Freitag, 9. März 2018


Es war nicht das erste Mal das mein Mann das Wochenende mit Jonathan allein verbringen würde: ich war bereits das ein oder andere Mal unterwegs gewesen, entweder mit Marvin – oder mit meiner Cousine.

Mit Marvin war ich in der Vergangenheit unterwegs gewesen damit auch er mal wieder im Mittelpunkt stand, damit sich (wenigstens 2 Tage lang) mal wieder alles um ihn drehte und Sachen gemacht wurden die IHM Spaß machten.

Wenn man zwei Kinder hat, wovon eins behindert ist und besonderer Aufmerksamkeit bedarf: dann muss das andere Kind öfter mal zurückstecken. Grade dann wenn der Altersunterschied so groß ist wie bei uns und das gesunde Kind schon selbstständig handeln kann.

(Ich rede hier nicht von LIEBE: natürlich LIEBEN wir beide Kinder gleich, sowohl ich – als auch mein Mann. Er ist zwar „nur“ Marvins Stiefvater, aber er liebt ihn wie seinen eigenen Sohn - liebt ihn genauso sehr wie Jonathan. Unsere Familie und Freunde können das bestätigen.)

…es geht um die Aufmerksamkeit die man schenken kann, und um die Zeit die man zur Verfügung hat… die ist bei zwei Kindern mit so unterschiedlichen Bedürfnissen NICHT gleich und NICHT gerecht verteilt.

Und jeder der sich in einer ähnlichen Situation befindet und der von sich behauptet beiden Kindern in gleicher Weise gerecht zu werden: der LÜGT.

Mein Mann und ich halten an der Stelle nichts von Augenwischerei, wir haben uns schon ein paar Monate nachdem Jonathan aus der Klinik entlassen worden war eingestanden das wir Marvin nicht mehr in der Weise gerecht werden (können) wie früher.

Und wir haben uns die Frage gestellt wie wir die Situation verbessern können.

Zum einen haben wir eine WIRKLICH tolle Familie hinter uns!!

Meinen Eltern war von Anfang an klar dass wir Unterstützung benötigen würden. Sie hatten Marvin ja schon zu der Zeit aufgefangen als Jonathan noch im Krankenhaus lag und wussten dass sich die Situation nicht komplett entspannen würde wenn der kleine Mann zu Hause war.

Also hat mein Papa begonnen mit Marvin (und oft auch einem oder mehreren seiner Freunde) Ausflüge zu unternehmen: schwimmen oder minigolfen zu gehen, solche Sachen eben. Bei seinem Opa steht Marvin sowieso VIEL MEHR im Mittelpunkt als zu Hause und hier darf er auch Sachen die er zu Hause nicht darf – also war das schon mal PERFEKT und hat ihm gefallen. 8o))

Aber Marvin braucht natürlich auch Aufmerksamkeit von meinem Mann und mir. Doch immer wenn wir gemeinsam mit Jonathan unterwegs sind gehen die Bedürfnisse des kleinen Mannes eben vor.

Deswegen unternehmen wir regelmäßig und abwechselnd auch etwas mit Marvin allein: zum Basketball, Eishockey oder Fußball gehen. In ein Spaßbad fahren und MEGA-RUTSCHEN ausprobieren. Ausstellungen oder Museen ansehen. In Freizeitparks mit Achterbahnen fahren. Die Tournee der „Ehrlich-Brothers“ besuchen. Was immer Marvin machen möchte.

Mein Mann war es also schon gewohnt mit Jonathan (auch länger) allein zu sein wenn Marvin und ich unser „Mama-Marvin-Wochenende“ verbrachten. Und er war es noch aus einem anderen Grund gewohnt. Denn….

..ab und an….breche ich auch zu einem „Mama-Wochenende“ auf: mit meiner Cousine. Nur wir beide – ohne Kinder und ohne Männer.

Städtereisen…Shopping…Konzertbesuche…egal! Hauptsache wir sind zusammen und mal „nur für uns“.

Ich brauche diese freie Zeit. Um Kraft zu tanken. Um mal wieder das Gefühl zu haben das ich „mein eigener Mensch“ bin, der eigene Entscheidungen treffen darf und NICHT abhängig ist von Uhrzeiten, Medikamentengaben oder Windeln die gewechselt werden wollen. Ich muss dann nicht an die Hausarbeit oder die Wäscheberge denken, nicht ans Kochen. Kann einfach mal Spaß haben….

Und mit meiner Cousine (die für mich eher wie eine Schwester ist) unterwegs zu sein ist immer so herrlich unkompliziert!!! Wir mögen zwar nicht immer die gleichen Dinge, aber wir gehen beide klaglos Kompromisse ein und so kommt jeder auf seine Kosten. Mit ihr fühle ich mich wohl und entspannt. Ich kann mit ihr über alles reden was mich bewegt, sie bringt mir immer Verständnis entgegen - und das ist ein unglaublich schönes Gefühl.

