Zurück
zur Weihnachtszeit. 8o)
Eigentlich
hatten wir beschlossen nur EINEN Weihnachtsmarkt zu besuchen weil wir Jonathan
keinem gesundheitlichen Risiko aussetzen wollten. Aber nach der Erfahrung die
wir gemacht hatten reichte uns ein Besuch auch erstmal VOLLKOMMEN aus!!!
Aber wie
war der Spruch doch gleich? DAS LEBEN IST KEIN PONYHOF, und deswegen versuchten
wir das zu vergessen und die Zeit bis Weihnachten trotzdem zu genießen.
Weil
Jonathan in seinem zarten Alter noch nicht so viel mitbekam legten wir
Orangenscheiben auf die Heizung die den Raum mit Duft erfüllten: riechen konnte
er ja schließlich! Wir hängten glitzernde Lamettaketten auf und zeigten sie ihm
immer wieder oder gaben sie ihm auch in die Hand damit er damit spielen konnte.
Eine Lichterkette mit Weihnachtsmännern war sein Highlite: ich glaube ich hätte
zwei Stunden mit ihm auf dem Arm davor stehen können und er hätte immer noch
nicht genug gehabt.
Nikolaus
Und
natürlich gehört zur Vorweihnachtszeit auch ein Besuch des „richtigen“
Nikolaus.
Wir leben
in einem großen deutschen Bistum und haben einen „Nikolausservice“. Dort kann
man anrufen und für seinen Wunschtermin (bei uns ist es immer der 5.Dezember,
denn wir sind Protestanten und feiern traditionsgemäß Nikolaus am Vorabend des
6.Dezember) einen Nikolaus bestellen. Die Geschenke und ein Zettel mit den
positiven –und auch ein oder zwei negativen! 8o)- Eigenschaften der Kinder
hinterlegt man an der Haustür.
Von klein
auf hatte Marvin immer einen Nikolaus. Mittlerweile weiß er natürlich das der
Mann der im wundervollen (und echten!) Ornat der Kirche vor ihm steht nur ein
„Schauspieler“ ist – trotzdem besteht er jedes Jahr wieder darauf dass ich dort
anrufe und den Nikolaus bestelle. Es ist eine Tradition bei uns geworden die er
nicht mehr missen möchte.
In diesem
ersten Jahr mit Jonathan hatte Marvin eine perfekte Ausrede: „Mama, wir müssen
da anrufen weil JONATHAN unbedingt den Nikolaus sehen soll!“… 8o))) Wofür
kleine Brüder doch immer herhalten müssen!!
Aber: ich
habe sehr gern dort angerufen und einen Termin vereinbart.
Und dann
kam der Nachmittag des 5.Dezember, wir hatten extra einen nicht so späten
Termin genommen damit Jonathan auch noch wach sein würde, und es klingelte. Herein
kam ein Nikolaus der selbst mich sprachlos machte: ER WAR RIESIG!!! Er musste
sich bücken um überhaupt durch die Tür zu passen! Da hatten wir aber mit
Sicherheit den größten Nikolaus erwischt den das Bistum zu bieten hatte….
Ein
wundervolles Gewand hatte er an: es war rot und mit viel Glitzer und Litzen
bestickt. Einen Bischofsstab und einen Knecht Ruprecht hatte er auch dabei
und…sein goldenes Buch aus dem er vorlas. Jonathan saß auf dem Schoß meines
Mannes und starrte den Nikolaus mit offenem Mund an: ich glaube den Bart fand
er besonders faszinierend, trägt doch niemand aus unserer Familie sonst einen
Bart! Natürlich gab es über unsere Kinder nicht wirklich etwas Negatives zu
sagen…8o))…und seinen Schock über unser Mini-Baby hat der Nikolaus auch gut
unter Kontrolle gehabt. So lief dieser Besuch sehr harmonisch und zur Freude
aller ab.
Das erste
Fotoshooting
Vor
ungefähr 20 Jahren wollte ich ein paar „richtige“ Fotos von mir verschenken und
bin mehr durch Zufall auf ein ortsansässiges Fotostudio gestoßen. Ich habe
einen Termin vereinbart und bin völlig unvoreingenommen dort erschienen. Was
ich zuerst bemerkte war die „Promi-Wand“: hier hingen Fotos von prominenten
Personen des öffentlichen Lebens, nicht wenige und nicht die unbedeutendsten.
Als ich auf die Wand zeigte erklärte mir die Fotografin dass sie alle diese
Menschen in ihrem Studio fotografiert habe, viele von ihnen kämen regelmäßig.
Bei einigen erstelle sie Pressemappen, bei anderen Buchumschläge. Ich war schon
mal beeindruckt!
