Freitag, 27. Oktober 2017

Exkurs beendet. 8o))
Zurück zu unserem Tag im Playmobil-Funpark.
Wir haben also unseren Ausweis das erste Mal vorgezeigt. Jonathan selber ist zwar bei den meisten Unternehmungen aufgrund seines Alters sowieso noch kostenlos, aber durch den Ausweis haben wir nun auch eine Begleitperson frei. Das heißt, wir sparen ein bisschen Geld bei den Eintritten. Was mich total gefreut hat!!

Ja: wahrscheinlich kommen jetzt wieder die NEIDER die es uns nicht gönnen und uns vorwerfen das wir uns bereichern oder so etwas in der Art…
Aber ganz ehrlich: ist mir egal! Wir leben jeden Tag mit dieser Krankheit, wir müssen so viel aushalten und so viel Leid ertragen…wir dürfen uns auch mal an solchen kleinen Dingen erfreuen und einen positiven Nutzen aus (sorry!) dieser ganzen Scheiße ziehen!!

Und nun waren wir im Park!! Marvin und ich kannten ihn ja schon wie unsere Hosentaschen, wir waren schon so oft hier gewesen. Aber diesmal…hatten wir Joni dabei und wir konnten ihm alles zeigen. Marvin war total aufgekratzt!! 8o))

Zuerst ist man an der Baustelle. Hier ist es sehr laut, na klar: da wird ja auch gearbeitet!! Ganz viele Kinder haben Steine geschaufelt, in Eimer gefüllt und dann in Metallschächte geschüttet (gut: man hätte für die Schächte beim Bau auch ein anderes Material nehmen können – aber das hätte dann natürlich nicht so einen Lärm gemacht!).

Jonathan war sehr fasziniert von dem RIESENGROSSEN Baustellenfahrzeug das hier als Nachbau aus Holz und zum Klettern steht. Wir haben Jonathan und Marvin dann ins Führerhaus gesetzt: es sah so lustig aus! Das riesige Auto und der winzige Jonathan! 8o)

Ja, und dann ging es weiter durch den Park. Jonathan hat sich nicht für alles interessiert, irgendwann war auch einfach die Konzentration bei ihm weg. Er musste zwischendurch essen, Medikamente nehmen und natürlich auch mal schlafen. In der Zeit waren wir dann eben in den Klettergärten oder bei den Wasserspielplätzen: so kam Marvin auch auf seine Kosten.

Was Jonathan aber noch sehr gut gefallen hat waren die Wasserstraßen für die 1-3 Jährigen. Man muss sich das so vorstellen: ein Platz, komplett eingefasst mit Hecken. Überdacht mit einem Sonnensegel. Und dann steht da quasi eine lange Reihe „Tische“ aus Metall, eigentlich eher wie eine Rinne gebaut. Und die sind mit Wasser gefüllt in dem Playmobil-1-2-3-Spielzeug herumschwimmt. Die Kinder können sich dann an die Tische stellen und damit spielen. Und nach Herzenslust planschen und Wasser spritzen. Im Sommer bei Hitze unschätzbar!

Es WAR warm und so sind wir mit Jonathan dorthin gegangen. Es waren einige Eltern mit ihren Kindern da die spielten. Ich habe Jonathan mitgenommen, mich an einen Tisch gekniet und ihn darüber gehalten. Er hat sich ein Boot geschnappt, es hin und her geschoben und hatte wahnsinnigen Spaß dabei!! Er wollte das Boot auch gar nicht mehr loslassen!!! (Wir haben es dann später im Shop für zu Hause gekauft.)

Aber mal wieder: standen wir komplett im Mittelpunkt. Wir wurden begafft…Elternpaare steckten die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln, ein Pärchen war sich nicht zu schade dabei sogar mit dem Finger auf uns zu zeigen. NORMALERWEISE wäre ich mal wieder zu ihnen gegangen und hätte ihnen erklärt das Jonathan kleinwüchsig ist, aber trotzdem das Recht hat an diesen Wasserstraßen zu spielen – auch wenn es anders aussieht weil er nicht davor stehen kann. Doch an diesem Tag hatte ich einfach KEINE LUST mich mit irgendwem zu unterhalten oder RECHENSCHAFT abzulegen. Ich habe es ignoriert, wollte einfach meine Ruhe haben…

Das wurde allerdings schwierig als es zum Mittagessen ging. Wir haben Jonathan ein Gläschen gegeben und er hat vom Löffel gegessen. Dabei saß er in einem kleinen Stühlchen. Am Nachbartisch saß auch ein Elternpaar die ein Kleinkind fütterten und sie beobachteten uns sehr genau und begannen ebenfalls zu tuscheln. Allerdings war das eher ein absichtlich sehr lautes Tuscheln damit wir auch hören konnten was sie sagten: „Wie kann man ein so kleines Kind schon zwingen ein Gläschen zu essen?? Das ist ja voll die Quälerei und auch nicht normal!“…

Ich hatte einfach keinen Bock auf Erklärungen. Auch das habe ich ignoriert!! Aber ein Appell an alle Eltern: nicht immer sind die Dinge wie sie scheinen – und manchmal ist es besser den Mund zu halten wenn man nicht gefragt wird!!