Mein Mann hat zum Glück überhaupt kein Problem mit der Betreuung von Jonathan - er kann und macht alles was auch ich mache: er wechselt dreckige Windeln, füttert und verabreicht Medikamente. Ins Bett bringen klappt bei meinem Mann sogar BESSER als bei mir!!! Während ich STUNDEN brauche bis Jonathan endlich schläft – schafft mein Mann das meist in wenigen Minuten.

Von daher: bin ich immer total tiefenentspannt wenn ich übers Wochenende wegfahre. Ich mache mir keine Sorgen darüber ob mein Mann klarkommt: das tut er. Sogar wenn Jonathan mal krank ist.

So, und nachdem ich nun die Hintergründe ein wenig erklärt habe können wir wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren:
unserem Wochenendtrip an den Chiemsee.

Meine Eltern und meine Geschwister würden schon Freitag früh losfahren, sie hatten alle frei und wollten die Zeit optimal nutzen.

Für uns war das unmöglich weil ich Marvin nicht aus der Schule zu Hause lassen wollte. Wir würden am Nachmittag starten und dann hoffentlich pünktlich zum Abendessen ankommen.

Aber leider stand unser Trip unter keinem guten Stern.

Schon morgens häuften sich in den Nachrichten die Staumeldungen auf unserer Fahrstrecke.

Meine Eltern schickten per Handy Updates wo sie grade waren: auch sie hatten mit Verkehrsbehinderungen durch Baustellen und Unfälle zu kämpfen.

Je näher der Feierabend an diesem Freitag rückte desto mehr häuften sich die Verkehrsbehinderungen. Ich kam ins Grübeln: hatte ich Lust stundenlang auf der Autobahn im Stau zu stehen? Wahrscheinlich mit einem genervten Marvin neben mir dem langweilig war. Klare Antwort: NEIN, HATTE ICH NICHT!

Deswegen habe ich eine Entscheidung getroffen und meine Eltern und Geschwister informiert: wir würden erst in der Nacht losfahren. Dann waren die Autobahnen frei und wir kämen mit weniger Stress voran. Vorher könnte ich noch ein wenig schlafen und dann ausgeruht starten: zum Frühstück würden wir alle zusammen sitzen. Und auf den Geburtstag meines Papas anstoßen.

Gesagt, getan. Es war zwar nicht die ganze Familie begeistert davon: die Frage ob sich der Kurzurlaub dann noch lohnt wurde gestellt. Und, ob ich dann den kommenden Tag überhaupt genießen könne wenn ich die halbe Nacht hindurch Auto gefahren wäre.

Aber…ich bin ein Dickkopf und lasse mir selten reinreden wenn ich mal eine Entscheidung getroffen habe. Deswegen habe ich mich auch hier nicht beirren lassen. Und, wie sich  herausstellte: es war die richtige Entscheidung…

Denn nachts waren die Straßen wunderbar frei, es waren fast keine Autos und kaum LKW unterwegs. Marvin machte auf dem Beifahrersitz die Augen zu und ich konnte in aller Ruhe und absolut stressfrei Gas geben.

In den frühen Morgenstunden, ungefähr eine Stunde Autofahrt lag noch vor uns, merkte ich das meine Augen etwas schwer wurden. Also fuhr ich auf einen Rastplatz und sagte Marvin dass ich mal eine halbe Stunde die Augen zumachen würde – danach würden wir weiterfahren.

Als die Sonne aufging, boten sich uns unfassbar schöne Bilder: der Himmel glutrot hinter dem Panorama der Berge. Marvin holte sein Handy raus und knipste was das Zeug hielt. Aber da wir Auto fuhren wurden die meisten Bilder nichts weil sie verwackelt waren.

Nach fast auf die Minute genau sechs Stunden kamen wir in unserer Pension an. Die Koffer blieben erstmal im Auto, wir gingen hinein und fanden den Rest der Familie im Frühstücksraum. Wir hatten es tatsächlich pünktlich geschafft, ich war ausgeruht und kein bisschen gestresst – alles gut also.

Und dann wurde erst mal auf den Geburtstag des Familienoberhauptes angestoßen, standesgemäß mit Sekt. Und ordentlich gefrühstückt. Und darüber geredet was heute auf dem Plan stand. 8o))

Entschieden wurde vom Geburtstagskind. Wir würden zuerst eine Schiffsfahrt auf die Herreninsel machen und dort würde sich ein Teil der Familie (Marvin, meine Schwester und ich) das Schloss ansehen. Danach wollten wir auf die Fraueninsel übersetzen und ein wenig spazieren gehen. Den Abschluss des Tages würde eine Seilbahnfahrt auf die Kampenwand bilden, wo wir dann auch gemeinsam etwas essen würden.

