Ein
Fernsehbericht???
Als wir
unterwegs auf einen Rastplatz fuhren um Pause zu machen hatte mein Mann eine
Email vom Kontaktformular des Blogs…..er schaute rein und sagte nur:
„ÄÄÄÄÄÄHHHHH, FRAU…..das solltest Du UNBEDINGT sofort lesen!“, und reichte mir
sein Handy. Ich habe es zweimal gelesen und dann nur: „ÄÄÄÄÄÄHHH, ist das ein
SCHERZ???“ gesagt…..in der Email stand:
„Liebe
Frau Braunsdorf-Kremer,
ich
arbeite beim Hessischen Rundfunk und habe von Ihrer Geschichte gelesen, die
mich sehr berührt hat. Wir möchten gerne mit Ihnen einen Bericht machen fürs
Fernsehen.“
Natürlich
waren auch die Kontaktdaten angegeben, die Dame kam aus der Redaktion
MAINTOWER.
Am
liebsten hätte ich SOFORT zurückgerufen!!! Aber mein Mann mahnte mich zur
Geduld. Ich solle das erstmal sacken lassen und darüber nachdenken was ein
Bericht im Fernsehen überhaupt für uns bedeuten würde: WOLLTEN wir das???
Einen
Blog im Internet und Zeitungsartikel zu haben war die eine Sache, aber WOLLTEN
wir wirklich ins FERNSEHEN??? Zwar „nur“ regionales Fernsehen, aber trotzdem
Fernsehen.
Okay…mein
Mann hatte ja irgendwie Recht! Erstmal drüber nachdenken. Zurückrufen könnte
ich morgen ja immer noch und bis dahin könnte der Familienrat tagen und sich
überlegen was wir machen wollten.
(Denn:
solche Entscheidungen werden bei uns NICHT ohne Marvin getroffen. Er ist Teil
dieser Familie und auch er muss hinter den Schritten in die Öffentlichkeit
stehen und die Art dieser Schritte gut finden! Auch er wird mit den
Auswirkungen konfrontiert: in Schule und Vereinen.)
Also
redeten wir abends, wieder zu Hause, beim Abendbrot darüber. Generell fanden
wir die Idee ins Fernsehen zu gehen gut: mein Blog würde mehr Aufmerksamkeit
bekommen und vielleicht noch mehr Menschen helfen. Auch Jonathans Krankheit
würde bekannter werden, und wer weiß: vielleicht gab es ja doch noch ein paar
weitere –bisher nicht diagnostizierte- Fälle von MOPD 1 in Deutschland und wir
könnten Ärzte und Eltern auf die richtige Diagnose bringen???
Aber….es
gab Dinge die wir NICHT mitmachen würden. Welche, sind an dieser Stelle hier
unwichtig. (Ich kann nur sagen: bis jetzt haben wir NICHTS gemacht hinter dem
wir nicht alle zu 100% stehen würden – und das soll auch so bleiben!)
Am
nächsten Tag telefonierte ich mit der Dame von Maintower und hörte mir an was
sie zu sagen hatte: wie der Beitrag gestaltet und was gezeigt werden sollte…was
einfach die „Botschaft“ des Beitrages wäre…
Was sie
sagte gefiel mir grundsätzlich. Aber ich war skeptisch weil sie mir sagte dass
ich nicht die Möglichkeit hätte den Beitrag schon vor der Ausstrahlung zu
sehen. Ich würde ihn genau wie alle anderen Zuschauer erst im Fernsehen
anschauen können….
…ich habe
ein behindertes Kind. Ich möchte nicht das Jonathan im Fernsehen „blamiert“
oder in peinlichen Situationen gezeigt wird. Am wenigsten möchte ich das seine
seltene Krankheit ausgeschlachtet wird nur für fette Schlagzeilen oder hohe
Zuschauerzahlen….
Es
gehörte also ein wenig Vertrauen in die Redakteurin dazu. Ich musste ihr
vertrauen dass sie den Bericht in unserem Sinne drehen würde. Dieses Vertrauen
hatte ich nach dem ersten Telefonat noch nicht…..nicht so ganz. Sie war mir
sympathisch, aber ich war skeptisch.
Doch einen
Drehtermin zu finden war für uns sowieso nicht so leicht. Auf der einen Seite
waren unsere Termine mit den Therapien…auf der anderen Seite waren ihre Termine
mit anderen Drehs und sie hatte noch mal Urlaub. Es stellte sich also heraus
dass wir uns erst in 5 Wochen zum Drehen treffen könnten. Scheinbar merkte sie
auch dass ich noch nicht vollkommen überzeugt von der ganzen Angelegenheit war
und deswegen vereinbarten wir in den kommenden Wochen wieder zu telefonieren
und weitere Details zu besprechen. Bei Fragen könne ich mich auch jederzeit bei
ihr melden, sagte sie.
