Frühförderung
Anfang
des Jahres haben wir uns an unsere zuständige „Lebenshilfe“-Stelle gewandt: wir
hatten erfahren das wir wegen Jonathans Gendefekt/Behinderung Anrecht auf
„Frühförderung“ hatten.
Am
Telefon hatte ich erklärt das wir nicht in die Frühförderstelle kommen könnten
sondern die Stunden bei uns zu Hause in Anspruch nehmen müssten, Jonathans
Immunsystem ließe es nicht zu das wir mit anderen Kindern in einem
Gruppentermin seien. Mir wurde mitgeteilt dass das überhaupt kein Problem
darstelle, was mich sehr erleichterte. Hatte ich doch die Befürchtung gehabt
das keine „Hausbesuche“ möglich seien und wir diese Fördermaßnahme eventuell
gar nicht in Anspruch nehmen könnten.
Zum
ersten Kennenlernen kam die Leiterin der Frühförderstelle zu uns nach Hause.
Sie erklärte uns was Frühförderung überhaupt bedeutet: abgestimmt auf die
individuellen Bedürfnisse des Kindes und unter Einsatz von verschiedenen
Materialien oder Musikinstrumenten werden genau die Punkte unterstützt und
gefördert an denen die Probleme des Kindes liegen. Also bei uns würde die
Motorik als erstes im Vordergrund stehen da Jonathan sich auch mit 10 Monaten
noch immer nicht allein drehen konnte.
Und
dann wurde ein Termin vereinbart für einen ersten Frühfördertermin.
Ich
hatte schon Bedenken. Man hatte uns erklärt das die Frühforderung bis zur
Schulzeit durchgeführt werden kann und das man uns eine Dame zuteile die uns
dann über die ganzen Jahre betreuen würde. Was ja Sinn macht weil man dann
„zusammen wächst“ und ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Aber was würde
passieren wenn diese Frau mir unsympathisch wäre? Oder ich ihr? Wenn bei uns
die Chemie einfach nicht stimmen würde? Wie sollte in so einem Falle eine
optimale Förderung meines Kindes stattfinden können??
Ich
war ein wenig nervös als der erste Termin nahte. Und dann klingelte es. Als ich
öffnete lächelte mich eine junge Frau freundlich an und stellte sich mir gut
gelaunt vor. Der erste Eindruck war positiv und ich atmete auf.
Ganz
toll fand ich das sie dann sofort nach dem Badezimmer fragte um sich vor dem
Kontakt mit Jonathan die Hände zu waschen – das machen die wenigsten Menschen
unaufgefordert obwohl wir immer wieder auf sein schlechtes Immunsystem
hinweisen.
Sie
hatte die Unterlagen der Leiterin der Frühförderstelle bekommen aus denen
hervorging wie klein Jonathan war, aber ich habe sie trotzdem noch einmal
vorgewarnt bevor ich sie mit ins Wohnzimmer genommen habe wo der kleine Mann
auf dem Boden lag. Wenn sie sich erschrocken hat über die geringe Körpergröße -
dann hat sie es sich zumindest nicht anmerken lassen! 8o))
Wir
haben erst ein wenig geredet, uns beschnuppert. Sie hat mir Fragen gestellt
über Jonathan, über das was er kann. Und Fragen über das was ich von ihr
erwarte, über die Punkte die gefördert werden sollen. Ich habe dann erfahren
dass wir auch mehrmals im Jahr gemeinsam einen „Frühförderplan“ machen indem
wir alles festhalten was wir vereinbaren: was also gemacht wird, mit welchen
Materialien, auf welches Ziel wir hinarbeiten usw.
Seit
damals findet einmal in der Woche, zu einem festen Termin, eine Zeitstunde
Frühförderung bei uns zu Hause statt. Immer hat sie einen großen Korb voller
Spielsachen und Materialien dabei den sie jede Woche morgens neu für uns
zusammenstellt. Und mittlerweile weiß Jonathan auch: wenn der Korb auf den
Boden gestellt wird darf er gleich „spielen“. Dann freut er sich und klatscht!
8o)
Auch
unsere „Frühförder-Frau“ erkennt er wenn sie die Wohnung betritt und er ist
jede Woche aufs Neue aus dem Häuschen sie zu sehen.
Ganz
viele Spielsachen oder Musikinstrumente die wir im Rahmen der Frühförderung
gesehen haben….haben wir mittlerweile selber gekauft. Weil sie Jonathan
extremen Spaß gemacht haben und/oder perfekt für seine sehr kleinen Hände
geeignet waren.
