Freitag, 11. August 2017

Frühförderung
Anfang des Jahres haben wir uns an unsere zuständige „Lebenshilfe“-Stelle gewandt: wir hatten erfahren das wir wegen Jonathans Gendefekt/Behinderung Anrecht auf „Frühförderung“ hatten.

Am Telefon hatte ich erklärt das wir nicht in die Frühförderstelle kommen könnten sondern die Stunden bei uns zu Hause in Anspruch nehmen müssten, Jonathans Immunsystem ließe es nicht zu das wir mit anderen Kindern in einem Gruppentermin seien. Mir wurde mitgeteilt dass das überhaupt kein Problem darstelle, was mich sehr erleichterte. Hatte ich doch die Befürchtung gehabt das keine „Hausbesuche“ möglich seien und wir diese Fördermaßnahme eventuell gar nicht in Anspruch nehmen könnten.

Zum ersten Kennenlernen kam die Leiterin der Frühförderstelle zu uns nach Hause. Sie erklärte uns was Frühförderung überhaupt bedeutet: abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes und unter Einsatz von verschiedenen Materialien oder Musikinstrumenten werden genau die Punkte unterstützt und gefördert an denen die Probleme des Kindes liegen. Also bei uns würde die Motorik als erstes im Vordergrund stehen da Jonathan sich auch mit 10 Monaten noch immer nicht allein drehen konnte.

Und dann wurde ein Termin vereinbart für einen ersten Frühfördertermin.

Ich hatte schon Bedenken. Man hatte uns erklärt das die Frühforderung bis zur Schulzeit durchgeführt werden kann und das man uns eine Dame zuteile die uns dann über die ganzen Jahre betreuen würde. Was ja Sinn macht weil man dann „zusammen wächst“ und ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Aber was würde passieren wenn diese Frau mir unsympathisch wäre? Oder ich ihr? Wenn bei uns die Chemie einfach nicht stimmen würde? Wie sollte in so einem Falle eine optimale Förderung meines Kindes stattfinden können??

Ich war ein wenig nervös als der erste Termin nahte. Und dann klingelte es. Als ich öffnete lächelte mich eine junge Frau freundlich an und stellte sich mir gut gelaunt vor. Der erste Eindruck war positiv und ich atmete auf.

Ganz toll fand ich das sie dann sofort nach dem Badezimmer fragte um sich vor dem Kontakt mit Jonathan die Hände zu waschen – das machen die wenigsten Menschen unaufgefordert obwohl wir immer wieder auf sein schlechtes Immunsystem hinweisen.

Sie hatte die Unterlagen der Leiterin der Frühförderstelle bekommen aus denen hervorging wie klein Jonathan war, aber ich habe sie trotzdem noch einmal vorgewarnt bevor ich sie mit ins Wohnzimmer genommen habe wo der kleine Mann auf dem Boden lag. Wenn sie sich erschrocken hat über die geringe Körpergröße - dann hat sie es sich zumindest nicht anmerken lassen! 8o))

Wir haben erst ein wenig geredet, uns beschnuppert. Sie hat mir Fragen gestellt über Jonathan, über das was er kann. Und Fragen über das was ich von ihr erwarte, über die Punkte die gefördert werden sollen. Ich habe dann erfahren dass wir auch mehrmals im Jahr gemeinsam einen „Frühförderplan“ machen indem wir alles festhalten was wir vereinbaren: was also gemacht wird, mit welchen Materialien, auf welches Ziel wir hinarbeiten usw.

Seit damals findet einmal in der Woche, zu einem festen Termin, eine Zeitstunde Frühförderung bei uns zu Hause statt. Immer hat sie einen großen Korb voller Spielsachen und Materialien dabei den sie jede Woche morgens neu für uns zusammenstellt. Und mittlerweile weiß Jonathan auch: wenn der Korb auf den Boden gestellt wird darf er gleich „spielen“. Dann freut er sich und klatscht! 8o)

Auch unsere „Frühförder-Frau“ erkennt er wenn sie die Wohnung betritt und er ist jede Woche aufs Neue aus dem Häuschen sie zu sehen.

Ganz viele Spielsachen oder Musikinstrumente die wir im Rahmen der Frühförderung gesehen haben….haben wir mittlerweile selber gekauft. Weil sie Jonathan extremen Spaß gemacht haben und/oder perfekt für seine sehr kleinen Hände geeignet waren.