Nun
ja…das war schon alles ziemlich aufregend!!!
Und kaum
war das alles geklärt, ging es direkt aufregend weiter! Mein Mann hatte schon
wieder eine Email über unser Kontaktformular im Blog:
„Hallo
Familie Kremer,
hallo
Jonathan!
Wir,
der Dartclub Babylon xx, haben in der Zeitung euren Bericht gelesen. Dieser ist
uns sehr nahe gegangen und wir haben beschlossen euch ein wenig zu
unterstützen. Unser erstes Benefiz-Dartturnier möchten wir gerne Jonathan
widmen.“
Wow!!!
Ein Benefizevent!! Für Jonathan!! Und dann auch noch DARTS!! Ich LIEBE Darts!!
Ich war total aufgeregt…..ehrlich: in diesen Tagen ging mein Puls gar nicht
mehr RUNTER!!! Es kam ja wirklich eine Aufregung nach der nächsten….
Ich habe
dem Herrn geantwortet und diese Nachrichten, die wir damals ausgetauscht haben,
waren der Beginn einer Freundschaft….KANN ICH SO SAGEN MEIN LIEBER, ODER???
8o)))
In den
kommenden Wochen tauschten wir weitere Nachrichten und SMSen aus, wir
telefonierten auch oft. Irgendwann kam die Idee auf, beim Dartturnier auch eine
Tombola zu veranstalten…
Wir
besprachen so viel: wie sollten Flyer und Plakate aussehen??? Wo würden die
aufgehängt/ausgelegt werden??? (Wo war ich unterwegs und wo er und seine
Vereinskollegen: so teilten wir die Arbeit auf)....welche Unterstützung bekamen
wir bei der Werbung für das Turnier durch Online-Plattformen???... wen könnten
wir um Preise für die Tombola bitten???
…es war
ein sehr intensive Zeit- für den Dartclub mehr als für uns, keine Frage!!
Dieser Club hängte sich DERMASSEN ins Zeug!!! Für uns, für Menschen die keiner
von ihnen vor dem Zeitungsartikel jemals gesehen hatte. Diese Nächstenliebe ist
für uns bis heute UNFASSBAR…
...hört
sich theatralisch an: aber diese Geste hat mir ein bisschen den Glauben an die
Menschheit wiedergegeben! Nicht jedem dort draußen sind seine Mitmenschen
egal….WIRKLICH: nicht jedem!!!
Und
dieses Wissen, das Menschen die uns nicht kennen, helfen möchten…sich voll ins
Zeug legen für unseren Jungen…das machte diese Zeit für UNS so intensiv…schön…und
echt aufregend…ich habe mich mittlerweile so oft bei diesem Dartclub bedankt
und habe trotzdem immer wenn wir uns sehen das Gefühl das ich DANKE sagen möchte…
Bis das
Dartturnier stattfinden sollte waren es aber noch ein paar Wochen. Wer jetzt
denkt das Ruhe in unserem Leben herrschte in dieser Zeit…weit gefehlt!! 8o)))
Denn
schon stand das nächste „Benefizevent“ an!! Diesmal hatte sich der Sportverein
aus unserem Ort gemeldet. Mein Vater war hier viele Jahre als 1.Vorsitzender
tätig, man kannte uns. Und so hatte der Verein sich überlegt dass er einen Teil
der Einnahmen des bevorstehenden Pokalspiels an uns spenden würde. Und das
Spiel würde schon in wenigen Tagen stattfinden…KRASS!!
Mein Mann
und ich haben damals etwas beschlossen und das haben wir auch bis heute
eingehalten/einhalten können:
Wenn
Benefizevents für Jonathan durchgeführt werden und es die Uhrzeit sowie die
räumlichen Gegebenheiten erlauben, ist Jonathan selbst anwesend. Ist das nicht
möglich, ist zumindest einer von uns anwesend und steht für Fragen zur
Verfügung und (für uns SEHR WICHTIG!) zeigt RESPEKT für die Arbeit die man sich
für uns gemacht hat.
Also
sagten wir dem Sportverein dass wir alle anwesend sein würden. Man fragte mich
ob ich mit aufs Feld kommen würde um ein paar Worte zu sagen: zu erklären was
Jonathan für eine Krankheit hat und wofür wir das Geld benötigten.
