Freitag, 16. Februar 2018

Ein Fernsehbericht???
Als wir unterwegs auf einen Rastplatz fuhren um Pause zu machen hatte mein Mann eine Email vom Kontaktformular des Blogs…..er schaute rein und sagte nur: „ÄÄÄÄÄÄHHHHH, FRAU…..das solltest Du UNBEDINGT sofort lesen!“, und reichte mir sein Handy. Ich habe es zweimal gelesen und dann nur: „ÄÄÄÄÄÄHHH, ist das ein SCHERZ???“ gesagt…..in der Email stand:

„Liebe Frau Braunsdorf-Kremer,
ich arbeite beim Hessischen Rundfunk und habe von Ihrer Geschichte gelesen, die mich sehr berührt hat. Wir möchten gerne mit Ihnen einen Bericht machen fürs Fernsehen.“
Natürlich waren auch die Kontaktdaten angegeben, die Dame kam aus der Redaktion MAINTOWER.

Am liebsten hätte ich SOFORT zurückgerufen!!! Aber mein Mann mahnte mich zur Geduld. Ich solle das erstmal sacken lassen und darüber nachdenken was ein Bericht im Fernsehen überhaupt für uns bedeuten würde: WOLLTEN wir das???

Einen Blog im Internet und Zeitungsartikel zu haben war die eine Sache, aber WOLLTEN wir wirklich ins FERNSEHEN??? Zwar „nur“ regionales Fernsehen, aber trotzdem Fernsehen.

Okay…mein Mann hatte ja irgendwie Recht! Erstmal drüber nachdenken. Zurückrufen könnte ich morgen ja immer noch und bis dahin könnte der Familienrat tagen und sich überlegen was wir machen wollten.
(Denn: solche Entscheidungen werden bei uns NICHT ohne Marvin getroffen. Er ist Teil dieser Familie und auch er muss hinter den Schritten in die Öffentlichkeit stehen und die Art dieser Schritte gut finden! Auch er wird mit den Auswirkungen konfrontiert: in Schule und Vereinen.)

Also redeten wir abends, wieder zu Hause, beim Abendbrot darüber. Generell fanden wir die Idee ins Fernsehen zu gehen gut: mein Blog würde mehr Aufmerksamkeit bekommen und vielleicht noch mehr Menschen helfen. Auch Jonathans Krankheit würde bekannter werden, und wer weiß: vielleicht gab es ja doch noch ein paar weitere –bisher nicht diagnostizierte- Fälle von MOPD 1 in Deutschland und wir könnten Ärzte und Eltern auf die richtige Diagnose bringen???

Aber….es gab Dinge die wir NICHT mitmachen würden. Welche, sind an dieser Stelle hier unwichtig. (Ich kann nur sagen: bis jetzt haben wir NICHTS gemacht hinter dem wir nicht alle zu 100% stehen würden – und das soll auch so bleiben!)

Am nächsten Tag telefonierte ich mit der Dame von Maintower und hörte mir an was sie zu sagen hatte: wie der Beitrag gestaltet und was gezeigt werden sollte…was einfach die „Botschaft“ des Beitrages wäre…

Was sie sagte gefiel mir grundsätzlich. Aber ich war skeptisch weil sie mir sagte dass ich nicht die Möglichkeit hätte den Beitrag schon vor der Ausstrahlung zu sehen. Ich würde ihn genau wie alle anderen Zuschauer erst im Fernsehen anschauen können….

…ich habe ein behindertes Kind. Ich möchte nicht das Jonathan im Fernsehen „blamiert“ oder in peinlichen Situationen gezeigt wird. Am wenigsten möchte ich das seine seltene Krankheit ausgeschlachtet wird nur für fette Schlagzeilen oder hohe Zuschauerzahlen….

Es gehörte also ein wenig Vertrauen in die Redakteurin dazu. Ich musste ihr vertrauen dass sie den Bericht in unserem Sinne drehen würde. Dieses Vertrauen hatte ich nach dem ersten Telefonat noch nicht…..nicht so ganz. Sie war mir sympathisch, aber ich war skeptisch.

Doch einen Drehtermin zu finden war für uns sowieso nicht so leicht. Auf der einen Seite waren unsere Termine mit den Therapien…auf der anderen Seite waren ihre Termine mit anderen Drehs und sie hatte noch mal Urlaub. Es stellte sich also heraus dass wir uns erst in 5 Wochen zum Drehen treffen könnten. Scheinbar merkte sie auch dass ich noch nicht vollkommen überzeugt von der ganzen Angelegenheit war und deswegen vereinbarten wir in den kommenden Wochen wieder zu telefonieren und weitere Details zu besprechen. Bei Fragen könne ich mich auch jederzeit bei ihr melden, sagte sie.

