns und teilte mit das alles gut gelaufen und
Jonathan auf dem Weg in den Aufwachraum sei.
Das Ergebnis der Untersuchung war folgendes:
Es gab eine Veränderung im Augenhintergrund, die
man aber aktuell nicht zuordnen konnte weil der Sehnerv zu klein war. Es sah
NICHT wie ein Glaukom aus, man wusste aber auch nicht WAS es war. Also erneute
Kontrolle in einem Jahr.
Außerdem hatte man versucht zu messen ob Jonathan
kurzsichtig war: mein Mann und ich haben beide eine STARKE Kurzsichtigkeit, es
wäre also kein Wunder wenn Jonathan auch eine Brille bräuchte!! Doch diese
Untersuchung war nicht erfolgreich gewesen, sie hatte schlichtweg nicht
funktioniert. Man würde das in einem Jahr wieder versuchen. Aktuell stellte es
sich aber zu Hause so dar das Jonathan nach Aufforderung zu Gegenständen hin krabbelte
die mehrere Meter von ihm entfernt lagen – er musste sie also sehen! Das sprach
dafür dass er nicht sooo schlecht sehen konnte und somit hatten wir hier keinen
akuten Handlungsbedarf.
Dann durfte einer von uns zu Jonathan in den
Aufwachraum. Zum allerersten Mal war man hier nicht so kulant uns BEIDE zu ihm
zu lassen, wir mussten uns abwechseln. Ich begann, denn ich hielt es nicht mehr
aus: ich musste mein „Baby“ in den Arm nehmen und drücken. Mich versichern dass
er noch da war und es ihm gut ging.
Leider ließ er sich von mir nicht wirklich
beruhigen: er konnte wegen der Pupillenerweiternden Augentropfen (wieder) nicht
richtig sehen und verstand das nicht. Nach mehreren Minuten in denen ich mich
erfolglos bemühte ihn zu beruhigen und er doch nur die komplette Augenklinik
zusammen schrie…bat ich die Schwester meinen Mann zu holen damit er übernahm.
Kaum war der Papa da und hatte ihn im Arm: war
Jonathan ruhig.
Sicher fragen sich jetzt ein paar Mütter ob ich es
schlimm finde das er so PAPA-FIXIERT ist. Nein: finde ich nicht! Ich finde es
schön…für meinen Mann. Und ich habe ja noch Marvin, der sehr an mir hängt. Von
daher: ist es doch gut wenn es ein wenig ausgeglichen ist bei uns….lach…
Da ich nun nicht mehr im Aufwachraum bleiben durfte
bin ich in den Wartebereich zurückgegangen. Dort habe ich zwei sehr nette Damen
wieder getroffen mit denen wir schon während der OP geredet hatten. Auch ihnen
war nicht verborgen geblieben wie sehr Jonathan geschrien hatte und sie fragten
mich sehr viel über den kleinen Mann und seine Krankheit.
Ich habe alle Fragen gerne beantwortet, ich finde
es einfach besser wenn wir Fragen gestellt bekommen – als wenn wir angestarrt
werden!!! Ein Grund warum wir an die Öffentlichkeit gegangen sind ist ja der,
das wir Jonathans Krankheit „bekannter“ machen und um ein wenig mehr Toleranz
werben wollen. Von daher: immer her mit Fragen!! Damit kommen wir viel besser
klar…und ich denke das es auch für unser Umfeld viel leichter ist Antworten zu
bekommen als nur Mutmaßungen anzustellen.
Es dauerte erstaunlicherweise auch gar nicht lange
und dann kam mein Mann schon mit Jonathan im Arm zu uns und meinte das alle
seine Werte ok seien, er getrunken und ein wenig gegessen habe und wir nun
gehen dürften. Na dann: nix wie nach Hause!!! 8o)))