Ich war
früher ein sehr aktiver Mensch: engagiert im Beruf und immer offen dort Neues
zu lernen, mich weiterzubilden. Geistig fit zu bleiben. Es gab viele Themen für
die ich mich interessiert habe und ich war sehr oft unterwegs. Heute…ist das
alles nicht mehr in der Form möglich und wird es nie mehr für mich sein.
Zwar
beabsichtige ich tatsächlich wieder arbeiten zu gehen, doch das wird nur noch
in Teilzeit stattfinden können – denn Jonathan braucht ja Betreuung. Ein so
großes Engagement wie früher, das auch Dienstreisen beinhaltete, wird für mich
nicht mehr möglich sein.
Und
ausgehen…naja…Herbst/Winter/Frühling sind bestimmt von Infektionskrankheiten.
Und die könnten für Jonathan gefährlich werden. Also muss ich mir sehr genau
überlegen wohin ich gehen möchte, denn ich darf mich am besten mit nichts
anstecken. Und da mein Mann arbeitet und ich Jonathan zu Hause
betreue…verbringen wir die meisten Tage in diesen Jahreszeiten in unserem Haus.
Und außer unseren Therapeuten ist mein Mann dann oft für mehrere Tage der
einzige erwachsene Mensch den ich sehe…
Jonathan
schläft immer noch nicht durch. Nächte in denen er das mal getan hat können wir
auch heute noch an einer Hand abzählen. Es ist anstrengend, besonders für
meinen Mann. Denn ich bin tagsüber so unter Druck an alle Medikamente zu
denken, den Zeitplan einzuhalten, mich um beide Jungs UND den Haushalt zu kümmern…das ich nachts
einfach nicht wach werde wenn Jonathan schreit. Ich bin dermaßen erschöpft und
am Ende das ich NICHTS um mich herum mehr mitbekomme. Und deswegen steht mein
Mann jede Nacht auf. Jede Nacht mehrmals. Aber er muss am nächsten Morgen auch
zur Arbeit fahren.
Und zu
allem Überfluss ist da immer der Gedanke an die frühe Sterblichkeit von
Jonathan. Das ist belastend. Sehr.
Durch
Jonathans Gendefekt haben wir auch von einem „Traum“ Abschied genommen: der
Traum eines dritten Kindes. Eigentlich hatten wir den Gedanken daran seit der
Fehlgeburt der Zwillinge. Denn hätten wir sie bekommen hätten wir auch drei
Kinder gehabt!
Aber
heute wissen wir das MOPD I vererbt wird und wir es beide in uns tragen. Die
Chancen dass ein weiteres Kind diese Krankheit auch hätte liegen zwar nur bei
25%, aber die Gefahr besteht. Und was machen wir wenn wir in der
Schwangerschaft erfahren dass dieses Kind auch krank ist?? Was machen wir wenn
die Schwangerschaft so problematisch verläuft wie die mit Jonathan: wenn ich
nur liegen muss, aber mich doch um die Kinder kümmern muss?? Was machen wir
wenn es ein Frühchen wird zu dem ich täglich in die Klinik fahren will, aber
Jonathan nicht mitnehmen darf?? Nicht zu vergessen die psychische Belastung die
eine weitere Schwangerschaft für mich bedeuten würde. Und aus diesen Gründen
haben wir entschieden Maßnahmen zu ergreifen damit auf keinen Fall eine weitere
Schwangerschaft stattfinden kann. Aber es ist mir nicht leicht gefallen mich
von diesem Gedanken zu verabschieden! Ich habe monatelang mit mir gehadert und
überlegt…mein Herz hat JA geschrien: ich will noch ein Kind!! Aber der Kopf hat
gesiegt…
Ja…das
ist heute unser Leben. Und so hat es sich verändert durch Jonathans Geburt.
Wenn ich
meine eigenen Worte noch einmal lese dann habe ich einen Kloß im Hals. So
schwarz auf weiß zu sehen wie viele negative Dinge und Momente der Alltag mit
dem kleinen Mann mit sich bringt tut schon weh…das ist nicht das Leben das ich
eigentlich führen wollte – so habe ich mir das nicht vorgestellt. Und doch ist
es nun so…und mich hat niemand um meine Meinung gefragt.
