..und wieder ein Drehtermin…
Der Frühling brachte hervorragendes Wetter, wir
unternahmen einiges: besuchten ein Ritterfest…hatten unseren halbjährlichen
Fototermin….gingen mit Jonathan zur U7a….spielten viel im Garten…
(Jonathan hatte entdeckt wie man rutscht und einen
HEIDENSPASS dabei!)
Und dann hatten wir schon wieder einen Drehtermin
mit unserer Redakteurin vom Hessischen Rundfunk.
Diesmal wollten wir Jonathans
Familien-Geburtstagsfeier drehen. (Einen Kindergeburtstag gab es bei uns noch
nicht, klar: Jonathan hatte bisher ja auch keine Freunde mit denen er feiern
konnte!)
Die Feier würde bei meinen Schwiegereltern
stattfinden. Außer ihnen würden meine Schwägerin, Jonathans Patenonkel und ein
Freund von mir (derjenige der das Benefizkonzert für uns gegeben hatte) anwesend
sein.
Wie es sich für eine Geburtstagsfeier gehört hatten
wir eine Torte…eine echt UMWERFENDE Torte!! Die Tante meines Mannes ist
Konditormeisterin und sie hatte eine Torte gezaubert mit „TutTut-Babyflitzern“,
den Autos die bis heute Jonathans liebstes Spielzeug sind.
Außerdem gab es mit Helium gefüllte Ballons die um
den Tisch herum verteilt waren, eine Girlande an der Decke und, klar!,
Geschenke. 8o))
Wir…also mehr ICH…hatte ja nun schon einige
Drehtermine hinter mir. Trotzdem war ich an diesem Tag SEHR aufgeregt. Keine
Ahnung woran genau es lag, aber mein Magen drehte sich dauernd um und mir war
ziemlich warm.
Als der Dreh begann war ich sehr verkrampft…wir
sollten an der Haustür klingeln und dann ins Wohnzimmer kommen wo alle anderen
Gäste schon warteten. Das war eine merkwürdige Situation, wir sollten alle
begrüßen – hatten wir ja aber eigentlich schon gemacht…..
Trotzdem war es wichtig die Aufnahmen genauso zu
drehen damit der Zuschauer der Reportage später nicht einfach in ein „fertiges“
Geschehen hineingeschmissen wird, sondern alles chronologisch und
nachvollziehbar gezeigt bekommt.
Nachdem die (etwas krampfige) Begrüßung aller Gäste
und meiner Schwiegereltern beendet war, setzten wir uns an den Tisch und
schnitten den Kuchen an. Sangen Jonathan ein Geburtstagslied – ich hoffe nicht
das die Hälfte der Zuschauer abschaltet wenn diese Stelle im Fernsehen gezeigt
wird (Augen zuhalt)…..und unterhielten uns. Spätestens ab jetzt waren wir
unverkrampft und so wie immer.
Bis zu dem Moment als…..Jonathan am Kaffeetisch
sein Essen erbrach. Vor laufender Kamera. Wie PEINLICH!
Jonathan kann noch nicht richtig kauen und ich
hatte ihm in einem Anfall von …ach, keine Ahnung was mich da geritten
hatte!....ein Stück Kuchen gegeben - an dem er sich prompt verschluckte.
Ich wurde total hektisch. Die Gäste saßen am Tisch
und aßen, ist ja dann voll widerlich wenn ein Kind sich daneben übergibt…also
habe ich meinen Mann angeschrien das ich ein feuchtes Tuch brauche…und dabei
KOMPLETT vergessen das die Kamera lief und auf uns gerichtet war…o man: konnte
es noch schlimmer werden??
Im Interview ein paar Minuten später sagte die
Redakteurin dann auch direkt: „Na, Dein Mann muss aber manchmal ganz schön
spuren…“ ….es ging also noch schlimmer. OBERPEINLICH…..
Aber gut. Wir hatten uns für die Reportage
entschieden und sie sollte unser Leben zeigen…und mitunter….herrscht ein etwas
rauer Ton zwischen meinem Mann und mir – manchmal muss es einfach SCHNELL gehen
und/oder man steht unter Stress: dann spricht man im Befehlston, wie auf dem
Kasernenhof. Wichtig dabei ist nur zu betonen dass mein Mann und ich wissen wie
es gemeint ist…und uns nicht böse sind. Wir reden 5 Minuten später wieder
miteinander als sei nichts passiert!! Lach…trotzdem habe ich ein wenig Angst
davor das diese Szene in der Reportage gezeigt wird und ich danach einen
Shitstorm ernte nach dem Motto: „Der arme Mann!“
Okay, so viel dazu. Dann schneide ich jetzt aber
lieber ein anderes Thema an:
Die Interviews mit den Gästen…
…haben mich sehr berührt!!! Die Redakteurin hat
immer nur ein Ansteckmikrofon dabei. Sie dreht allein, muss Ton UND Bild machen
– da kann sie nicht noch zwischen verschiedenen Tonkanälen hin und her
wechseln. Verständlich.
Das Ansteckmikrofon habe ich getragen, und damit
die Tonqualität der Aufnahmen besser wird: musste ich mich immer in der Nähe
der Kamera aufhalten (die auch noch ein Mikrofon hat, also doppelter Ton zur
Sicherheit quasi).
Ich war bei allen Interviews dabei: bei denen mit
meinen Schwiegereltern und meiner Schwägerin, dem mit Jonathans Patenonkel und
dem mit meinem Kumpel.