Am liebsten bringt die Dame von der Frühförderung allerdings…Materialien mit die SCHWEINEREI machen…8o))) Sie liebt Fingerfarben und Rasierschaum. Und matscht mit Jonathan damit. Am Esstisch. Ausgiebig. Und freut sich dabei dass sie bei MIR zu Hause ist und ICH putzen muss! 8o))) Aber: sie kündigt das immer eine Woche vorher an und so kann ich den Tisch mit einer abwaschbaren Tischdecke bedecken und Jonathan alte Kleidung anziehen bei der Flecken nichts ausmachen. Und: nach anfänglichem Zögern mag Jonathan Fingerfarben und Rasierschaum sehr gerne!!! Er ist mit Freude und großem Enthusiasmus dabei. Dass er allerdings mit den Fingerfarben auch ein Bild malen könnte – versteht er nicht. Matschen und in den Händen knatschen ist besser!  (Er durfte mittlerweile auch ein Osterei mit Fingerfarben bemalen!)

Auch beliebt bei ihr sind Kirschkerne, Erbsen oder Linsen: die befinden sich zu Anfang der Stunde in einer kleinen Kiste. Doch wenn Jonathan dann mit den nackten Füßen in der Kiste war, oder sogar darin gesessen hat…befinden sich die kleinen Dinger ÜBERALL!!!! In der Windel…zwischen den Zehen…in der Kleidung..und auch überall im Wohnzimmer…8o)) Aber auch diese Erfahrung: macht Jonathan so viel Spaß und deswegen ist es mir egal das ich später staubsaugen muss.

Die wohl schönste Erfahrung für Jonathan im Rahmen der Frühförderung ist jedoch sicherlich…(alle die uns bei Facebook „verfolgen“ haben schon Fotos davon gesehen!) ..schwimmen!!

Aufgrund seines schlechten Immunsystems und seiner EXTREM trockenen Haut darf Jonathan nur sehr bedingt ins Schwimmbad. Zum einen ist das Chlor nicht förderlich für das Hautbild, zum anderen sind im warmen Schwimmbadklima und in der Umkleide/Dusche auch sehr viele Keime unterwegs. Deswegen: schwimmen nur selten und dann auch nur allein, ohne andere Badegäste.

Für mich war schwimmen gehen deswegen lange Zeit ein unerfüllbarer Traum: wo findet man schon ein Bad ohne andere Gäste??? Eben…aber wir haben nun Frühförderung, da eröffnen sich ganz neue und ungeahnte Möglichkeiten! Verfügt unsere Frühförderstelle doch über ein eigenes Schwimmbad! Na gut: ein eigenes Therapiebecken. Aber für Jonathan ist es so groß wie für andere Leute ein Schwimmbad. Und hier macht man es uns möglich ein paar Mal im Jahr schwimmen zu können – allein. Dann sind nur wir und unsere Frühförder-Dame im Bad.

Bislang ist Jonathan nach dem schwimmen nie krank geworden. Und er hat einen wahnsinnigen Spaß! Wasser: ein Element das er lange Zeit nicht in der Form kannte und das ihn jetzt umso mehr fasziniert.

DAS IST NUN DIE PASSENDE STELLE UM DANKE ZU SAGEN: SIE MACHEN SICH IMMER UNGLAUBLICH VIEL ARBEIT FÜR UNS, GRADE MIT DEM SCHWIMMEN! ABER WENN ICH IN JONATHANS GESICHT SEHE WÄHREND WIR PLANSCHEN DANN WEISS ICH DAS ES DIE MÜHE WERT IST: SIE MACHEN IHN GLÜCKLICH. VIELEN DANK DAFÜR…AN SIE UND ALLE ANDEREN DIE AN DIESER ERFAHRUNG BETEILIGT SIND.


Die Taufe
Als ich 14 war ist meine Mutter gestorben. Viele wenden sich in solch einer Situation von Gott ab…doch ich habe erst durch diesen Schicksalsschlag zur Kirche und zum Glauben gefunden. Ich bin gläubig - so gläubig das ich sogar mal Pfarrerin werden wollte. Deswegen stand von Anfang an fest das Jonathan getauft werden würde. Ich brauche das Wissen „das Gott seine Hand über mein Kind hält“.