Am
liebsten bringt die Dame von der Frühförderung allerdings…Materialien mit die
SCHWEINEREI machen…8o))) Sie liebt Fingerfarben und Rasierschaum. Und matscht
mit Jonathan damit. Am Esstisch. Ausgiebig. Und freut sich dabei dass sie bei
MIR zu Hause ist und ICH putzen muss! 8o))) Aber: sie kündigt das immer eine
Woche vorher an und so kann ich den Tisch mit einer abwaschbaren Tischdecke
bedecken und Jonathan alte Kleidung anziehen bei der Flecken nichts ausmachen.
Und: nach anfänglichem Zögern mag Jonathan Fingerfarben und Rasierschaum sehr
gerne!!! Er ist mit Freude und großem Enthusiasmus dabei. Dass er allerdings
mit den Fingerfarben auch ein Bild malen könnte – versteht er nicht. Matschen
und in den Händen knatschen ist besser!
(Er durfte mittlerweile auch ein Osterei mit Fingerfarben bemalen!)
Auch
beliebt bei ihr sind Kirschkerne, Erbsen oder Linsen: die befinden sich zu
Anfang der Stunde in einer kleinen Kiste. Doch wenn Jonathan dann mit den
nackten Füßen in der Kiste war, oder sogar darin gesessen hat…befinden sich die
kleinen Dinger ÜBERALL!!!! In der Windel…zwischen den Zehen…in der
Kleidung..und auch überall im Wohnzimmer…8o)) Aber auch diese Erfahrung: macht
Jonathan so viel Spaß und deswegen ist es mir egal das ich später staubsaugen
muss.
Die
wohl schönste Erfahrung für Jonathan im Rahmen der Frühförderung ist jedoch
sicherlich…(alle die uns bei Facebook „verfolgen“ haben schon Fotos davon
gesehen!) ..schwimmen!!
Aufgrund
seines schlechten Immunsystems und seiner EXTREM trockenen Haut darf Jonathan
nur sehr bedingt ins Schwimmbad. Zum einen ist das Chlor nicht förderlich für
das Hautbild, zum anderen sind im warmen Schwimmbadklima und in der
Umkleide/Dusche auch sehr viele Keime unterwegs. Deswegen: schwimmen nur selten
und dann auch nur allein, ohne andere Badegäste.
Für
mich war schwimmen gehen deswegen lange Zeit ein unerfüllbarer Traum: wo findet
man schon ein Bad ohne andere Gäste??? Eben…aber wir haben nun Frühförderung,
da eröffnen sich ganz neue und ungeahnte Möglichkeiten! Verfügt unsere
Frühförderstelle doch über ein eigenes Schwimmbad! Na gut: ein eigenes
Therapiebecken. Aber für Jonathan ist es so groß wie für andere Leute ein
Schwimmbad. Und hier macht man es uns möglich ein paar Mal im Jahr schwimmen zu
können – allein. Dann sind nur wir und unsere Frühförder-Dame im Bad.
Bislang
ist Jonathan nach dem schwimmen nie krank geworden. Und er hat einen
wahnsinnigen Spaß! Wasser: ein Element das er lange Zeit nicht in der Form
kannte und das ihn jetzt umso mehr fasziniert.
DAS
IST NUN DIE PASSENDE STELLE UM DANKE ZU SAGEN: SIE MACHEN SICH IMMER UNGLAUBLICH
VIEL ARBEIT FÜR UNS, GRADE MIT DEM SCHWIMMEN! ABER WENN ICH IN JONATHANS
GESICHT SEHE WÄHREND WIR PLANSCHEN DANN WEISS ICH DAS ES DIE MÜHE WERT IST: SIE
MACHEN IHN GLÜCKLICH. VIELEN DANK DAFÜR…AN SIE UND ALLE ANDEREN DIE AN DIESER
ERFAHRUNG BETEILIGT SIND.
Die
Taufe
Als ich
14 war ist meine Mutter gestorben. Viele wenden sich in solch einer Situation von
Gott ab…doch ich habe erst durch diesen Schicksalsschlag zur Kirche und zum
Glauben gefunden. Ich bin gläubig - so gläubig das ich sogar mal Pfarrerin
werden wollte. Deswegen stand von Anfang an fest das Jonathan getauft werden
würde. Ich brauche das Wissen „das Gott seine Hand über mein Kind hält“.