Aufgeregt haben mich die Kommentare ja schon, wenn ich ehrlich sein soll!

Mit der Diagnose MOPD I zu leben ist sowieso schon eine wahnsinnige Herausforderung – man kann auch sagen: psychische Belastung. Dabei geht es mir nicht um die Krankheit an sich: mit Kleinwuchs und geistigen Einschränkungen habe ich mich mittlerweile abgefunden. Aber die Tatsache dass das eigene Kind nur eine sehr begrenzte Lebenserwartung hat bestimmt einfach den Alltag. Die Gedanken. Es tut weh. Sehr weh. Man kann das auch nicht einfach so vergessen, dieses Wissen ist immer da und begleitet einen überall hin. Manchmal sehe ich meinen Jungen an und dann bekomme ich keine Luft mehr – weil die Angst ihn zu verlieren dann einfach übermächtig wird.

Und weil man das alles psychisch auf Dauer so nicht aushalten kann schaffen wir uns „Auszeiten“ in denen wir etwas „normales“ zusammen unternehmen. Um auf andere Gedanken zu kommen, aber auch um ein paar Stunden ein Leben zu führen wie andere Eltern es auch führen. Und wenn wir dann dauernd angestarrt werden oder mitbekommen wie andere über uns tuscheln – dann trägt das nicht dazu bei das wir uns entspannen oder „normal“ fühlen können. Aber mit der Zeit lernt man den Ärger und die Traurigkeit in solchen Momenten einfach runterzuschlucken. Das ist allerdings ein Lernprozess: es ist schwierig und dauert auch bis man es schafft auf diese Art mit solchen Situationen umzugehen.

Wir MÜSSEN mit diesen Situationen klarkommen, aber…wie jemand „Außenstehender“ es erlebt sich mit Jonathan in der Öffentlichkeit zu bewegen sollte mir an diesem Nachmittag vor Augen geführt werden.

Nach dem Tod von Marvins Vater war ich mit Marvin zu einer Mutter-Kind-Kur im Schwarzwald. Dort hatten wir eine junge Frau mit Tochter kennengelernt. Ihre Tochter ist exakt am selben Tag wie Marvin geboren und über diese Tatsache kamen wir ins Gespräch. Schnell haben wir gemerkt dass wir uns gut verstehen. Wir waren dann in den drei Wochen Kur häufiger zusammen unterwegs und haben uns versprochen dass wir auch in Kontakt bleiben wenn wir zu Hause sind. Das verspricht man sich mit „Urlaubsbekannten“ ja gerne und meistens klappt es nicht. Aber bei uns schon! Wir sind seit damals befreundet. Getroffen wird sich mindestens einmal im Jahr: immer dann wenn wir im Playmobil-Funpark sind, denn die Familie wohnt nur ein paar Kilometer entfernt. Und deswegen waren wir auch an diesem Nachmittag verabredet.

Natürlich hatte ich bereits Fotos von Jonathan geschickt und auch die Diagnose erläutert.

Ein paar Tage vor dem Treffen habe ich dann noch einmal darauf hingewiesen das Jonathan WIRKLICH SEHR SEHR KLEIN ist…sie sollten sich bitte nicht erschrecken wenn wir uns treffen! (Das sagen wir eigentlich immer wenn wir jemanden treffen wollen der Jonathan noch nicht kennt. Aber meistens sind die Leute trotzdem geschockt weil er so winzig ist. Man kann es sich einfach nicht vorstellen, man muss es sehen!)

Mein Handy klingelte: meine Freundin und ihre Tochter waren da. Wir verabredeten einen Treffpunkt. Als die beiden dann auf mich zukamen konnte ich sehen das die Mutter schon etwas betroffen war weil sie sich Jonathan so klein nicht vorgestellt hatte…die Tochter aber war einfach nur euphorisch! „Mei, is der süß!!“ sagte sie unaufhörlich in ihrem reizenden fränkischen Dialekt. 8o) „Darf ich ihn mal anfassen?? Darf ich ihn halten?? Mei, is der niedlich!“…lach…es war so herzerwärmend wie schockverliebt sie war. …und bis heute ist, wenn ich das mal sagen darf!!