Nun ja…das war schon alles ziemlich aufregend!!!

Und kaum war das alles geklärt, ging es direkt aufregend weiter! Mein Mann hatte schon wieder eine Email über unser Kontaktformular im Blog:

„Hallo Familie Kremer,
hallo Jonathan!
Wir, der Dartclub Babylon xx, haben in der Zeitung euren Bericht gelesen. Dieser ist uns sehr nahe gegangen und wir haben beschlossen euch ein wenig zu unterstützen. Unser erstes Benefiz-Dartturnier möchten wir gerne Jonathan widmen.“

Wow!!! Ein Benefizevent!! Für Jonathan!! Und dann auch noch DARTS!! Ich LIEBE Darts!! Ich war total aufgeregt…..ehrlich: in diesen Tagen ging mein Puls gar nicht mehr RUNTER!!! Es kam ja wirklich eine Aufregung nach der nächsten….

Ich habe dem Herrn geantwortet und diese Nachrichten, die wir damals ausgetauscht haben, waren der Beginn einer Freundschaft….KANN ICH SO SAGEN MEIN LIEBER, ODER??? 8o)))

In den kommenden Wochen tauschten wir weitere Nachrichten und SMSen aus, wir telefonierten auch oft. Irgendwann kam die Idee auf, beim Dartturnier auch eine Tombola zu veranstalten…

Wir besprachen so viel: wie sollten Flyer und Plakate aussehen??? Wo würden die aufgehängt/ausgelegt werden??? (Wo war ich unterwegs und wo er und seine Vereinskollegen: so teilten wir die Arbeit auf)....welche Unterstützung bekamen wir bei der Werbung für das Turnier durch Online-Plattformen???... wen könnten wir um Preise für die Tombola bitten???

…es war ein sehr intensive Zeit- für den Dartclub mehr als für uns, keine Frage!! Dieser Club hängte sich DERMASSEN ins Zeug!!! Für uns, für Menschen die keiner von ihnen vor dem Zeitungsartikel jemals gesehen hatte. Diese Nächstenliebe ist für uns bis heute UNFASSBAR…

...hört sich theatralisch an: aber diese Geste hat mir ein bisschen den Glauben an die Menschheit wiedergegeben! Nicht jedem dort draußen sind seine Mitmenschen egal….WIRKLICH: nicht jedem!!!

Und dieses Wissen, das Menschen die uns nicht kennen, helfen möchten…sich voll ins Zeug legen für unseren Jungen…das machte diese Zeit für UNS so intensiv…schön…und echt aufregend…ich habe mich mittlerweile so oft bei diesem Dartclub bedankt und habe trotzdem immer wenn wir uns sehen das Gefühl das ich DANKE sagen möchte…

Bis das Dartturnier stattfinden sollte waren es aber noch ein paar Wochen. Wer jetzt denkt das Ruhe in unserem Leben herrschte in dieser Zeit…weit gefehlt!! 8o)))

Denn schon stand das nächste „Benefizevent“ an!! Diesmal hatte sich der Sportverein aus unserem Ort gemeldet. Mein Vater war hier viele Jahre als 1.Vorsitzender tätig, man kannte uns. Und so hatte der Verein sich überlegt dass er einen Teil der Einnahmen des bevorstehenden Pokalspiels an uns spenden würde. Und das Spiel würde schon in wenigen Tagen stattfinden…KRASS!!

Mein Mann und ich haben damals etwas beschlossen und das haben wir auch bis heute eingehalten/einhalten können:
Wenn Benefizevents für Jonathan durchgeführt werden und es die Uhrzeit sowie die räumlichen Gegebenheiten erlauben, ist Jonathan selbst anwesend. Ist das nicht möglich, ist zumindest einer von uns anwesend und steht für Fragen zur Verfügung und (für uns SEHR WICHTIG!) zeigt RESPEKT für die Arbeit die man sich für uns gemacht hat.

Also sagten wir dem Sportverein dass wir alle anwesend sein würden. Man fragte mich ob ich mit aufs Feld kommen würde um ein paar Worte zu sagen: zu erklären was Jonathan für eine Krankheit hat und wofür wir das Geld benötigten.