…ich bin
nie um Worte verlegen und habe in meiner Firma auch Schulungen gehalten…aber
das konnte ich dann doch nicht! Es wurden mehr als 300 Zuschauer erwartet, ich
traute mich einfach nicht – aus Angst dass ich dort stehen und in Tränen
ausbrechen könnte.
War aber
kein Problem, ein Mitglied des Vereins sagte ein paar Worte und wies darauf hin
das wir am Spielfeldrand für alle Fragen zur Verfügung standen.
Die
meisten Menschen die bei diesem Spiel anwesend waren kannten uns ja sowieso und
viele Fragen wurden uns auch nicht gestellt. Aber es kamen einige Leute zu uns
die einfach mal sagen wollten, dass sie unsere Art mit Jonathans Gendefekt
umzugehen sehr gut fanden!! Dass sie den Schritt in die Öffentlichkeit richtig
und wichtig fanden. Und an diesem Nachmittag wurde uns zum ersten Mal bewusst
das wir durch die Zeitungsartikel Berührungsängste abgebaut hatten!!!
Natürlich
sah man uns im Ort spazieren gehen oder traf uns auf der Kirmes. Und sicherlich
hatte fast jeder mittlerweile mitbekommen das Jonathan nicht gesund war. Aber
viele hatten bis zum Erscheinen des Zeitungsartikels trotzdem nicht gewusst wie
sie mit uns umgehen sollten: konnte man uns ansprechen und uns Fragen stellen?
Oder würden wir das blöd finden?? Wollten wir dazu keine Auskunft geben?? Aber
jetzt….waren wir an die Öffentlichkeit gegangen und hatten dort offen und
ehrlich über alles geredet. Nun wusste jeder: es ist ok mit uns über Jonathan
zu sprechen! Und das erleichterte die Menschen. Von dieser Seite hatte ich das
alles noch nie betrachtet. Und ich freute mich umso mehr dass wir den richtigen
Schritt gegangen zu sein schienen und dass es einen weiteren positiven
Nebeneffekt gegeben hatte!!
Dieser
Nachmittag war wirklich überwaltigend…..
Zum einen
die grade geschilderten Reaktionen und Aussagen der Anwesenden.
Zum
anderen gab es auch noch einen Stand an dem Tshirts zu unseren Gunsten verkauft
wurden. Die beiden Damen die den Stand betreuten hatten sich ganz viel Arbeit
gemacht: Bilder und Texte aus meinem Blog ausgedruckt um den Menschen zu zeigen
wer Jonathan überhaupt war, und sie hatten eine Spendendose selber gebastelt.
Außerdem
MUSSTEN wir alle vier mit aufs Feld: für ein Mannschaftsfoto mit beiden
Mannschaften!! Mir wurde später zugetragen dass der GEGNER sich geweigert hat
das Spiel zu beginnen bevor nicht ein Foto mit uns gemacht worden sei.
Mein Mann
ist relativ früh mit Jonathan nach Hause aufgebrochen, er brauchte Medikamente
und Essen.
Ich bin
noch mit meinem Vater vor Ort geblieben, habe nach dem Spiel noch mit den Mannschaften
gesprochen und….bekam schon die ersten Spenden überreicht. Unsere Mannschaft
hatte in der Kabine die „Spendendose“ herumgehen lassen. Die gegnerische
Mannschaft überreichte einen Umschlag. Einzelpersonen kamen zu mir und drückten
mir Umschläge oder manchmal auch einfach einzelne Scheine in die Hand.
Überwältigend….das ist wirklich das Wort das diesen Tag am ehesten beschreibt….
Mein Mann
und ich bekamen an diesem Abend das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht.
Keiner…wirklich keiner!...der sowas nicht schon einmal selbst erlebt hat kann
sich vorstellen, wie es sich angefühlt hat das „fremde Menschen“ sich so für
Jonathan einsetzten und versuchten uns auf unserem nicht so einfachen Weg zu
begleiten.
Wir waren
„geflashed“….wie im Traum, denn: an diesem Tag ist eine vierstellige Summe für
uns zusammengekommen!!!
Auch auf
Jonathans Konto gingen nach Veröffentlichung der Zeitungsberichte schon die
ersten Gelder ein: Privatpersonen und ein Verein hatten uns sehr großzügig
bedacht….wir hatten das nie erwartet und waren einfach nur DANKBAR!!!
Und somit
konnte ich mich nun an den Computer setzen und eine Reittherapiestätte in
unserer Nähe suchen. DENN…unser Traum konnte nun wahr werden! Jonathan würde
beginnen zu reiten….so unfassbar schön!