Mein Mann und ich gehören verschiedenen Glaubensrichtungen an (er ist katholisch und ich evangelisch), doch da mein Mann weiß WIE wichtig Religion und Glaube für mich sind: durfte ich über die Taufe entscheiden. Also sollte Jonathan evangelisch getauft werden.

Normalerweise hätte ich bevorzugt das Jonathan in den ersten drei Lebensmonaten getauft wird – doch da er in dieser Zeit im Krankenhaus war und eine „schöne“ Feier hier nicht möglich gewesen wäre..habe ich schweren Herzens mit der Planung abgewartet.

Jonathan wurde im September aus der Klinik entlassen und bis wir dann in den Alltag gefunden hatten…kam schon Weihnachten und Silvester…das alles war nicht der richtige Zeitpunkt für eine Taufe – die mir so viel bedeutete! Jetzt war das neue Jahr auch schon einige Wochen alt und ich begann zu überlegen wann der geeignete Termin sein könnte…

Und auf einmal kam mir ein Gedanke…der mich nicht mehr los ließ! Ich wusste GENAU SO sollte es gemacht werden, GENAU DAS passte zu Jonathan und uns!!

Die Osternacht!!

In der evangelischen Kirche ist Ostern der höchste und wichtigste Feiertag. Das Fest der Auferstehung Jesu…ein Fest das Christen Hoffnung schenkt, beginnt doch in diesem Moment etwas neues, etwas Besonderes: das Leben nach dem Tod - der nicht das Ende, sondern ein Anfang ist.

Könnte es einen schöneren Moment als diesen geben um Jonathan in den Schoß der Kirche zu übergeben??? Jonathan würde nicht so lange leben, war es nicht ein starkes Symbol ihn in dieser Nacht Gott anzuvertrauen wo wir das ewige Leben feierten und den Neuanfang den der Tod brachte???

Für mich war das DER EINE Moment den ich wollte.

Also habe ich mit unserem Pfarrer telefoniert und einen Termin für ein Gespräch vereinbart. In unserer Gemeinde wird die Osternacht tatsächlich NACHTS gefeiert: in einem Gottesdienst der in den frühen Morgenstunden beginnt. Ich war nicht ganz sicher ob in diesem Gottesdienst auch Taufen durchgeführt werden…

Doch in einem persönlichen Gespräch beruhigte mich der Pfarrer: er würde Jonathan in der Osternacht taufen, auch wenn er noch nie ein so kleines Baby mitten in der Nacht getauft habe – es hatte ihn noch niemand darum gebeten, weil den Eltern das frühe Aufstehen mit einem Säugling vermutlich zu anstrengend sei. Das machte uns aber überhaupt keine Sorgen!! Jonathan war schon von jeher eine kleine Nachteule, die Schwestern der Frühchenstation können davon ein Lied singen! 8o))

Jetzt musste ich nur noch Patentante und Patenonkel klarmachen dass sie zu nachtschlafender Zeit in der Kirche sitzen sollten…doch zum Glück waren die beiden überhaupt nicht geschockt, fanden die Idee im Gegenteil sehr schön!!

Und es war ein WUNDERSCHÖNER Gottesdienst!! Unsere Kirche ist aus dem Jahr 1791: sie ist innen vorwiegend aus Holz und von der Grundfläche her klein, dafür aber über 3 Etagen gebaut. Während des gesamten Gottesdienstes brannte in der Kirche kein Licht, nur hunderte von Kerzen. Als die Taufe begann kamen von der obersten Empore Pfarrer und Gemeindemitglieder langsam herunter – und zwar singend und mit brennenden Kerzen in den Händen. Jeder Kirchenbesucher hatte eine kleine Kerze im Glas erhalten die nun auch entzündet wurden, um das neue Gemeindemitglied mit Licht zu begrüßen – quasi um „das Licht für es leuchten zu lassen“. Grade für mich war das ein so bewegender Moment!! Gänsehaut und Tränen in den Augen. Wir standen mit den Paten und dem Pfarrer am Taufbecken und blickten in die Kirche die von hunderten Lichtern erleuchtet wurde. Unfassbar schön!

