Wir waren alle so froh und glücklich, auch Marvin
hat sich natürlich tierisch gefreut: nach 5 langen Monaten durfte er das erste
Mal überhaupt seinen kleinen Bruder in den Arm nehmen.
Man hat aber auch im Hinterkopf das man nun komplett
verantwortlich ist. Die Medikamente und auch sonst alles muss man selbst
machen. Und was ist wenn ich die falschen Medikamente zur falschen Zeit gebe???
Es gibt so viele Gedanken die man hat
und muss jetzt anfangen sich um alles zu kümmern.
Die ersten Tage musste ich noch arbeiten, aber das
war nicht ganz so schlimm. Jonathan hat auch viel geschlafen und es kamen einige
Freunde zu Besuch. Wobei wir hier schon sehr vorsichtig waren und versuchten
den kleinen Mann nicht zu überfordern. Schließlich kannte er das alles nicht
und so ein kleiner Mensch muss das erstmal verstehen.
Wir haben uns in den ersten Wochen um die ersten
Termine gekümmert: also ein Kinderarzt, Physiotherapie etc. mussten schon mal
her. Beim Kinderarzt haben wir erstmal keine gute Erfahrung gemacht und uns
dann nach einem Termin entschlossen den Arzt zu wechseln. Denn es ist für uns
sehr wichtig, dass wir -gerade bei Jonathan- unserem Kinderarzt blind vertrauen können. Und bei
dem den wir jetzt haben: können wir das auch.
Wie ich schon Anfangs erzählt habe, möchte ich
natürlich nicht alle Ereignisse oder die Ärzte nochmal beschreiben, aber die
wichtigen oder kritischen Momente sind natürlich sehr prägend für mich gewesen.
Die ersten Wochen kamen uns vor als ob wir keine
Zeit mehr haben für irgendwas. Es gab so viele neue Leute und so viele Termine
die erstmal koordiniert werden mussten. Ich war sehr froh zu Hause zu sein, da
man dann doch in der ersten Zeit bei allen Initialgesprächen dabei ist - und
das war für uns sehr wichtig.
Bei der Entlassung aus der Klinik wurden auch schon Folgetermine
für uns vereinbart und so kam es, das wir ausgerechnet an MEINEM GEBURTSTAG
einen Marathon unternehmen mussten: Kardiologe, Kinderklinik wegen Blutentnahme
und Gespräch mit der Humangenetikerin.
Eigentlich wollten wir noch den Ur-Opa besuchen der
am gleichen Tag Geburtstag hat, aber dazu kam es nicht mehr weil Jonathan
dieser „Ritt“ schon zu anstrengend war. Er hat abends zu Hause für fast zwei
Stunden geweint und war einfach nicht zu beruhigen.
An diesem Tag wurde uns klar: immer nur einen Termin
pro Tag und in den ersten Monaten nicht noch große Touren am Nachmittag.
Wir haben uns gut eingerichtet zu Hause, die
Magensonde haben wir eigenmächtig gezogen. Jonathan trank immer seine nötige Menge
an Milch. Wir führten Buch über die Medikamente - damit wir nicht durcheinander
kamen. Das Blutdruckgerät mussten wir nur 3mal am Tag nutzen und er musste
nicht über Nacht angeschlossen werden. Es war sehr gut die ersten Monate zu
Hause zu sein und so lockerer in den Alltag zu finden.
Meine Freunde haben mich schon von Anfang an voll
unterstützt und ich weiß, dass ich mich immer auf sie verlassen kann - auch
wenn wir nicht immer über alles reden. Es ist schwierig jemandem zu erklären
wie die Situation zu Hause ist oder welche Gedanken man verfolgt. In
schwierigen Situationen gibt es meist verschiedene Leute die man fragen kann und
das macht man dann, auch wenn es nicht zwangsweise immer der beste Kumpel ist.
Es ist aber schon Klasse wie meine Freunde darauf reagierten, das ich jetzt
nicht mehr so häufig kommen kann oder das ich, bevor ich ausgehe, erst das Kind
ins Bett bringen muss….da es sich am Liebsten nur vom Papa ins Bett bringen
lässt. All diese Situationen sind an der Tagesordnung und es ist umso schöner,
wenn man auch nur mal ein paar Stunden mit seinen Freunden abhängen kann und dann
auch ggf. mal nicht über Probleme und Sorgen redet.
JUNGS VOM KICKERCLUB – IHR SEID DIE BESTEN.
Ich muss auch sagen, dass natürlich ebenfalls die Omas
und Opas mit der Situation klar kommen müssen und man sich auch hier immer wieder
Gedanken macht. Es ist leider nicht so einfach wie mit einem gesunden Kind,
sobald einer krank ist….gibt es keine Besuchszeit. Die Besuche bei unseren Eltern
sind sehr aufwendig weil wir so viel mitschleppen müssen, also werden die auch
gerne mal vermieden. Außerdem will man aufgrund der vielen Termine unter der Woche
dem Baby am Wochenende auch gerne mal Ruhe gönnen und es mal nicht durch die
Gegend zerren. Ich bin sehr froh, dass unsere Eltern das verstehen und JA, es
ist manchmal gut, wenn sich Oma/Opa BEI UNS melden und fragen wann man sich
treffen kann….weil wir das aufgrund der ganzen Termine schlichtweg manchmal
vergessen.