Aber…dann
sehe ich ihn an und er lacht mit mir. Seine Augen strahlen und er ist so
wissbegierig! Und neugierig darauf seine kleine Welt zu entdecken!! Er möchte
so viel und ist so dickköpfig!! Er lässt sich nichts sagen und trotzt allen
Prognosen.
Und wenn
ich das dann sehe und darüber nachdenke wie schlecht die Prognosen eigentlich
waren und was wir gemeinsam schon erreicht haben…dann muss ich weinen weil ich
glücklich darüber bin. Und dann sagt mein Herz mir das es das alles wert ist.
Alles und noch viel mehr.
Auch wenn
es nicht das Leben ist das ich führen wollte…das ist das Leben das ich habe!
Und daraus muss ich nun das Beste machen. Das versuche ich ohne zu jammern….ich
hoffe alle diejenigen die mich persönlich kennen empfinden das auch so!
Nun..das
ist also in etwa das, was ich unseren Bekannten an diesem Abend im Playmobil-Park
zu vermitteln versucht habe.
Ich hätte
es vielleicht auch etwas kürzer ausdrücken können:
DAS LEBEN
IST KEIN PONYHOF!!!
Der Abend
im Biergarten des Playmobil-Funparks neigte sich dem Ende zu, es war
mittlerweile sehr spät geworden.
Die
„großen“ Kinder spielten Mini-Golf und Air-Hockey. Mein Mann war schon vor
längerer Zeit mit Jonathan auf unser Zimmer gegangen um ihn ins Bett zu
bringen. Es war ein großer Vorteil das wir das Parkhotel gebucht hatten: so war
es möglich das ich mit meiner Freundin noch ein paar ruhige Stunden verbringen
konnte. Denn die Zeit die wir miteinander verbringen ist rar - und geht für
meinen Geschmack auch immer viel zu schnell vorbei. 8o))
Man
verabschiedete sich, wir würden uns in einem Jahr wieder hier treffen. So wie
wir es schon immer machen seit wir uns in einer Mutter-Kind-Kur kennengelernt haben
– ein Ritual das ich sehr lieb gewonnen habe und auf das ich mich immer
wochenlang im Vorfeld freue.
Und jetzt
war es Zeit für mich und Marvin auch ins Hotel zu gehen. Die Nacht war etwas
unruhig, Jonathan schläft sowieso schlecht und eine fremde Umgebung macht das
nicht besser. Aber am nächsten Morgen konnten wir trotzdem voller Elan
aufstehen: wir würden noch einen halben Tag im Funpark verbringen und erst nach
dem Mittagessen wieder Richtung Heimat fahren.
Wir
begannen den Tag mit einem Frühstück im „HOB-Center“. Dieses Gebäude ist Teil
des Parks, es dient den Hotelgästen morgens als Frühstücksraum und ist
eigentlich…eine riesige Indoor-Spielhalle!!! Es gibt einen Klettergarten, eine
Bühne für die tägliche Minidisko und jede Menge Playmobil. Nach Themenwelten
sortiert stand hier alles was der Spielzeugladen zu bieten hatte. Die Kinder
konnten nach Herzenslust damit spielen…
…und wir
Eltern: in Ruhe frühstücken! 8o) So lange der Park noch nicht geöffnet hat sind
die Türen des HOB-Center verschlossen, man kann sein Kind also „frei laufen“
lassen – es kann nicht aus dem Raum hinaus. Ich genieße jedes Jahr aufs Neue
hier ein ausgiebiges Frühstück während ich sicher bin das Marvin einen
unbändigen Spaß hat!
Als der
Park öffnete sind wir als erstes in die Goldgräberstadt. Auch eine Tradition
bei uns: als erstes wird morgens nach Gold gegraben! Wir haben zwar
mittlerweile gefühlte 5 Kilo Gold zu Hause, aber egal: Marvin muss immer wieder
schürfen gehen. Also machen wir das.