Mein Mann
und ich gehören verschiedenen Glaubensrichtungen an (er ist katholisch und ich
evangelisch), doch da mein Mann weiß WIE wichtig Religion und Glaube für mich
sind: durfte ich über die Taufe entscheiden. Also sollte Jonathan evangelisch
getauft werden.
Normalerweise
hätte ich bevorzugt das Jonathan in den ersten drei Lebensmonaten getauft wird
– doch da er in dieser Zeit im Krankenhaus war und eine „schöne“ Feier hier
nicht möglich gewesen wäre..habe ich schweren Herzens mit der Planung
abgewartet.
Jonathan
wurde im September aus der Klinik entlassen und bis wir dann in den Alltag
gefunden hatten…kam schon Weihnachten und Silvester…das alles war nicht der
richtige Zeitpunkt für eine Taufe – die mir so viel bedeutete! Jetzt war das
neue Jahr auch schon einige Wochen alt und ich begann zu überlegen wann der
geeignete Termin sein könnte…
Und auf
einmal kam mir ein Gedanke…der mich nicht mehr los ließ! Ich wusste GENAU SO
sollte es gemacht werden, GENAU DAS passte zu Jonathan und uns!!
Die
Osternacht!!
In der
evangelischen Kirche ist Ostern der höchste und wichtigste Feiertag. Das Fest
der Auferstehung Jesu…ein Fest das Christen Hoffnung schenkt, beginnt doch in
diesem Moment etwas neues, etwas Besonderes: das Leben nach dem Tod - der nicht
das Ende, sondern ein Anfang ist.
Könnte es
einen schöneren Moment als diesen geben um Jonathan in den Schoß der Kirche zu
übergeben??? Jonathan würde nicht so lange leben, war es nicht ein starkes
Symbol ihn in dieser Nacht Gott anzuvertrauen wo wir das ewige Leben feierten
und den Neuanfang den der Tod brachte???
Für mich
war das DER EINE Moment den ich wollte.
Also habe
ich mit unserem Pfarrer telefoniert und einen Termin für ein Gespräch
vereinbart. In unserer Gemeinde wird die Osternacht tatsächlich NACHTS
gefeiert: in einem Gottesdienst der in den frühen Morgenstunden beginnt. Ich
war nicht ganz sicher ob in diesem Gottesdienst auch Taufen durchgeführt
werden…
Doch in
einem persönlichen Gespräch beruhigte mich der Pfarrer: er würde Jonathan in
der Osternacht taufen, auch wenn er noch nie ein so kleines Baby mitten in der
Nacht getauft habe – es hatte ihn noch niemand darum gebeten, weil den Eltern
das frühe Aufstehen mit einem Säugling vermutlich zu anstrengend sei. Das
machte uns aber überhaupt keine Sorgen!! Jonathan war schon von jeher eine
kleine Nachteule, die Schwestern der Frühchenstation können davon ein Lied
singen! 8o))
Jetzt
musste ich nur noch Patentante und Patenonkel klarmachen dass sie zu
nachtschlafender Zeit in der Kirche sitzen sollten…doch zum Glück waren die
beiden überhaupt nicht geschockt, fanden die Idee im Gegenteil sehr schön!!
Und es
war ein WUNDERSCHÖNER Gottesdienst!! Unsere Kirche ist aus dem Jahr 1791: sie
ist innen vorwiegend aus Holz und von der Grundfläche her klein, dafür aber
über 3 Etagen gebaut. Während des gesamten Gottesdienstes brannte in der Kirche
kein Licht, nur hunderte von Kerzen. Als die Taufe begann kamen von der
obersten Empore Pfarrer und Gemeindemitglieder langsam herunter – und zwar
singend und mit brennenden Kerzen in den Händen. Jeder Kirchenbesucher hatte
eine kleine Kerze im Glas erhalten die nun auch entzündet wurden, um das neue
Gemeindemitglied mit Licht zu begrüßen – quasi um „das Licht für es leuchten zu
lassen“. Grade für mich war das ein so bewegender Moment!! Gänsehaut und Tränen
in den Augen. Wir standen mit den Paten und dem Pfarrer am Taufbecken und
blickten in die Kirche die von hunderten Lichtern erleuchtet wurde. Unfassbar
schön!
