Freitag, 4. August 2017

Zurück zur Weihnachtszeit. 8o)

Eigentlich hatten wir beschlossen nur EINEN Weihnachtsmarkt zu besuchen weil wir Jonathan keinem gesundheitlichen Risiko aussetzen wollten. Aber nach der Erfahrung die wir gemacht hatten reichte uns ein Besuch auch erstmal VOLLKOMMEN aus!!!

Aber wie war der Spruch doch gleich? DAS LEBEN IST KEIN PONYHOF, und deswegen versuchten wir das zu vergessen und die Zeit bis Weihnachten trotzdem zu genießen.

Weil Jonathan in seinem zarten Alter noch nicht so viel mitbekam legten wir Orangenscheiben auf die Heizung die den Raum mit Duft erfüllten: riechen konnte er ja schließlich! Wir hängten glitzernde Lamettaketten auf und zeigten sie ihm immer wieder oder gaben sie ihm auch in die Hand damit er damit spielen konnte. Eine Lichterkette mit Weihnachtsmännern war sein Highlite: ich glaube ich hätte zwei Stunden mit ihm auf dem Arm davor stehen können und er hätte immer noch nicht genug gehabt.


Nikolaus
Und natürlich gehört zur Vorweihnachtszeit auch ein Besuch des „richtigen“ Nikolaus.

Wir leben in einem großen deutschen Bistum und haben einen „Nikolausservice“. Dort kann man anrufen und für seinen Wunschtermin (bei uns ist es immer der 5.Dezember, denn wir sind Protestanten und feiern traditionsgemäß Nikolaus am Vorabend des 6.Dezember) einen Nikolaus bestellen. Die Geschenke und ein Zettel mit den positiven –und auch ein oder zwei negativen! 8o)- Eigenschaften der Kinder hinterlegt man an der Haustür.

Von klein auf hatte Marvin immer einen Nikolaus. Mittlerweile weiß er natürlich das der Mann der im wundervollen (und echten!) Ornat der Kirche vor ihm steht nur ein „Schauspieler“ ist – trotzdem besteht er jedes Jahr wieder darauf dass ich dort anrufe und den Nikolaus bestelle. Es ist eine Tradition bei uns geworden die er nicht mehr missen möchte.

In diesem ersten Jahr mit Jonathan hatte Marvin eine perfekte Ausrede: „Mama, wir müssen da anrufen weil JONATHAN unbedingt den Nikolaus sehen soll!“… 8o))) Wofür kleine Brüder doch immer herhalten müssen!!

Aber: ich habe sehr gern dort angerufen und einen Termin vereinbart.

Und dann kam der Nachmittag des 5.Dezember, wir hatten extra einen nicht so späten Termin genommen damit Jonathan auch noch wach sein würde, und es klingelte. Herein kam ein Nikolaus der selbst mich sprachlos machte: ER WAR RIESIG!!! Er musste sich bücken um überhaupt durch die Tür zu passen! Da hatten wir aber mit Sicherheit den größten Nikolaus erwischt den das Bistum zu bieten hatte….

Ein wundervolles Gewand hatte er an: es war rot und mit viel Glitzer und Litzen bestickt. Einen Bischofsstab und einen Knecht Ruprecht hatte er auch dabei und…sein goldenes Buch aus dem er vorlas. Jonathan saß auf dem Schoß meines Mannes und starrte den Nikolaus mit offenem Mund an: ich glaube den Bart fand er besonders faszinierend, trägt doch niemand aus unserer Familie sonst einen Bart! Natürlich gab es über unsere Kinder nicht wirklich etwas Negatives zu sagen…8o))…und seinen Schock über unser Mini-Baby hat der Nikolaus auch gut unter Kontrolle gehabt. So lief dieser Besuch sehr harmonisch und zur Freude aller ab.


Das erste Fotoshooting
Vor ungefähr 20 Jahren wollte ich ein paar „richtige“ Fotos von mir verschenken und bin mehr durch Zufall auf ein ortsansässiges Fotostudio gestoßen. Ich habe einen Termin vereinbart und bin völlig unvoreingenommen dort erschienen. Was ich zuerst bemerkte war die „Promi-Wand“: hier hingen Fotos von prominenten Personen des öffentlichen Lebens, nicht wenige und nicht die unbedeutendsten. Als ich auf die Wand zeigte erklärte mir die Fotografin dass sie alle diese Menschen in ihrem Studio fotografiert habe, viele von ihnen kämen regelmäßig. Bei einigen erstelle sie Pressemappen, bei anderen Buchumschläge. Ich war schon mal beeindruckt!