Jonathan
hatte aber auch furchtbaren Spaß in der Goldgräberstadt! Hier gibt es Sand ohne
Ende und da es nicht kalt war haben wir ihm Schuhe und Socken ausgezogen und
ihn den Sand an den Füßen spüren lassen. Er hat gequietscht und sich gefreut
und wenn man ihn hochgehoben hat sah es aus als wolle er durch den Sand
laufen!
Wir
hatten ein ganz tolles Wochenende hier im Park. Besonders schön fand ich das
auch Jonathan hier etwas „tun“ und „erleben“ konnte: er hatte an den
Wasserstraßen und im Sand gespielt, er hatte die überall herumstehenden
(überdimensionalen) bunten Playmobil-Püppchen bestaunt, er hatte in einer
Schaukel gelegen und auch kurz in einem Boot gesessen. Eine (Plastik-)Kuh
gestreichelt und mit Papa gerutscht. Er hatte Eis gegessen.
Für ihn
waren diese beiden Tage ein sehr aufregendes Erlebnis, er hatte unglaubliche viele
neue Eindrücke gesammelt. Und man hatte gemerkt: es hatte ihn nicht geängstigt.
Er hatte alles in sich aufgesogen, offensichtlich brauchte er mittlerweile
immer wieder neuen „Input“.
Für uns
bedeutete das: wir konnten unser altes Leben ein Stück weit wieder aufnehmen,
wir konnten mit Jonathan aktiver werden und den ein oder anderen Ausflug
unternehmen. Langsam zwar, nicht zu viel auf einmal – wir wollten ihn ja nicht
überfordern! Aber wir spürten nach diesen beiden Tagen dass wir unser Leben
erneut ein wenig verändern und für uns wieder ein Stückchen lebenswerter machen
konnten. Das war ein sehr schönes Gefühl! Ein Gefühl als würde man ein wenig
Kontrolle über sein Leben zurückbekommen…ein bisschen freier werden. Wir waren
alle total euphorisch und machten uns schon Gedanken darüber wohin es als
nächstes gehen sollte!! 8o))
Ein
außergewöhnlicher Tagesausflug
Nur zwei
Wochen später haben wir einen mal ganz anderen Tagesausflug gemacht: wir haben
eine Straußenfarm besucht. Es gibt eine nur wenige Kilometer von uns entfernt.
Hier werden die Strauße in Freilandhaltung gehalten. Und zwar ganzjährig.
Der
Besuch begann mit einem Frühstück: Brötchen, Marmelade, Nutella und
auch….Straußenwurst. Sehr außergewöhnlich und interessant. Nicht unlecker. Aber
anders.
Nachdem
wir uns alle gestärkt hatten sind wir in eine kleine Bahn eingestiegen. Kennt
man als Touristen-Bahn aus jeder größeren Stadt: lauter kleine Wagen die von
einer Lok gezogen werden. Jonathan hat das erste Mal in so einer Bahn gesessen:
er hat sich sehr neugierig umgeschaut und als es losging hat er die vorbei
rauschende Landschaft aufmerksam betrachtet.
Wir sind
um die Weideflächen der Strauße herum gefahren, der Besitzer der Farm hat uns
unterwegs mit Informationen über die Tiere versorgt: was essen sie, wie
überstehen sie den Winter, sind sie aggressiv usw. Ok: das war für Jonathan
weniger interessant, denn er hat nichts davon verstanden. Aber die riesigen
Tiere die am Zaun standen hat er sehr wohl gesehen – und gerochen! Denn Strauße
riechen sehr streng, das muss an der Stelle mal gesagt sein.
Nach der
Rundfahrt ging es dann zurück auf den Hof. Hier gab es nun eine ganz besondere
Leckerei: Straußenrührei. Ein Ei reicht für….20 Personen!! Echt krass!! Der
Besitzer der Farm hat uns erklärt wie man ein Ei richtig öffnet, danach sind
alle Kinder mit der „Bäuerin“ in die Küche gegangen und haben Rührei
zubereitet. Wir haben in dieser Zeit erklärt bekommen wie man Straußenleder
herstellt und wieviel dieses exklusive Leder kostet. Nichts vom Strauß wird auf
dieser Farm verschwendet: auch die Federn werden weiter verarbeitet.