Zurück zum Thema.
Die Zeit verging und ich musste dann doch wieder
arbeiten. Naja, Nikolaus, Weihnachten, Silvester und andere Momente mit der
Familie waren sehr schön und wir haben soweit alles richtig gemacht denn Jonathan
hatte keine Infekte. Bis kurz vor der Taufe, da hatte er einen kleinen Schnupfen,
aber den haben wir mit Hilfe vom Kinderarzt schnell in den Griff bekommen.
Auch mein erstes Wochenende alleine mit ihm, als
Marvin und Simone zum Bayern-München-Spiel fuhren, verlief ohne Probleme.
Aber dann kamen Probleme…
Wir hatten schon einige Impfungen machen lassen, die
ja eigentlich Pflicht sind, also sahen wir keinen Grund zu irgendwelchen
Bedenken.
Dann bekam Jonathan aber nach einer Impfung extremen
Ausschlag und da macht man sich dann doch ein paar Gedanken. Das Schlimmste bei
dem Ausschlag war erstmal das es kurz vor seinem Geburtstag war, ich dachte
nur: „Hoffentlich ist das bis dahin wieder gut.“ Leider kam
es aber noch schlimmer und am nächsten Tag (später Nachmittag) saß ich
mit ihm auf der Couch und spielte. Er war glücklich und hat gelacht. Auf einmal
war er wie erstarrt. Es war seltsam, er gab keinen Laut von sich und sein eines
Bein war extrem angespannt. Ich habe gerufen: „Frau, ich glaube er hat einen
Krampf!“. Sie kam angelaufen und dachte zuerst an einen Wadenkrampf und nahm
ihn mir aus dem Arm. Schaute ihm ins Gesicht und sagte zu mir: „Er hat einen
Krampfanfall. Leg ihn in die stabile Seitenlage, ich rufe den Notarzt an!“
Also habe ich mich mit ihm auf den Boden gelegt,
stabile Seitenlage und meine Frau rief den Notarzt an. Ich war eigentlich ganz
ruhig und habe versucht ihn mit bekannten Liedern und beruhigenden Worten aus
dem Krampf zu bekommen….so ganz weiß ich nicht mehr was meine Frau in dieser
Zeit gemacht hat….aber ich glaube sie war extrem aufgewühlt.
Der Notarzt kam und hat mich gebeten so weiter zu
machen. Ich habe nur gehofft dass jetzt bald was geschieht und Jonathan ruhiger
wird. In diesen Momenten macht man sich viele Gedanken und gerade bei Jonathan
sind diese noch schlimmer.
Später im Krankenhaus bin ich die ganze Nacht bei
ihm geblieben, aber ich hatte keinen ruhigen Schlaf. Jonathan war die ganze
Nacht über ruhig, daran hat es nicht gelegen, sondern viel mehr an der ganzen
Situation….“Wie wird es weiter gehen? Hat er irgendwelche Hirnschädigungen?
Wird er wieder so sein wie früher? Werden weitere Anfälle kommen?“
Am nächsten Morgen gingen die Anfälle leider wieder
los und ich habe sofort meiner Frau Bescheid gesagt. Jonathan wurde von der
normalen Station auf die Intensivstation verlegt und es musste sogar der
Chefarzt kommen. Es dauerte lange bis die Ärzte ihn stabilisieren konnten.
Währenddessen hab ich mit meiner Frau im Warteraum gesessen und auch schon über
die Frage gesprochen „Wie weit wollen wir gehen?“
Ich kann es gar nicht wirklich beschreiben und das
mag auch alles teilweise sehr hart oder kühl rüber kommen….Es ist aber nun mal
so, dass man sich mit dem Thema „Tod“ generell beschäftigen muss. Diese Gedanken
muss man sich erstmal nicht bei einem gesunden Kind machen. Auch hier bin ich
froh wie offen ich mit meiner Frau darüber reden kann und wie wir uns
gegenseitig die Kraft geben damit umzugehen.
Das Ende der Geschichte kennen ja bestimmt schon
einige und wenn nicht….lest es nochmal nach ;-) KURZER HINWEIS: Es ging dann
weiter mit Jonathans erstem Geburtstag.
Es gibt in unserem Leben und in den vergangen 3
Jahren viele, viele schöne Momente und Fortschritte die Jonathan gemacht hat.
Die Entscheidung, mit unserem Leben in die Öffentlichkeit zu gehen und euch
allen davon zu berichten war (glaube ich) richtig. Ich bin immer noch davon
überzeugt dass gerade die medizinischen Informationen oder aber auch die
Erfahrung in bestimmten Situationen einigen Leuten helfen können. Wir wären dankbar
über ähnliche Infos gewesen und sind es sogar….haben wir doch durch einen
ähnlichen Blog ein sehr wichtiges Medikament für Jonathan gefunden.
