Es war
nicht das erste Mal das mein Mann das Wochenende mit Jonathan allein verbringen
würde: ich war bereits das ein oder andere Mal unterwegs gewesen, entweder mit
Marvin – oder mit meiner Cousine.
Mit
Marvin war ich in der Vergangenheit unterwegs gewesen damit auch er mal wieder
im Mittelpunkt stand, damit sich (wenigstens 2 Tage lang) mal wieder alles um
ihn drehte und Sachen gemacht wurden die IHM Spaß machten.
Wenn man
zwei Kinder hat, wovon eins behindert ist und besonderer Aufmerksamkeit bedarf:
dann muss das andere Kind öfter mal zurückstecken. Grade dann wenn der
Altersunterschied so groß ist wie bei uns und das gesunde Kind schon
selbstständig handeln kann.
(Ich rede
hier nicht von LIEBE: natürlich LIEBEN wir beide Kinder gleich, sowohl ich –
als auch mein Mann. Er ist zwar „nur“ Marvins Stiefvater, aber er liebt ihn wie
seinen eigenen Sohn - liebt ihn genauso sehr wie Jonathan. Unsere Familie und
Freunde können das bestätigen.)
…es geht
um die Aufmerksamkeit die man schenken kann, und um die Zeit die man zur
Verfügung hat… die ist bei zwei Kindern mit so unterschiedlichen Bedürfnissen
NICHT gleich und NICHT gerecht verteilt.
Und jeder
der sich in einer ähnlichen Situation befindet und der von sich behauptet
beiden Kindern in gleicher Weise gerecht zu werden: der LÜGT.
Mein Mann
und ich halten an der Stelle nichts von Augenwischerei, wir haben uns schon ein
paar Monate nachdem Jonathan aus der Klinik entlassen worden war eingestanden
das wir Marvin nicht mehr in der Weise gerecht werden (können) wie früher.
Und wir
haben uns die Frage gestellt wie wir die Situation verbessern können.
Zum einen
haben wir eine WIRKLICH tolle Familie hinter uns!!
Meinen
Eltern war von Anfang an klar dass wir Unterstützung benötigen würden. Sie
hatten Marvin ja schon zu der Zeit aufgefangen als Jonathan noch im Krankenhaus
lag und wussten dass sich die Situation nicht komplett entspannen würde wenn
der kleine Mann zu Hause war.
Also hat
mein Papa begonnen mit Marvin (und oft auch einem oder mehreren seiner Freunde)
Ausflüge zu unternehmen: schwimmen oder minigolfen zu gehen, solche Sachen
eben. Bei seinem Opa steht Marvin sowieso VIEL MEHR im Mittelpunkt als zu Hause
und hier darf er auch Sachen die er zu Hause nicht darf – also war das schon
mal PERFEKT und hat ihm gefallen. 8o))
Aber
Marvin braucht natürlich auch Aufmerksamkeit von meinem Mann und mir. Doch immer
wenn wir gemeinsam mit Jonathan unterwegs sind gehen die Bedürfnisse des
kleinen Mannes eben vor.
Deswegen
unternehmen wir regelmäßig und abwechselnd auch etwas mit Marvin allein: zum
Basketball, Eishockey oder Fußball gehen. In ein Spaßbad fahren und
MEGA-RUTSCHEN ausprobieren. Ausstellungen oder Museen ansehen. In Freizeitparks
mit Achterbahnen fahren. Die Tournee der „Ehrlich-Brothers“ besuchen. Was immer
Marvin machen möchte.
Mein Mann
war es also schon gewohnt mit Jonathan (auch länger) allein zu sein wenn Marvin
und ich unser „Mama-Marvin-Wochenende“ verbrachten. Und er war es noch aus
einem anderen Grund gewohnt. Denn….
..ab und
an….breche ich auch zu einem „Mama-Wochenende“ auf: mit meiner Cousine. Nur wir
beide – ohne Kinder und ohne Männer.
Städtereisen…Shopping…Konzertbesuche…egal!
Hauptsache wir sind zusammen und mal „nur für uns“.
Ich
brauche diese freie Zeit. Um Kraft zu tanken. Um mal wieder das Gefühl zu haben
das ich „mein eigener Mensch“ bin, der eigene Entscheidungen treffen darf und
NICHT abhängig ist von Uhrzeiten, Medikamentengaben oder Windeln die gewechselt
werden wollen. Ich muss dann nicht an die Hausarbeit oder die Wäscheberge
denken, nicht ans Kochen. Kann einfach mal Spaß haben….
Und mit
meiner Cousine (die für mich eher wie eine Schwester ist) unterwegs zu sein ist
immer so herrlich unkompliziert!!! Wir mögen zwar nicht immer die gleichen
Dinge, aber wir gehen beide klaglos Kompromisse ein und so kommt jeder auf
seine Kosten. Mit ihr fühle ich mich wohl und entspannt. Ich kann mit ihr über
alles reden was mich bewegt, sie bringt mir immer Verständnis entgegen - und
das ist ein unglaublich schönes Gefühl.