Das
Shooting damals dauerte vielleicht 1,5 Stunden. Was ich sofort bemerkte: die
Fotografin ging wirklich TOTAL in ihrem Beruf auf! Hatte sie einmal die Kamera
in der Hand sprühte sie vor Ideen…“Jetzt könnten wir das mal so machen“ oder: „..und
dann könnten wir noch mit diesem Hintergrund…“…und: „ach, Moment: dieser Winkel
wäre doch auch super!“…sie fand gar kein Ende. 8o))
Die Fotos
die mir dann circa zwei Wochen später vorgelegt wurden waren WELTKLASSE!!!
Profifotografien…so etwas hatte ich nicht erwartet: ich war wirklich
begeistert!!
Warum
erzähle ich das???
Weil ich
mich in der Schwangerschaft mit Marvin entschieden habe zu dieser Fotografin zu
gehen und „Bauch-Bilder“ machen zu lassen. Auch diese Fotos haben meine
Vorstellungen wieder übertroffen! Und deswegen habe ich mit ihr eine
Vereinbarung getroffen: ich würde alle 6 Monate zu ihr kommen und Marvin
fotografieren lassen. Sie sollte seinen Weg fotografisch festhalten, als
Erinnerung für mich.
(Und da
ein Termin im Sommer und einer vor Weihnachten stattfindet habe ich auch immer gleich
ein wunderschönes Geschenk für die Großeltern!! 8o) …)
Jetzt war
Jonathan zu Hause und natürlich: sollte sie auch ihn begleiten.
Über die
Jahre war zwischen uns eine sehr enge Freundschaft entstanden. Sie hatte mich
begleitet als Marvins Papa gestorben war. Ich hatte ihre Krebserkrankung
„miterlebt“. Sie war meine Hochzeitsfotografin gewesen. Ich hatte ihr zu ihrer
ersten Buchveröffentlichung gratuliert. Meine schwierige Schwangerschaft war
Thema zwischen uns gewesen. Und nun vereinbarte ich einen Termin zum Shooting
für meine BEIDEN Jungs. Ich hatte ihr schon erklärt was das Besondere an Jonathan
war und sie gebeten unseren Termin abzusagen falls sie krank sein sollte. Ein
schwaches Immunsystem und die damit verbundenen Risiken waren ihr durch ihre
Krebserkrankung nicht fremd. Tatsächlich mussten wir den ersten geplanten
Termin verschieben weil sie einen Schnupfen hatte. Doch dann kam der große Tag!
Wie immer
reiste ich mit „großem“ Gepäck im Fotostudio an: ein Korb mit Utensilien –
Wechselklamotten (damit die Kinder nicht auf jedem Bild dasselbe anhaben),
Spielzeug und/oder „Dekoartikel“. Unsere Ideen sind uns über die Jahre nicht
ausgegangen, im Gegenteil: ich glaube ich könnte auch viermal im Jahr kommen
und wir würden Motive finden! 8o)
Und dann
ging´s los. Ich muss auch nach so langer Zeit immer noch grinsen wenn meine
Fotografin den Fotoapparat in die Hand nimmt – dann ist sie nämlich wie im
Rausch. Sie hat einen „Flow“ sage ich dann immer. Hat tausend Ideen und hört
gar nicht mehr auf zu knipsen! 8o))
Eigentlich
wollte ich nur zwei oder drei Bilder von Jonathan: wusste ich doch nicht wie er
das Shooting so mitmachen würde! Still halten, in die Kamera blicken und am
besten noch lächeln…ein bisschen viel verlangt für einen so kleinen Wurm,
oder??
Aber er
machte SUPER mit! Wie ein kleines Fotomodell – ein sehr kleines, zugegebenermaßen.
8o))
Es war
eigentlich gar nicht angedacht, aber unsere Fotografin wollte dann unbedingt
noch Familienaufnahmen. Jonathan mit seinen Eltern, Jonathan mit seinem Bruder
und wir alle zusammen. (Ich sage ja: wenn bei ihr der Flow einsetzt ist alles
zu spät!) Zuerst wollte ich mich ja drücken: ich war nicht geschminkt und hatte
einen „Bad-Hair-Day“, aber dann dachte ich mir „was soll´s!“ Und die Aufnahmen
sind auch trotzdem (wieder mal!) traumhaft geworden!