Ich war überaus begeistert von diesem Plan! (Ironisch gemeint!)
Denn ich hasse es auf einem Schiff zu fahren und Seilbahn fahren ist auch überhaupt nicht meine Welt. Aber gut. Das Geburtstagskind entschied und immerhin sollte das Wochenende ein Familienwochenende werden und da musste man auch mal Sachen machen die man nicht mochte.

Zum Glück dauerte die Schifffahrt nicht lange und der Chiemsee lag ruhig vor uns, ich habe es also überlebt.

Das Schloss war ein Traum, es ist Versailles nachgebaut und so konnte ich Marvin viele Details zeigen die man auch im Schloss des Sonnenkönigs bewundern durfte. Solche Besichtigungen sind ja VOLL UND GANZ Marvins Ding, er hatte riesigen Spaß und nervte unseren Guide mit hunderten von Fragen…LOL

Wir spazierten noch etwas über die Insel und fuhren dann zur Fraueninsel, auf der wir ebenfalls eine kleine Runde drehten. Groß ist diese Insel ja nicht, alles was man dort machen kann sind Restaurantbesuche. Fischrestaurants, um genau zu sein. Es war Mittagszeit und Marvin hatte eigentlich Hunger. Es war ein sehr anstrengender Spaziergang weil er in jedem Lokal einkehren wollte – der Rest der Familie aber lieber in luftiger Höhe auf dem Berg Mittagessen wollte.

Irgendwann sind wir dann aber zu Marvins Begeisterung zurückgefahren und mit den Autos zur Talstation der Seilbahn gefahren.

Ja….als ich die Seilbahn sah…wäre ich am liebsten wieder in die Pension gefahren. Oder nach Hause.

Lang…SEHR STEIL…SEHR KLEINE Kabinen…die auch noch wackelten….mir war schlecht.

Meine Schwester sah auch schon etwas grün im Gesicht aus. Wieso dann ausgerechnet wir zwei Schisser gemeinsam mit Marvin in eine Kabine eingestiegen sind weiß ich nicht. Auf jeden Fall war es die falsche Entscheidung Marvin mit uns fahren zu lassen. Denn er erzählte uns die ganze Fahrt über (sicherlich 10-15 Minuten) wie es wäre wenn die Stahlseile rissen und die Kabine abstürzen würde.

Ich hätte am liebsten die Tür geöffnet und ihn rausgeworfen. Ging aber nicht weil wir schon ziemlich hoch in der Luft waren.

Die Kabine ächzte und schaukelte im Wind. Es war FÜRCHTERLICH. Ich begann mit Atemtechniken und sah nicht nach UNTEN….nur gegen den Berg. Der steil war. Sehr steil. Und sehr hoch. War nicht besser als in die Tiefe zu schauen.

Aber irgendwie interessierte es mich wie der Ausblick von hier war. Schauen wollte ich trotzdem nicht. Also habe ich einfach den Fotoapparat ans Fenster gehalten und geknipst. Konnte mir die Bilder ja später anschauen wenn ich wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte. FALLS ich jemals wieder sicheren Boden unter den Füßen haben würde.

Nun ja. Wir kamen oben auf dem Berg an. Ohne Schäden. Aber mir war wirklich schlecht und ich war fix und fertig. Was mein Papa überhaupt nicht verstehen konnte.

Der Ausblick von hier oben entschädigte aber dann für einiges. Auch wenn leider etwas Nebel über den Bergspitzen lag. Es war trotzdem fantastisch. Wir haben gut gegessen und viel zusammen gelacht.

Verrückt: aber in dieser Konstellation hatten wir noch nie zusammen Urlaub gemacht! Warum eigentlich? (Das habe ich mich nach diesem Wochenende so oft gefragt.)

Runter kommen sie alle, sagt man. Wir mussten mit der Bahn wieder nach unten fahren. Aber Marvin würde nicht mehr mit in meiner Kabine sein, das stand für mich fest!! Also fuhr er mit unseren Eltern und mein Bruder dafür mit meiner Schwester und mir.

Der arme Kerl hatte es nicht leicht mit uns. Meine Schwester und ich kreischten immer wieder wie am Spieß weil es schaukelte und wir quasi mit der Kabine über die Bergkante „geschossen“ wurden. Aber er lachte nur und sagte uns immer wieder dass nichts passieren würde. Angenehm war die Fahrt trotzdem nicht, aber besser als die Fahrt nach oben auf jeden Fall. Ich hätte Marvin gleich mit meinen Eltern losschicken sollen….

Den Abend ließen wir in unserer Pension beim Essen und einigen Bier ausklingen….oder einigen Bier mehr….es war ein feuchtfröhlicher Abend um genau zu sein. Mit sehr viel Gelächter und vielen alten Geschichten. Perfekt. Für MICH war es einfach PERFEKT!