Mein Mann
hat zum Glück überhaupt kein Problem mit der Betreuung von Jonathan - er kann
und macht alles was auch ich mache: er wechselt dreckige Windeln, füttert und
verabreicht Medikamente. Ins Bett bringen klappt bei meinem Mann sogar BESSER
als bei mir!!! Während ich STUNDEN brauche bis Jonathan endlich schläft –
schafft mein Mann das meist in wenigen Minuten.
Von
daher: bin ich immer total tiefenentspannt wenn ich übers Wochenende wegfahre.
Ich mache mir keine Sorgen darüber ob mein Mann klarkommt: das tut er. Sogar
wenn Jonathan mal krank ist.
So, und
nachdem ich nun die Hintergründe ein wenig erklärt habe können wir wieder zum
eigentlichen Thema zurückkehren:
unserem
Wochenendtrip an den Chiemsee.
Meine Eltern
und meine Geschwister würden schon Freitag früh losfahren, sie hatten alle frei
und wollten die Zeit optimal nutzen.
Für uns
war das unmöglich weil ich Marvin nicht aus der Schule zu Hause lassen wollte.
Wir würden am Nachmittag starten und dann hoffentlich pünktlich zum Abendessen
ankommen.
Aber
leider stand unser Trip unter keinem guten Stern.
Schon
morgens häuften sich in den Nachrichten die Staumeldungen auf unserer
Fahrstrecke.
Meine
Eltern schickten per Handy Updates wo sie grade waren: auch sie hatten mit
Verkehrsbehinderungen durch Baustellen und Unfälle zu kämpfen.
Je näher
der Feierabend an diesem Freitag rückte desto mehr häuften sich die
Verkehrsbehinderungen. Ich kam ins Grübeln: hatte ich Lust stundenlang auf der
Autobahn im Stau zu stehen? Wahrscheinlich mit einem genervten Marvin neben mir
dem langweilig war. Klare Antwort: NEIN, HATTE ICH NICHT!
Deswegen
habe ich eine Entscheidung getroffen und meine Eltern und Geschwister
informiert: wir würden erst in der Nacht losfahren. Dann waren die Autobahnen
frei und wir kämen mit weniger Stress voran. Vorher könnte ich noch ein wenig
schlafen und dann ausgeruht starten: zum Frühstück würden wir alle zusammen
sitzen. Und auf den Geburtstag meines Papas anstoßen.
Gesagt,
getan. Es war zwar nicht die ganze Familie begeistert davon: die Frage ob sich
der Kurzurlaub dann noch lohnt wurde gestellt. Und, ob ich dann den kommenden
Tag überhaupt genießen könne wenn ich die halbe Nacht hindurch Auto gefahren
wäre.
Aber…ich
bin ein Dickkopf und lasse mir selten reinreden wenn ich mal eine Entscheidung
getroffen habe. Deswegen habe ich mich auch hier nicht beirren lassen. Und, wie
sich herausstellte: es war die richtige
Entscheidung…
Denn
nachts waren die Straßen wunderbar frei, es waren fast keine Autos und kaum LKW
unterwegs. Marvin machte auf dem Beifahrersitz die Augen zu und ich konnte in
aller Ruhe und absolut stressfrei Gas geben.
In den
frühen Morgenstunden, ungefähr eine Stunde Autofahrt lag noch vor uns, merkte
ich das meine Augen etwas schwer wurden. Also fuhr ich auf einen Rastplatz und
sagte Marvin dass ich mal eine halbe Stunde die Augen zumachen würde – danach
würden wir weiterfahren.
Als die
Sonne aufging, boten sich uns unfassbar schöne Bilder: der Himmel glutrot
hinter dem Panorama der Berge. Marvin holte sein Handy raus und knipste was das
Zeug hielt. Aber da wir Auto fuhren wurden die meisten Bilder nichts weil sie
verwackelt waren.
Nach fast
auf die Minute genau sechs Stunden kamen wir in unserer Pension an. Die Koffer
blieben erstmal im Auto, wir gingen hinein und fanden den Rest der Familie im
Frühstücksraum. Wir hatten es tatsächlich pünktlich geschafft, ich war
ausgeruht und kein bisschen gestresst – alles gut also.
Und dann
wurde erst mal auf den Geburtstag des Familienoberhauptes angestoßen,
standesgemäß mit Sekt. Und ordentlich gefrühstückt. Und darüber geredet was
heute auf dem Plan stand. 8o))
Entschieden
wurde vom Geburtstagskind. Wir würden zuerst eine Schiffsfahrt auf die Herreninsel
machen und dort würde sich ein Teil der Familie (Marvin, meine Schwester und
ich) das Schloss ansehen. Danach wollten wir auf die Fraueninsel übersetzen und
ein wenig spazieren gehen. Den Abschluss des Tages würde eine Seilbahnfahrt auf
die Kampenwand bilden, wo wir dann auch gemeinsam etwas essen würden.