Das Shooting damals dauerte vielleicht 1,5 Stunden. Was ich sofort bemerkte: die Fotografin ging wirklich TOTAL in ihrem Beruf auf! Hatte sie einmal die Kamera in der Hand sprühte sie vor Ideen…“Jetzt könnten wir das mal so machen“ oder: „..und dann könnten wir noch mit diesem Hintergrund…“…und: „ach, Moment: dieser Winkel wäre doch auch super!“…sie fand gar kein Ende. 8o))

Die Fotos die mir dann circa zwei Wochen später vorgelegt wurden waren WELTKLASSE!!! Profifotografien…so etwas hatte ich nicht erwartet: ich war wirklich begeistert!!

Warum erzähle ich das???

Weil ich mich in der Schwangerschaft mit Marvin entschieden habe zu dieser Fotografin zu gehen und „Bauch-Bilder“ machen zu lassen. Auch diese Fotos haben meine Vorstellungen wieder übertroffen! Und deswegen habe ich mit ihr eine Vereinbarung getroffen: ich würde alle 6 Monate zu ihr kommen und Marvin fotografieren lassen. Sie sollte seinen Weg fotografisch festhalten, als Erinnerung für mich.

(Und da ein Termin im Sommer und einer vor Weihnachten stattfindet habe ich auch immer gleich ein wunderschönes Geschenk für die Großeltern!! 8o) …)

Jetzt war Jonathan zu Hause und natürlich: sollte sie auch ihn begleiten.

Über die Jahre war zwischen uns eine sehr enge Freundschaft entstanden. Sie hatte mich begleitet als Marvins Papa gestorben war. Ich hatte ihre Krebserkrankung „miterlebt“. Sie war meine Hochzeitsfotografin gewesen. Ich hatte ihr zu ihrer ersten Buchveröffentlichung gratuliert. Meine schwierige Schwangerschaft war Thema zwischen uns gewesen. Und nun vereinbarte ich einen Termin zum Shooting für meine BEIDEN Jungs. Ich hatte ihr schon erklärt was das Besondere an Jonathan war und sie gebeten unseren Termin abzusagen falls sie krank sein sollte. Ein schwaches Immunsystem und die damit verbundenen Risiken waren ihr durch ihre Krebserkrankung nicht fremd. Tatsächlich mussten wir den ersten geplanten Termin verschieben weil sie einen Schnupfen hatte. Doch dann kam der große Tag!

Wie immer reiste ich mit „großem“ Gepäck im Fotostudio an: ein Korb mit Utensilien – Wechselklamotten (damit die Kinder nicht auf jedem Bild dasselbe anhaben), Spielzeug und/oder „Dekoartikel“. Unsere Ideen sind uns über die Jahre nicht ausgegangen, im Gegenteil: ich glaube ich könnte auch viermal im Jahr kommen und wir würden Motive finden! 8o)

Und dann ging´s los. Ich muss auch nach so langer Zeit immer noch grinsen wenn meine Fotografin den Fotoapparat in die Hand nimmt – dann ist sie nämlich wie im Rausch. Sie hat einen „Flow“ sage ich dann immer. Hat tausend Ideen und hört gar nicht mehr auf zu knipsen! 8o))

Eigentlich wollte ich nur zwei oder drei Bilder von Jonathan: wusste ich doch nicht wie er das Shooting so mitmachen würde! Still halten, in die Kamera blicken und am besten noch lächeln…ein bisschen viel verlangt für einen so kleinen Wurm, oder??

Aber er machte SUPER mit! Wie ein kleines Fotomodell – ein sehr kleines, zugegebenermaßen. 8o))

Es war eigentlich gar nicht angedacht, aber unsere Fotografin wollte dann unbedingt noch Familienaufnahmen. Jonathan mit seinen Eltern, Jonathan mit seinem Bruder und wir alle zusammen. (Ich sage ja: wenn bei ihr der Flow einsetzt ist alles zu spät!) Zuerst wollte ich mich ja drücken: ich war nicht geschminkt und hatte einen „Bad-Hair-Day“, aber dann dachte ich mir „was soll´s!“ Und die Aufnahmen sind auch trotzdem (wieder mal!) traumhaft geworden!