Einige
der Fotos von diesem Shooting können ab sofort in der Rubrik FOTOS bewundert
werden. 8o)))
Neuer
Christbaumschmuck
Mitte
Dezember hat mein Mann beschlossen dass es Zeit für neuen Christbaumschmuck
sei! Schließlich müssten wir Jonathan ja DEN Weihnachtsbaum schlechthin
präsentieren zu seinem ersten Weihnachtsfest. Also haben wir uns am Wochenende
alle wieder ins Auto gesetzt und sind in die nächstgrößere Stadt gefahren: da
gab es ein riesiges Gartencenter das in der Weihnachtszeit eine
Weihnachtsbaumausstellung mit Dekobeispielen hatte. Ein Traum für Jonathan! Ich
glaube es waren sechs leuchtende, SEHR üppig dekorierte Bäume die sich
gegenüberstanden und um die Wette gefunkelt haben. Der kleine Mann wusste gar
nicht wohin er zuerst schauen sollte. 8o))
Die
Entscheidung für eine Deko fiel uns nicht leicht. Aber wir haben uns dann für
eine rote Deko entschieden mit verschieden großen und verschieden farbigen
Kugeln. Plus Lametta. Und Lichterketten. Eiszapfen. Lamettaketten. Holzfiguren.
Und was weiß ich noch alles.
Der Baum
war am Ende stolze 2,20m hoch und von oben bis unten geschmückt. 8o)
Bestätigung
der vermuteten Diagnose
Etwa 10
Tage vor Weihnachten rief unsere betreuende Kinderklinik bei uns an um einen
Termin zu vereinbaren: das Ergebnis der Genanalyse lag vor und unsere
Humangenetikerin wollte es mit uns besprechen.
(So ganz
tief in mir wusste ich schon das Jonathan MOPD Typ 1 hatte, auch wenn es bis
zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestätigt war. Aber ich brauchte mir doch nur
die wenigen Texte und Fotos im Internet durchzulesen und anzuschauen: es passte
alles auf meinen Sohn.)
Die
Kinderklinik fragte ob es uns möglich sei noch vor Weihnachten vorbeizukommen.
Na klar! Wir wollten es ja auch endlich bestätigt bekommen…
Also sind
wir nur wenige Tage vor Weihnachten mit Jonathan in die Klinik gefahren und
wurden von unserer Humangenetikerin empfangen. Sie nahm uns mit in ihr Büro und
sagte das sie uns gar nicht länger auf die Folter spannen wollte: die
Genanalyse hatte bestätigt das Jonathan unter MOPD Typ 1 leide. Das war jetzt
nicht wirklich eine Überraschung für uns und auch kein Schock: es war das was
wir erwartet hatten. Eigentlich war es zu diesem Zeitpunkt für uns auch nicht mehr
so wichtig es schwarz auf weiß zu sehen: wir hatten uns sowieso schon damit
abgefunden und arrangiert. Das äußerten wir auch beide so.
Die
Humangenetikerin sagte uns das sie selbst es ja nicht für möglich gehalten habe
in nur 2 Jahren ZWEI Kinder mit diesem extrem seltenen Gendefekt zu betreuen –
aber so sei es nun mal. Und zuerst habe sie auch überlegt ob sie uns das
Resultat der Untersuchung noch vor Weihnachten präsentieren sollte – doch so
wie sie uns kennengelernt habe hätte sie schon gewusst dass uns das nicht in
eine Sinnkrise stürzen würde!
Und das
stimmte auch. Für uns war es ok es nun definitiv zu wissen, aber eigentlich
hatten wir nie daran gezweifelt.
Weil ich
schon in der Vergangenheit den Wunsch geäußert hatte mehr über diese Krankheit
und die anderen (leider nur circa 30) Fälle wissen zu wollen bekam ich nun
einen Packen Papier in die Hand: Ausdrucke aus medizinischen Fachzeitschriften
und aus dem Internet. Fallbeispiele von circa 20 MOPD-Kindern: jeweils eine
Beschreibung ihres Phenotyps (also der äußeren Erscheinung), die Ergebnisse der
inneren Untersuchung von Knochen und Organen, eine Auflistung von Größe und
Gewicht in verschiedenen Altersstufen, eine Auflistung dessen was sie kognitiv
und körperlich konnten oder eben nicht – und der Grund ihres Todes sowie das
Alter zum Zeitpunkt des Todes.
Alle
Studien waren auf Englisch, was mir zum Glück keine großen Schwierigkeiten
bereitet. Ich bin alles in einer ruhigen Minute zu Hause durchgegangen und es
war niederschmetternd was ich dort gelesen habe. Keines dieser Kinder,
KEINES!!, ist älter als 5 Jahre geworden. Alle sind an Fieber,
Magen-Darm-Infekten oder Schnupfen gestorben.
Körperlich
und geistig waren diese Kinder so schlecht entwickelt, das ihre Eltern zu
erkennen und den Kopf allein halten zu können schon das Beste war was man dort
zu lesen bekam.