Ich war
überaus begeistert von diesem Plan! (Ironisch gemeint!)
Denn ich
hasse es auf einem Schiff zu fahren und Seilbahn fahren ist auch überhaupt
nicht meine Welt. Aber gut. Das Geburtstagskind entschied und immerhin sollte
das Wochenende ein Familienwochenende werden und da musste man auch mal Sachen
machen die man nicht mochte.
Zum Glück
dauerte die Schifffahrt nicht lange und der Chiemsee lag ruhig vor uns, ich
habe es also überlebt.
Das Schloss
war ein Traum, es ist Versailles nachgebaut und so konnte ich Marvin viele
Details zeigen die man auch im Schloss des Sonnenkönigs bewundern durfte.
Solche Besichtigungen sind ja VOLL UND GANZ Marvins Ding, er hatte riesigen
Spaß und nervte unseren Guide mit hunderten von Fragen…LOL
Wir
spazierten noch etwas über die Insel und fuhren dann zur Fraueninsel, auf der
wir ebenfalls eine kleine Runde drehten. Groß ist diese Insel ja nicht, alles
was man dort machen kann sind Restaurantbesuche. Fischrestaurants, um genau zu
sein. Es war Mittagszeit und Marvin hatte eigentlich Hunger. Es war ein sehr
anstrengender Spaziergang weil er in jedem Lokal einkehren wollte – der Rest
der Familie aber lieber in luftiger Höhe auf dem Berg Mittagessen wollte.
Irgendwann
sind wir dann aber zu Marvins Begeisterung zurückgefahren und mit den Autos zur
Talstation der Seilbahn gefahren.
Ja….als
ich die Seilbahn sah…wäre ich am liebsten wieder in die Pension gefahren. Oder
nach Hause.
Lang…SEHR
STEIL…SEHR KLEINE Kabinen…die auch noch wackelten….mir war schlecht.
Meine
Schwester sah auch schon etwas grün im Gesicht aus. Wieso dann ausgerechnet wir
zwei Schisser gemeinsam mit Marvin in eine Kabine eingestiegen sind weiß ich
nicht. Auf jeden Fall war es die falsche Entscheidung Marvin mit uns fahren zu
lassen. Denn er erzählte uns die ganze Fahrt über (sicherlich 10-15 Minuten)
wie es wäre wenn die Stahlseile rissen und die Kabine abstürzen würde.
Ich hätte
am liebsten die Tür geöffnet und ihn rausgeworfen. Ging aber nicht weil wir
schon ziemlich hoch in der Luft waren.
Die
Kabine ächzte und schaukelte im Wind. Es war FÜRCHTERLICH. Ich begann mit
Atemtechniken und sah nicht nach UNTEN….nur gegen den Berg. Der steil war. Sehr
steil. Und sehr hoch. War nicht besser als in die Tiefe zu schauen.
Aber
irgendwie interessierte es mich wie der Ausblick von hier war. Schauen wollte
ich trotzdem nicht. Also habe ich einfach den Fotoapparat ans Fenster gehalten
und geknipst. Konnte mir die Bilder ja später anschauen wenn ich wieder
sicheren Boden unter den Füßen hatte. FALLS ich jemals wieder sicheren Boden
unter den Füßen haben würde.
Nun ja.
Wir kamen oben auf dem Berg an. Ohne Schäden. Aber mir war wirklich schlecht
und ich war fix und fertig. Was mein Papa überhaupt nicht verstehen konnte.
Der
Ausblick von hier oben entschädigte aber dann für einiges. Auch wenn leider
etwas Nebel über den Bergspitzen lag. Es war trotzdem fantastisch. Wir haben
gut gegessen und viel zusammen gelacht.
Verrückt:
aber in dieser Konstellation hatten wir noch nie zusammen Urlaub gemacht! Warum
eigentlich? (Das habe ich mich nach diesem Wochenende so oft gefragt.)
Runter
kommen sie alle, sagt man. Wir mussten mit der Bahn wieder nach unten fahren.
Aber Marvin würde nicht mehr mit in meiner Kabine sein, das stand für mich
fest!! Also fuhr er mit unseren Eltern und mein Bruder dafür mit meiner
Schwester und mir.
Der arme
Kerl hatte es nicht leicht mit uns. Meine Schwester und ich kreischten immer
wieder wie am Spieß weil es schaukelte und wir quasi mit der Kabine über die
Bergkante „geschossen“ wurden. Aber er lachte nur und sagte uns immer wieder
dass nichts passieren würde. Angenehm war die Fahrt trotzdem nicht, aber besser
als die Fahrt nach oben auf jeden Fall. Ich hätte Marvin gleich mit meinen
Eltern losschicken sollen….
Den Abend
ließen wir in unserer Pension beim Essen und einigen Bier ausklingen….oder
einigen Bier mehr….es war ein feuchtfröhlicher Abend um genau zu sein. Mit sehr
viel Gelächter und vielen alten Geschichten. Perfekt. Für MICH war es einfach
PERFEKT!