Einige der Fotos von diesem Shooting können ab sofort in der Rubrik FOTOS bewundert werden. 8o)))


Neuer Christbaumschmuck
Mitte Dezember hat mein Mann beschlossen dass es Zeit für neuen Christbaumschmuck sei! Schließlich müssten wir Jonathan ja DEN Weihnachtsbaum schlechthin präsentieren zu seinem ersten Weihnachtsfest. Also haben wir uns am Wochenende alle wieder ins Auto gesetzt und sind in die nächstgrößere Stadt gefahren: da gab es ein riesiges Gartencenter das in der Weihnachtszeit eine Weihnachtsbaumausstellung mit Dekobeispielen hatte. Ein Traum für Jonathan! Ich glaube es waren sechs leuchtende, SEHR üppig dekorierte Bäume die sich gegenüberstanden und um die Wette gefunkelt haben. Der kleine Mann wusste gar nicht wohin er zuerst schauen sollte. 8o))

Die Entscheidung für eine Deko fiel uns nicht leicht. Aber wir haben uns dann für eine rote Deko entschieden mit verschieden großen und verschieden farbigen Kugeln. Plus Lametta. Und Lichterketten. Eiszapfen. Lamettaketten. Holzfiguren. Und was weiß ich noch alles.

Der Baum war am Ende stolze 2,20m hoch und von oben bis unten geschmückt. 8o)




Bestätigung der vermuteten Diagnose
Etwa 10 Tage vor Weihnachten rief unsere betreuende Kinderklinik bei uns an um einen Termin zu vereinbaren: das Ergebnis der Genanalyse lag vor und unsere Humangenetikerin wollte es mit uns besprechen.

(So ganz tief in mir wusste ich schon das Jonathan MOPD Typ 1 hatte, auch wenn es bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestätigt war. Aber ich brauchte mir doch nur die wenigen Texte und Fotos im Internet durchzulesen und anzuschauen: es passte alles auf meinen Sohn.)

Die Kinderklinik fragte ob es uns möglich sei noch vor Weihnachten vorbeizukommen. Na klar! Wir wollten es ja auch endlich bestätigt bekommen…

Also sind wir nur wenige Tage vor Weihnachten mit Jonathan in die Klinik gefahren und wurden von unserer Humangenetikerin empfangen. Sie nahm uns mit in ihr Büro und sagte das sie uns gar nicht länger auf die Folter spannen wollte: die Genanalyse hatte bestätigt das Jonathan unter MOPD Typ 1 leide. Das war jetzt nicht wirklich eine Überraschung für uns und auch kein Schock: es war das was wir erwartet hatten. Eigentlich war es zu diesem Zeitpunkt für uns auch nicht mehr so wichtig es schwarz auf weiß zu sehen: wir hatten uns sowieso schon damit abgefunden und arrangiert. Das äußerten wir auch beide so.

Die Humangenetikerin sagte uns das sie selbst es ja nicht für möglich gehalten habe in nur 2 Jahren ZWEI Kinder mit diesem extrem seltenen Gendefekt zu betreuen – aber so sei es nun mal. Und zuerst habe sie auch überlegt ob sie uns das Resultat der Untersuchung noch vor Weihnachten präsentieren sollte – doch so wie sie uns kennengelernt habe hätte sie schon gewusst dass uns das nicht in eine Sinnkrise stürzen würde!

Und das stimmte auch. Für uns war es ok es nun definitiv zu wissen, aber eigentlich hatten wir nie daran gezweifelt.

Weil ich schon in der Vergangenheit den Wunsch geäußert hatte mehr über diese Krankheit und die anderen (leider nur circa 30) Fälle wissen zu wollen bekam ich nun einen Packen Papier in die Hand: Ausdrucke aus medizinischen Fachzeitschriften und aus dem Internet. Fallbeispiele von circa 20 MOPD-Kindern: jeweils eine Beschreibung ihres Phenotyps (also der äußeren Erscheinung), die Ergebnisse der inneren Untersuchung von Knochen und Organen, eine Auflistung von Größe und Gewicht in verschiedenen Altersstufen, eine Auflistung dessen was sie kognitiv und körperlich konnten oder eben nicht – und der Grund ihres Todes sowie das Alter zum Zeitpunkt des Todes.

Alle Studien waren auf Englisch, was mir zum Glück keine großen Schwierigkeiten bereitet. Ich bin alles in einer ruhigen Minute zu Hause durchgegangen und es war niederschmetternd was ich dort gelesen habe. Keines dieser Kinder, KEINES!!, ist älter als 5 Jahre geworden. Alle sind an Fieber, Magen-Darm-Infekten oder Schnupfen gestorben.

Körperlich und geistig waren diese Kinder so schlecht entwickelt, das ihre Eltern zu erkennen und den Kopf allein halten zu können schon das Beste war was man dort zu lesen bekam.