…ich bin nie um Worte verlegen und habe in meiner Firma auch Schulungen gehalten…aber das konnte ich dann doch nicht! Es wurden mehr als 300 Zuschauer erwartet, ich traute mich einfach nicht – aus Angst dass ich dort stehen und in Tränen ausbrechen könnte.

War aber kein Problem, ein Mitglied des Vereins sagte ein paar Worte und wies darauf hin das wir am Spielfeldrand für alle Fragen zur Verfügung standen.

Die meisten Menschen die bei diesem Spiel anwesend waren kannten uns ja sowieso und viele Fragen wurden uns auch nicht gestellt. Aber es kamen einige Leute zu uns die einfach mal sagen wollten, dass sie unsere Art mit Jonathans Gendefekt umzugehen sehr gut fanden!! Dass sie den Schritt in die Öffentlichkeit richtig und wichtig fanden. Und an diesem Nachmittag wurde uns zum ersten Mal bewusst das wir durch die Zeitungsartikel Berührungsängste abgebaut hatten!!!

Natürlich sah man uns im Ort spazieren gehen oder traf uns auf der Kirmes. Und sicherlich hatte fast jeder mittlerweile mitbekommen das Jonathan nicht gesund war. Aber viele hatten bis zum Erscheinen des Zeitungsartikels trotzdem nicht gewusst wie sie mit uns umgehen sollten: konnte man uns ansprechen und uns Fragen stellen? Oder würden wir das blöd finden?? Wollten wir dazu keine Auskunft geben?? Aber jetzt….waren wir an die Öffentlichkeit gegangen und hatten dort offen und ehrlich über alles geredet. Nun wusste jeder: es ist ok mit uns über Jonathan zu sprechen! Und das erleichterte die Menschen. Von dieser Seite hatte ich das alles noch nie betrachtet. Und ich freute mich umso mehr dass wir den richtigen Schritt gegangen zu sein schienen und dass es einen weiteren positiven Nebeneffekt gegeben hatte!!

Dieser Nachmittag war wirklich überwaltigend…..
Zum einen die grade geschilderten Reaktionen und Aussagen der Anwesenden.
Zum anderen gab es auch noch einen Stand an dem Tshirts zu unseren Gunsten verkauft wurden. Die beiden Damen die den Stand betreuten hatten sich ganz viel Arbeit gemacht: Bilder und Texte aus meinem Blog ausgedruckt um den Menschen zu zeigen wer Jonathan überhaupt war, und sie hatten eine Spendendose selber gebastelt.
Außerdem MUSSTEN wir alle vier mit aufs Feld: für ein Mannschaftsfoto mit beiden Mannschaften!! Mir wurde später zugetragen dass der GEGNER sich geweigert hat das Spiel zu beginnen bevor nicht ein Foto mit uns gemacht worden sei.

Mein Mann ist relativ früh mit Jonathan nach Hause aufgebrochen, er brauchte Medikamente und Essen.

Ich bin noch mit meinem Vater vor Ort geblieben, habe nach dem Spiel noch mit den Mannschaften gesprochen und….bekam schon die ersten Spenden überreicht. Unsere Mannschaft hatte in der Kabine die „Spendendose“ herumgehen lassen. Die gegnerische Mannschaft überreichte einen Umschlag. Einzelpersonen kamen zu mir und drückten mir Umschläge oder manchmal auch einfach einzelne Scheine in die Hand. Überwältigend….das ist wirklich das Wort das diesen Tag am ehesten beschreibt….

Mein Mann und ich bekamen an diesem Abend das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Keiner…wirklich keiner!...der sowas nicht schon einmal selbst erlebt hat kann sich vorstellen, wie es sich angefühlt hat das „fremde Menschen“ sich so für Jonathan einsetzten und versuchten uns auf unserem nicht so einfachen Weg zu begleiten.

Wir waren „geflashed“….wie im Traum, denn: an diesem Tag ist eine vierstellige Summe für uns zusammengekommen!!!

Auch auf Jonathans Konto gingen nach Veröffentlichung der Zeitungsberichte schon die ersten Gelder ein: Privatpersonen und ein Verein hatten uns sehr großzügig bedacht….wir hatten das nie erwartet und waren einfach nur DANKBAR!!!


Und somit konnte ich mich nun an den Computer setzen und eine Reittherapiestätte in unserer Nähe suchen. DENN…unser Traum konnte nun wahr werden! Jonathan würde beginnen zu reiten….so unfassbar schön!