In diesem
Moment war ich froh dass ich so lange gewartet hatte Jonathan taufen zu lassen…
Jede
Menge Klinikaufenthalte
Der erste
Krampfanfall
Es war
2016 und nicht mehr lange bis zu Jonathans erstem Geburtstag. Wir freuten uns
alle riesig darauf!! War es für uns doch nicht nur ein „normaler“ Geburtstag,
sondern auch ein gefühlter Neubeginn: zum einen waren wir grade in mein
Elternhaus eingezogen (meinen Eltern war es mittlerweile -wo meine beiden
Geschwister und ich aus dem Haus waren- zu groß, sie hatten es uns übergeben
und sich eine Mietwohnung genommen), zum anderen würden wir an diesem Tag das
erste Lebensjahr das so unschön und psychisch belastend gewesen war hinter uns
lassen und könnten uns dann voll und ganz auf das konzentrieren was vor uns
lag. Durchatmen und ein Stück weit vergessen. Grade ich fieberte diesem Tag so
sehr entgegen: ab dann würde ich alles mit Jonathan zu Hause erleben, alle
Daten die vorher mit Erinnerungen an Untersuchungen oder Gespräche belastet
waren würden eine neue und schönere Erinnerung bekommen.
Wir
wollten einen Ausflug an Jonathans Geburtstag machen: es war ein Samstag und so
hatten mein Mann und Marvin auch frei. Ein nahegelegener Zoo sollte es werden.
Da gab es Elefanten und Giraffen und ich war gespannt wie deren Größe auf
Jonathan wirken würde…
Allerdings
hatte Jonathan jetzt die 3kg-Marke erreicht und wir vereinbarten ein Gespräch
mit den Chirurgen unserer Klinik um einen Termin festzulegen für die Operation
am Leistenbruch.
Leicht
gefallen ist mir das nicht. Ich hatte Angst…wahnsinnige Angst die mir den Hals
zuschnürte. Keiner wusste wie Jonathan auf eine Narkose reagieren würde. Er
HATTE Hirnfehlbildungen und litt unter Elektrolytverlust: was wäre wenn er
nicht mehr aufwachen würde??? Am liebsten hätte ich ihn gar nicht operieren
lassen und dauerhaft den Leistenbruch reponiert…aber das war natürlich keine
Option!!
Also sind
wir in die Klinik gefahren um die Vorbesprechung zu machen. Wir hatten einen
Termin mit dem Chirurgen vereinbart den ich fälschlicherweise für einen
Studenten gehalten hatte, er war uns nämlich total sympathisch und schien
fachlich sehr kompetent. Diesen Arzt wollte ich unbedingt als Operateur für
Jonathan haben, denn ich hatte Vertrauen zu ihm.
Wir kamen
in der Klinik an (ich MEGA aufgeregt und mein Mann wie immer die Ruhe selbst)
und wurden direkt in eine Behandlungszimmer gebracht damit wir nicht mit
Jonathan im Wartezimmer sitzen mussten. Nach einiger Wartezeit ging die Tür auf
und ein uns unbekannter Arzt betrat den Raum. Er hat sich uns vorgestellt und
gesagt dass er sich Jonathan mal ansehen würde. Ich muss zugeben dass ich etwas
irritiert war: wir hatten eigentlich einen anderen Arzt erwartet…dazu kam das
der erste Eindruck nicht so ganz perfekt war: mein Mann und ich haben den Arzt
als etwas kurz angebunden und auch kühl/distanziert empfunden.
Er hat
Jonathan untersucht und festgestellt das der kleine Mann auch noch einen
einseitigen Hodenhochstand hat der ebenfalls bei der Operation beseitigt werden
sollte. Das bedeutete natürlich einen größeren Eingriff und eine längere
OP-Zeit. Jetzt hatte ich erst Recht Angst. Und habe gefragt wie dringend es sei
den Hodenhochstand zu operieren? Was hatte es für Konsequenzen wenn man es
nicht machen ließe?? Aber der Arzt hat mich darüber aufgeklärt das bei Jonathan
ein Hoden gar nicht mehr tastbar sei, das heißt er liege in der Bauchhöhle. Und
wenn man das wiederum zu lange unbehandelt lässt steigt das Risiko von
Hodenkrebs. Also hatte ich wohl keine Wahl: auch der Hodenhochstand musste direkt
korrigiert werden.
Wir haben
einen Termin für Ende Mai vereinbart, nach seinem Geburtstag - und unserer
kirchlichen Hochzeit. Denn das beides ordentlich zu feiern wollte ich mir nicht
nehmen lassen!
Aber es
kam alles anders…