Ich musste schlucken. Wow!! Das waren keine schönen Aussichten…aber dann blickte ich in Jonathans Augen: und die blickten mich wach und neugierig an. Außerdem konnte er schon so viel mehr als die Ärzte vorausgesagt hatten. Und da habe ich beschlossen dass ich mich von diesen Prognosen nicht verrückt machen lassen würde! Vielleicht musste man einfach nur ein wenig Vertrauen und Hoffnung entwickeln…


Heiligabend
Und dann kam der große Abend, Heiligabend. Selbst ich hatte rote Backen und strahlte mit der Lichterkette um die Wette.

Es gab ein frühes Abendessen damit Jonathan während der Bescherung nicht schon müde wurde. (Ich glaube Marvin war es nicht ganz unrecht dass die Bescherung in diesem Jahr schon etwas früher stattfand als sonst immer.)

Wie jedes Jahr wurde nach dem Abendessen ein Weihnachtslied gesungen und dieses Mal haben Marvin und ich sogar Flöte zusammen gespielt: Jonathan hat allerdings wegen der quietschenden Geräusche mehr als befremdet aus der Wäsche geschaut. …oder war es wegen dem Gesang meines Mannes??? 8o)))

Danach war die Zeit gekommen die Geschenke auszupacken. Marvin hat endlich den lang ersehnten Nintendo bekommen!  Gewünscht hatte er ihn sich allerdings nicht weil er weiß das ich gegen jegliche Art von Spielekonsolen bin – aber ich wusste natürlich auch das es sein Herzenswunsch war und bin in diesem Jahr über meinen Schatten gesprungen. Marvin hatte wirklich genug ausgehalten (und würde auch noch in Zukunft viel aushalten müssen), da konnte man auch mal ein Auge zudrücken!!

Jonathan hat ein Xylophon bekommen. Und zwar das Xylophon das ich bei Gerrit gesehen hatte und mit dessen Klängen er mich zu Tränen gerührt hatte. Natürlich konnte Jonathan noch nicht darauf spielen, aber so hatte ich wieder ein Ziel mit ihm!

(Heute…spielt er darauf!! Mit viel Leidenschaft und großer Kraft…und einem Strahlen im Gesicht! Musik verzaubert ihn…er kann ja nicht wirklich viele Dinge, schon gar nicht solche die seine Altersgenossen können, aber Musik machen kann er! Und wenn er in der Lage ist ein Instrument in die Hand zu nehmen und Töne damit zu erschaffen, dann strahlt er so sehr das mir ganz oft die Tränen in den Augen stehen. Deswegen sind wir auch immer auf der Suche nach neuen Instrumenten die für seine kleinen Hände geeignet sind.)

Der ganze Abend war sehr aufregend für den kleinen Mann und so ist er relativ früh eingeschlafen. Wir konnten uns dann ungestört Marvin widmen – alles in allem: war es ein traumhaftes Weihnachtsfest für uns!!! Wir waren komplett…


Silvester
Natürlich konnte Jonathan nicht bis Mitternacht aufbleiben um das Feuerwerk zu sehen, aber wir haben eine kleine Silvesterparty für ihn veranstaltet:
Nach dem unumgänglichen „Dinner for one“ (bei dem Jonathan übrigens an der Stelle als der Butler aus dem Stand über den Tigerkopf hüpft gelacht hat – ich SCHWÖRE!) hatten wir verschiedenes selbst gemachtes Fingerfood. Und bunte Partyhütchen, auch Jonathan hatte eins auf. Außerdem Tröten, Luftschlangen und Konfetti und wieder mal: die Wohnung dekoriert. Girlanden hingen quer durch die Küche, Glücksklee und kleine Schornsteinfeger sowie Schweinchen zierten den Tisch. Nach dem Essen haben mein Mann und Marvin auf dem Balkon Wunderkerzen angezündet: ein „Feuerwerk“ für Jonathan!

Das volle Programm eben, für unsere Kinder. Alles soll unvergessen sein und ausgelebt werden als gebe es kein Morgen. So soll das Leben doch sein: jeden Tag genießen als wäre es der letzte. Das ist etwas was Jonathan uns gelehrt hat.

Gute Vorsätze für das kommende Jahr?? Natürlich! Genießen das Jonathan bei uns ist und wir dem Krankenhaus endlich den Rücken gekehrt haben!!

Es ist schon gut dass man nicht in die Zukunft blicken kann…sonst hätten wir diesen Abend vermutlich nicht so freudestrahlend und optimistisch verbracht….