Ich
musste schlucken. Wow!! Das waren keine schönen Aussichten…aber dann blickte
ich in Jonathans Augen: und die blickten mich wach und neugierig an. Außerdem
konnte er schon so viel mehr als die Ärzte vorausgesagt hatten. Und da habe ich
beschlossen dass ich mich von diesen Prognosen nicht verrückt machen lassen
würde! Vielleicht musste man einfach nur ein wenig Vertrauen und Hoffnung
entwickeln…
Heiligabend
Und dann
kam der große Abend, Heiligabend. Selbst ich hatte rote Backen und strahlte mit
der Lichterkette um die Wette.
Es gab
ein frühes Abendessen damit Jonathan während der Bescherung nicht schon müde
wurde. (Ich glaube Marvin war es nicht ganz unrecht dass die Bescherung in
diesem Jahr schon etwas früher stattfand als sonst immer.)
Wie jedes
Jahr wurde nach dem Abendessen ein Weihnachtslied gesungen und dieses Mal haben
Marvin und ich sogar Flöte zusammen gespielt: Jonathan hat allerdings wegen der
quietschenden Geräusche mehr als befremdet aus der Wäsche geschaut. …oder war
es wegen dem Gesang meines Mannes??? 8o)))
Danach
war die Zeit gekommen die Geschenke auszupacken. Marvin hat endlich den lang
ersehnten Nintendo bekommen! Gewünscht
hatte er ihn sich allerdings nicht weil er weiß das ich gegen jegliche Art von
Spielekonsolen bin – aber ich wusste natürlich auch das es sein Herzenswunsch
war und bin in diesem Jahr über meinen Schatten gesprungen. Marvin hatte
wirklich genug ausgehalten (und würde auch noch in Zukunft viel aushalten
müssen), da konnte man auch mal ein Auge zudrücken!!
Jonathan
hat ein Xylophon bekommen. Und zwar das Xylophon das ich bei Gerrit gesehen
hatte und mit dessen Klängen er mich zu Tränen gerührt hatte. Natürlich konnte
Jonathan noch nicht darauf spielen, aber so hatte ich wieder ein Ziel mit ihm!
(Heute…spielt
er darauf!! Mit viel Leidenschaft und großer Kraft…und einem Strahlen im
Gesicht! Musik verzaubert ihn…er kann ja nicht wirklich viele Dinge, schon gar
nicht solche die seine Altersgenossen können, aber Musik machen kann er! Und
wenn er in der Lage ist ein Instrument in die Hand zu nehmen und Töne damit zu
erschaffen, dann strahlt er so sehr das mir ganz oft die Tränen in den Augen
stehen. Deswegen sind wir auch immer auf der Suche nach neuen Instrumenten die
für seine kleinen Hände geeignet sind.)
Der
ganze Abend war sehr aufregend für den kleinen Mann und so ist er relativ früh
eingeschlafen. Wir konnten uns dann ungestört Marvin widmen – alles in allem:
war es ein traumhaftes Weihnachtsfest für uns!!! Wir waren komplett…
Silvester
Natürlich
konnte Jonathan nicht bis Mitternacht aufbleiben um das Feuerwerk zu sehen,
aber wir haben eine kleine Silvesterparty für ihn veranstaltet:
Nach
dem unumgänglichen „Dinner for one“ (bei dem Jonathan übrigens an der Stelle
als der Butler aus dem Stand über den Tigerkopf hüpft gelacht hat – ich
SCHWÖRE!) hatten wir verschiedenes selbst gemachtes Fingerfood. Und bunte
Partyhütchen, auch Jonathan hatte eins auf. Außerdem Tröten, Luftschlangen und
Konfetti und wieder mal: die Wohnung dekoriert. Girlanden hingen quer durch die
Küche, Glücksklee und kleine Schornsteinfeger sowie Schweinchen zierten den
Tisch. Nach dem Essen haben mein Mann und Marvin auf dem Balkon Wunderkerzen
angezündet: ein „Feuerwerk“ für Jonathan!
Das
volle Programm eben, für unsere Kinder. Alles soll unvergessen sein und
ausgelebt werden als gebe es kein Morgen. So soll das Leben doch sein: jeden
Tag genießen als wäre es der letzte. Das ist etwas was Jonathan uns gelehrt
hat.
Gute
Vorsätze für das kommende Jahr?? Natürlich! Genießen das Jonathan bei uns ist
und wir dem Krankenhaus endlich den Rücken gekehrt haben!!
Es
ist schon gut dass man nicht in die Zukunft blicken kann…sonst hätten wir
diesen Abend vermutlich nicht so freudestrahlend und optimistisch verbracht….