Das
Rührei schmeckte –genau wie die Wurst vom Frühstück- anders, aber nicht
unangenehm. Auch Jonathan hat ein wenig probiert. Nachdem wir alle noch etwas
getrunken und in der Scheune mit den Straußenartikeln gestöbert hatten, ging es
dann auch schon wieder nach Hause.
Ok,
zugegeben: für Jonathan war der Ausflug eher weniger spannend. Aber wir
genossen es wieder einmal etwas als Familie unternehmen zu können – Jonathan
war dabei, zufrieden und offensichtlich glücklich. Was wollten wir mehr????
Der erste
Besuch beim Ur-Opa
Mein Opa,
der Vater meines Vaters, erfreut sich noch bester Gesundheit. Jonathan ist
nicht sein erster Urenkel. Aber ein besonderer Urenkel: denn mein Opa hat
Medizin studiert. Und interessiert sich im hohen Alter von 98 Jahren immer noch
für Krankheiten, Gendefekte und all das was damit zusammenhängt.
Warum wir
ihn erst so spät zum ersten Mal besuchten weiß ich heute auch nicht mehr so
genau…ich weiß nur: mein Opa wohnt nicht um die Ecke und als Jonathan aus dem
Krankenhaus entlassen wurde - waren lange Autofahrten mit ihm etwas schwierig.
Außerdem stehen mit Jonathan immer so viele Termine an, ganz ehrlich: da bin
ich auch froh wenn ich mal NICHT Auto fahren muss….
Nun stand
aber endlich ein Besuch bei meinem Opa an. Mein Vater hatte ihn natürlich über
alles informiert, er wusste also das Jonathan sehr klein war und auch warum.
Kleinwuchs war ihm als Mediziner ja nun auch nicht ganz fremd! Vielleicht
konnte er mit dieser Diagnose sogar mehr anfangen als jeder andere in unserer
Familie. 8o)))
Jedenfalls
haben wir uns dann auf die Couch gesetzt und mein Opa hat Jonathan betrachtet.
Seine Hände angefasst und die Finger angeschaut. Irgendwann meinte er dann: „Kind,
können wir ihn mal bis auf die Windel ausziehen? Ich würde seine Arme und Beine
gerne mal nackt sehen!“…lol…ich finde es soooo cool dass sich mein Opa in
seinem Alter noch so für medizinische Aspekte interessiert. Und deswegen: klar
habe ich es gemacht!! Habe Jonathan auf den Couchtisch gelegt und ausgezogen.
Mein Opa
hat ihn betrachtet, berührt, abgetastet…Und man hat gemerkt: der Uropa hatte
sichtlich Spaß dabei! Jonathan übrigens auch. Er hat gelacht, sehr zum Gefallen
meines Opas. 8o))
Irgendwann
durfte ich den kleinen Mann wieder anziehen und dann haben mein Opa und ich die
Prognosen der Ärzte durchgesprochen, ich habe alles erläutert was ich wusste.
Mein Opa hat schon damals gesagt das er Jonathan nur in die Augen zu sehen
braucht und einfach weiß, das er sehr pfiffig ist und alles nicht so schlimm
kommen wird wie die Ärzte sagen! (Lebens-)Erfahrung ist manchmal mit Gold nicht
aufzuwiegen….
Ich bin
sehr froh meinen Opa noch zu haben, das ist nicht selbstverständlich in meinem
Alter! Und dann ist mein Opa geistig auch noch rege und nimmt Anteil an
Jonathans Erkrankung, ist interessiert an ihm und seiner Entwicklung und diskutiert
mit mir immer wieder medizinische Befunde. Eine Erfahrung die nicht jedem
vergönnt ist und deswegen bin ich sehr dankbar dafür.