Und dann sind wir durch den Park gelaufen. Die beiden „großen“ Kinder wollten zu den Muscheln um im Wasser zu planschen. Danach sollte es zur Ritterburg gehen. Also immer quer durch den Park. Und irgendwann sagte meine Freundin dann zu mir: „Merkst Du das die Leute alle starren??? Aber echt alle!! Das ist ja VOLL SCHLIMM!! Das täte ich keine 5 Minuten aushalten!“ …ja…so wirkt das auf Außenstehende.

Ich habe ihr gesagt dass ich das natürlich merke, ich bin ja nicht blind. Aber mir bleibt nichts anderes übrig als es auszuhalten – es sei denn ich möchte mich mit Jonathan zu Hause einschließen. Sie war wirklich sehr betroffen. Hatte sie sich doch keine Vorstellung davon gemacht wie sehr unser Leben sich verändert hatte.

An diesem Abend sind wir dann in den Biergarten gegangen und haben noch zusammen gegessen -ihr Freund kam von der Arbeit aus dann auch noch dazu- und natürlich wollten die beiden dann wissen wie unser Leben sich so verändert hat durch Jonathans Geburt.

Nun…das ist eine Frage die wir in der Tat sehr häufig gestellt bekommen.

Jeder der selbst Kinder hat weiß ja wie sich das Leben durch die Geburt eines Babys verändert:
Alles dreht sich nur um das kleine Menschlein – man richtet seinen kompletten Tagesablauf nach den Bedürfnissen seines Babys aus. Kann nicht mehr so einfach entscheiden wann man selbst essen oder duschen gehen möchte – das sind Dinge die eben nur dann gehen, wenn das Baby zufriedengestellt und ruhig ist.

Man geht am Wochenende nicht mehr gemeinsam ins Kino oder in die Disko, ja in den ersten Jahren vermutlich gar nicht mehr gemeinsam aus. Man muss erstmal einen Babysitter finden und dann…muss man innerlich auch erstmal so weit sein das Baby bei einem Sitter lassen zu WOLLEN! Das ist ein Prozess der nicht so schnell von Statten geht – bei den meisten Eltern jedenfalls nicht, es gibt aber sicherlich auch Ausnahmen.

Themen über die man früher in der Partnerschaft geredet hat (zum Beispiel über Politik oder auch über den Job) geraten ins Hintertreffen hinter „Nahrungsaufnahme“ und „Verdauung“. Das ist ja auch irgendwie verständlich: denn einer der beiden Elternteile ist zu Hause um sich in Vollzeit um das Baby zu kümmern, da hat man nicht so viele Themen über die man reden könnte!!

Die Prioritäten verschieben sich – vollkommen. Man möchte das das Baby glücklich ist, man tut alles dafür: nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig. Wenn man shoppen geht kommt man auf einmal mit 5 Tüten für das kleine Menschlein heim und stellt zu Hause fest das man für sich selber mal wieder nichts gekauft hat – was vor einem Baby undenkbar war!! Oder??

Die Nächte sind unruhig. Kaffee wird der beste Freund den man hat. Und die Hausarbeit bleibt liegen weil man jede Minute des Tages in der das Baby schläft dazu nutzt um sich selber aufs Ohr zu hauen.

Der Freundeskreis verändert sich oftmals. Man lernt über Spielkreise oder durch die Rückbildung neue Leute kennen. Gut: man hat jetzt halt auch nur noch ein Thema über das man gerne redet…das Baby…und die Freunde von „vorher“ die selber keine Kinder haben…sind mit ihrer Geduld einem zuzuhören auch irgendwann am Ende angekommen.

Aber bei all dem weiß man doch: die Situation wird sich in ein paar Jahren wieder ändern!!

Man geht zurück in den Job und hat wieder spannende Themen für Diskussionen mit dem Partner. Man wird einen Babysitter haben und gemeinsame Abende genießen können. Das Abenteuer Baby wird irgendwann Alltag sein und man sich selbst wieder wichtiger nehmen wollen – und können.

So ist es normalerweise. So war es auch bei mir und Marvins Papa.

Aber so ist es nicht mit Jonathan.