In diesem Moment war ich froh dass ich so lange gewartet hatte Jonathan taufen zu lassen…



Jede Menge Klinikaufenthalte
Der erste Krampfanfall
Es war 2016 und nicht mehr lange bis zu Jonathans erstem Geburtstag. Wir freuten uns alle riesig darauf!! War es für uns doch nicht nur ein „normaler“ Geburtstag, sondern auch ein gefühlter Neubeginn: zum einen waren wir grade in mein Elternhaus eingezogen (meinen Eltern war es mittlerweile -wo meine beiden Geschwister und ich aus dem Haus waren- zu groß, sie hatten es uns übergeben und sich eine Mietwohnung genommen), zum anderen würden wir an diesem Tag das erste Lebensjahr das so unschön und psychisch belastend gewesen war hinter uns lassen und könnten uns dann voll und ganz auf das konzentrieren was vor uns lag. Durchatmen und ein Stück weit vergessen. Grade ich fieberte diesem Tag so sehr entgegen: ab dann würde ich alles mit Jonathan zu Hause erleben, alle Daten die vorher mit Erinnerungen an Untersuchungen oder Gespräche belastet waren würden eine neue und schönere Erinnerung bekommen.

Wir wollten einen Ausflug an Jonathans Geburtstag machen: es war ein Samstag und so hatten mein Mann und Marvin auch frei. Ein nahegelegener Zoo sollte es werden. Da gab es Elefanten und Giraffen und ich war gespannt wie deren Größe auf Jonathan wirken würde…

Allerdings hatte Jonathan jetzt die 3kg-Marke erreicht und wir vereinbarten ein Gespräch mit den Chirurgen unserer Klinik um einen Termin festzulegen für die Operation am Leistenbruch.

Leicht gefallen ist mir das nicht. Ich hatte Angst…wahnsinnige Angst die mir den Hals zuschnürte. Keiner wusste wie Jonathan auf eine Narkose reagieren würde. Er HATTE Hirnfehlbildungen und litt unter Elektrolytverlust: was wäre wenn er nicht mehr aufwachen würde??? Am liebsten hätte ich ihn gar nicht operieren lassen und dauerhaft den Leistenbruch reponiert…aber das war natürlich keine Option!!

Also sind wir in die Klinik gefahren um die Vorbesprechung zu machen. Wir hatten einen Termin mit dem Chirurgen vereinbart den ich fälschlicherweise für einen Studenten gehalten hatte, er war uns nämlich total sympathisch und schien fachlich sehr kompetent. Diesen Arzt wollte ich unbedingt als Operateur für Jonathan haben, denn ich hatte Vertrauen zu ihm.

Wir kamen in der Klinik an (ich MEGA aufgeregt und mein Mann wie immer die Ruhe selbst) und wurden direkt in eine Behandlungszimmer gebracht damit wir nicht mit Jonathan im Wartezimmer sitzen mussten. Nach einiger Wartezeit ging die Tür auf und ein uns unbekannter Arzt betrat den Raum. Er hat sich uns vorgestellt und gesagt dass er sich Jonathan mal ansehen würde. Ich muss zugeben dass ich etwas irritiert war: wir hatten eigentlich einen anderen Arzt erwartet…dazu kam das der erste Eindruck nicht so ganz perfekt war: mein Mann und ich haben den Arzt als etwas kurz angebunden und auch kühl/distanziert empfunden.

Er hat Jonathan untersucht und festgestellt das der kleine Mann auch noch einen einseitigen Hodenhochstand hat der ebenfalls bei der Operation beseitigt werden sollte. Das bedeutete natürlich einen größeren Eingriff und eine längere OP-Zeit. Jetzt hatte ich erst Recht Angst. Und habe gefragt wie dringend es sei den Hodenhochstand zu operieren? Was hatte es für Konsequenzen wenn man es nicht machen ließe?? Aber der Arzt hat mich darüber aufgeklärt das bei Jonathan ein Hoden gar nicht mehr tastbar sei, das heißt er liege in der Bauchhöhle. Und wenn man das wiederum zu lange unbehandelt lässt steigt das Risiko von Hodenkrebs. Also hatte ich wohl keine Wahl: auch der Hodenhochstand musste direkt korrigiert werden.  

Wir haben einen Termin für Ende Mai vereinbart, nach seinem Geburtstag - und unserer kirchlichen Hochzeit. Denn das beides ordentlich zu feiern wollte ich mir nicht nehmen lassen!


Aber es kam alles anders…