Als Vater möchte man immer dass die Kinder etwas Besseres
werden und sie sollen es gut haben, es soll ihnen an nichts fehlen. Mit einem
behinderten Kind ist es teilweise schwer zu sagen, was ist denn jetzt für ihn
das Beste. Er wird definitiv nicht wie Marvin irgendwann auf eigenen Beinen
stehen und sein Leben alleine weiter führen. Wir versuchen hierbei unseren
Intuitionen zu folgen und meistens passt es dann auch für uns.
Ihr habt hier im Blog schon sehr viele Geschichten
gehört und ja: es stimmt, in den kritischen Momenten haben wir alle sehr große Angst.
In den guten Zeiten, wenn es keine Infekte oder irgendwelche Krankheiten gibt,
sind wir stolz darauf welche Fortschritte Jonathan macht. Es ist sehr wichtig
für die Entwicklung eines Kindes das es weitestgehend gesund ist. Sobald es
einige Tage, geschweige denn sogar Wochen, sich nicht auf neue Dinge
konzentrieren kann….werden sich sein Gehirn und seine Muskeln zurück bilden.
Bei einem 3jährigen Kind ist diese Zeit im Vergleich zu einem Erwachsen viel
kürzer. Deswegen bin ich sehr froh dass Jonathan so gut wie nie krank ist, und
wenn er mal krank ist dann ist es nicht „schlimm“.
MOPD Typ 1 ist ein vererbbarer Gendefekt. Meine Frau
und ich tragen ihn beide in uns. Somit besteht die Gefahr dass jedes weitere
unserer Kinder diesen Gendefekt auch haben könnte. Aus diesem Grund haben wir
uns auch über zukünftige Verhütungsmethoden unterhalten.
Wenn man sich die Möglichkeiten in der heutigen Zeit
für Mann und Frau anschaut, sind die meisten Methoden bei der Frau doch etwas
gefährlicher, bzw. sind mit Nebenwirkungen verbunden. Für den Mann gibt es
eigentlich nur Kondome oder…Sterilisation. Als meine Frau dieses Thema auf den
Tisch packte war ich erstmal gegen eine Sterilisation, habe aber versprochen
mich damit auseinanderzusetzen und mich in das Thema einzulesen.
Nachdem ich alle Fakten geprüft hatte, habe ich die
Entscheidung getroffen mich sterilisieren zu lassen. Denn es ist dann „nicht alles
vorbei“ und der Eingriff kann ambulant erfolgen. Man braucht keine Vollnarkose
und es tut im Normalfall auch nicht wirklich weh. Wenn man ausreichend kühlt
und sich an die Anweisungen vom Arzt hält ist man spätestens am nächsten wieder
locker auf den Beinen. (Viele aber auch schon nach ein paar Stunden). Der
Eingriff selbst ändert NICHTS, man kann ALLES genauso wie vorher machen (wenn
Sie verstehen was ich meine). Generell könnte man den Eingriff auch wieder
rückgängig machen, aber hier kann keiner versprechen dass die Zeugungsfähigkeit
wieder hergestellt werden kann.
Ich finde, in der heutigen Zeit und in unserer modernen
und aufgeklärten Gesellschaft, sollten wir offener für diese Themen sein. Es
sollte MANN nicht peinlich sein sich damit zu beschäftigen, es ist einfach eine
weitere Methode der Verhütung.
Ich bereue meine Entscheidung nicht, im Gegenteil
sind wir froh, so keine ungewollte Schwangerschaft zu riskieren.
Ich muss sagen im Moment bin ich auch soweit ganz
glücklich darüber wie es Jonathan geht. Ok, unsere Nächte sind immer noch sehr
kurz und wir müssen ihn immer wieder in unser Bett holen. Ich denke aber, so lange
er weiterhin so gute Fortschritte macht, werden wir als Eltern auch mal kürzere
Nächte überleben. Da diese Nächte nicht immer nur für mich schwierig sind und
auch meine Frau damit zu kämpfen hat, gerade weil sie sonst so einen
durchgetakteten Tag hat, ist es auch wichtig ab und zu jedem von uns eine
Auszeit zu gönnen.
Einfach mal nicht auf Jonathan in der Nacht
aufpassen, sondern selbst mit Freunden unterwegs zu sein und/oder sich einfach
mal um sich selbst kümmern.
Wenn wir diese Auszeiten nicht nehmen könnten,
glaube ich, würde es nicht so laufen. Sobald jemand merkt es geht gar nicht
mehr, dann soll er das lieber direkt sagen und man versucht dann eine
Entlastung zu geben....diese Gespräche und auch viele mehr sind sehr wichtig.
Nicht nur bei uns - sondern auch bei
jeder anderen Familie.