Das was mir immer als erstes einfällt wenn ich zu den Veränderungen in meinem Leben befragt werde sind die wahnsinnig vielen Termine die ich mit Jonathan wahrnehmen muss. Wir gehen zur Physiotherapie, wir machen Frühförderung, wir machen (bald) Logopädie, wir gehen zum Osteopaten und müssen auch sehr regelmäßig zum Kinderarzt. Therapeutisches Reiten. Regelmäßige Arztbesuche beim Kardiologen, Orthopäden und in der Sehschule. Und dann natürlich noch die Termine „die mal so nebenbei“ kommen: mal ein Termin bei der Humangenetikerin oder im Zentrum für seltene Erkrankungen. Ein Termin im Sanitätshaus oder mit dem Reha-Team um Hilfsmittel zu besprechen oder anzupassen. Ach ja: und wegen dem Pflegegrad bekommen wir auch noch mindestens zweimal im Jahr Besuch von einem „Unabhängigen Dienst der Krankenkasse“, dieser prüft ob uns der Pflegegrad noch zusteht.

So: das ist unsere Terminliste. Seid ihr schon gestresst oder schwitzt, weil ihr überlegt wie man das alles unter einen Hut bringen soll?? Dann lasst euch gesagt sein das ich noch einen Sohn habe! Der möchte mittags etwas zu Essen auf dem Tisch haben wenn er aus der Schule kommt. Und oftmals braucht er Hilfe bei den Hausaufgaben. Auch er hat Termine und muss zu bestimmten Uhrzeiten irgendwohin gefahren werden. Und nicht zu vergessen: auch er möchte Aufmerksamkeit und „quality time“ mit mir. Eine Gradwanderung!! Und wer ein gesundes und ein krankes Kind hat und erzählt dass er beide Kinder vollkommen gleich behandelt – sorry, aber der lügt! Das ist schlichtweg unmöglich!! Man hat nämlich nur zwei Hände….aber weil ich weiß das es so ist versuche ich natürlich alles um Marvin so wenig wie möglich zu benachteiligen. Das allerdings wiederum bedeutet das ich mich „vernachlässigen“ muss: denn mein Tag hat ja auch nur 24 Stunden. Ich komme nicht oft dazu mich mit einem Buch zu verkriechen und mal ein wenig zu schmökern – obwohl das meine Lieblingsbeschäftigung ist!! Oder mich mal in die Badewanne zu legen und zu entspannen….

…und der Punkt ist: während Eltern eines gesunden Kindes wissen das sie innerhalb weniger Jahre wieder in ein relativ normales Leben zurückkehren können werden mein Mann und ich nie mehr ein normales Leben führen können. Jedenfalls nicht so lange Jonathan bei uns ist – was hoffentlich noch sehr lange der Fall sein wird!!

Er wird mit den Jahren nicht selbstständiger werden, oder jedenfalls nur unwesentlich. Aufgrund seiner Erkrankung wird er weder körperlich noch geistig in der Lage sein sich um sich selber zu kümmern. Das werden Zeit seines Lebens immer wir tun müssen. Und seine Bedürfnisse werden Zeit seines Lebens immer Vorrang vor unseren Bedürfnissen haben.

Wegen der epileptischen Anfälle die Jonathan hatte trauen unsere Eltern und Geschwister sich nicht für uns den Babysitter zu machen. Was wir durchaus verstehen können!!! Das ist nicht der Punkt! Es ist eine riesige Verantwortung auf ihn aufzupassen und wenn man sich dem nicht gewachsen fühlt - ist es sinnvoller das auch zu sagen. Aber für unser tägliches Leben bedeutet das: mein Mann und ich können nicht zusammen ausgehen. Nie. Einer muss immer bei den Kindern sein. Das ist mitunter sehr belastend. An einer Ehe zu arbeiten und daran festzuhalten wenn man nie gemeinsame Zeit  allein hat…es ist eine große Herausforderung!!

Uns steht zwar wegen des Pflegegrades die Betreuung durch einen medizinischen Dienst zu – aber soweit unseren kleinen Jungen in den Händen von FREMDEN zu lassen…sind wir trotz allem noch nicht. Vielleicht irgendwann einmal. Aber nicht so bald.

Die beiden einzigen Abende in den letzten zwei Jahren die mein Mann und ich gemeinsam außer Haus verbringen konnten verdanken wir zwei ganz lieben Menschen mit medizinischem Hintergrund. Jeder von ihnen war einen Abend lang bei uns um Joni zu sitten, und dafür sind die beiden jeweils eine ganz schön weite Strecke gefahren.

DANKE!!! WIR SIND EUCH WIRKLICH DANKBAR!! UND WIR WISSEN DAS IHR DAS WIEDERHOLEN WERDET SOBALD ES EURE ZEIT EINMAL ERLAUBT.