Alle wurden gefragt wie sie finden dass mein Mann
und ich mit der Situation umgehen. Bei den meisten Antworten hatte ich einen
Kloß im Hals: zu hören wie unsere Freunde und unsere Familie UNS sehen und
beurteilen was wir tun…war schon ergreifend.
Tränen sind bei mir gelaufen als meine
Schwiegermutter interviewt wurde. Sie wurde gefragt wie es für sie ist einen
„behinderten“ Enkel zu haben und wie sie damit klarkam als sie es erfahren hat.
Sie sagte….das ihr das vollkommen egal war weil sie ihn vom ersten Tag an
geliebt hat – Jonathan ist IHR Enkel und das er krank ist, hatte für sie keine
Bedeutung. Er wird genauso geliebt wie ihr anderer Enkelsohn.
Und das stimmt!! Ich muss es mal erwähnen….meine
Schwiegereltern freuen sich mit uns über jeden noch so kleinen Fortschritt, sie
fragen ständig nach Bildern und Videos die wir per Whatsapp schicken
sollen…..wenn es nach ihnen ginge würden wir uns vermutlich auch jeden Tag sehen.
8o))) Sie LIEBEN Jonathan!!! Und sie stehen VOLLKOMMEN hinter uns.
Das weiß ich schon lange. Aber in diesem Interview
ist es mir einfach noch einmal KNALLHART vor Augen geführt worden wie sehr
meine Schwiegereltern ihr Herz für unseren kleinen Mann geöffnet haben. Das hat
mich einfach zu Tränen gerührt. Und ich MUSSTE meine Schwiegermutter direkt mal
in den Arm nehmen und drücken….dass die Kamera noch an und auf sie gerichtet
war – war mir in dem Moment egal. Sie hat so wunderschöne Worte gefunden um
ihre Liebe zu Jonathan zu beschreiben…..ich bin froh dass ich eine so tolle
Schwiegermutter habe!!!
Auch mein Schwiegervater fand wundervolle Worte!!
Mit einem Schmunzeln hat er vor laufender Kamera verkündet das er EIGENTLICH
immer den Plan hatte das nach IHM und MEINEM MANN auch sein Enkel in ferner
Zukunft einmal Programmierer werden würde..gut, das würde wahrscheinlich nicht
möglich sein und ihn ein wenig traurig machen. Aber nichtsdestotrotz sei er
sehr froh einen so süßen Enkel zu haben und er würde ALLES TUN um ihn auf
seinem Lebensweg zu unterstützen.
Und im Übrigen habe ER ja nie an die schlechten
Prognosen der Ärzte geglaubt, er habe schon immer gewusst das für Jonathan viel
mehr möglich sei als man glaubt…..und das STIMMT!!! Mein Schwiegervater hat
wirklich von Anfang an NIE an die Prognosen der Ärzte geglaubt, er hat immer
abgewunken wenn wir darüber redeten und nur gesagt: „Abwarten! Wir werden sehen
was noch so kommt!“
Ich muss ja gestehen…
Am Anfang fand ich seine Aussagen schwierig…ich
dachte das er nicht akzeptieren will und kann das Jonathan krank und behindert
ist.
HEUTE jedoch…bewundere ich ihn! Für seine positive
Einstellung!!! Denn das war es: eine positive Einstellung und GLAUBE – er hat
es nicht Verleugnet. Und das ist mir mittlerweile klar geworden.
HEUTE….sehe ich das alles auch mit anderen Augen!
HEUTE..würde ICH mir von den Ärzten auch keine Angst mehr machen lassen, nichts
auf das geben was sie prognostizieren, denn: ÄRZTE SIND AUCH NUR MENSCHEN UND
WISSEN NICHT ALLES!!
(Ich möchte an dieser Stelle an alle Eltern mit
behinderten Kindern da draußen nur einen Ratschlag weitergeben:
LASST EUCH NICHTS SAGEN! HÖRT UND VERTRAUT AUF EUER
HERZ! ES IST VIEL MEHR MÖGLICH ALS MAN DENKT!!)
Nun ja…zurück zum Dreh.
Nach meinen Schwiegereltern gab mein Kumpel ein
Interview. Er machte das so toll und souverän! Sprach davon wieviel Respekt er
vor uns habe, weil er sehen würde wieviel wir entbehren müssten – und trotzdem
würden wir nie jammern!!! Und ihm falle es manchmal schwer dass er nicht mehr
tun könne für uns…außer ab und an mit mir auszugehen damit ich mal rauskäme.
(An der Stelle sei gesagt das daß für mich eine ganz wichtige Sache ist!
Rausgehen, mal was anderes sehen und über andere Dinge reden. Ohne diese Abende
mit meinem Kumpel würde es mir manchmal nicht so gut gehen - denke ich.)
Dann war meine Schwägerin dran…auch auf sie habe
ich nach dem Interview einen ganz anderen Blick...
Mit der Situation klarzukommen das ihr Bruder ein
behindertes Kind bekommen hat war auch für sie eine Herausforderung. Sie hatte
sich das Dasein als Tante ganz anders vorgestellt: sie wollte mit dem/der
Kleine/n ins Kino gehen…ins Schwimmbad…auf den Spielplatz…und es vermutlich
einfach genießen ein kleines Kind bei sich zu haben das man wieder abgeben kann
wenn es anstrengend wird….lach…Scherz beiseite! All das was sie sich
vorgestellt hatte ist nicht möglich. Und sich damit zu arrangieren ist auch für
sie nicht leicht.
Ihre Worte zu hören und dabei in ihr Gesicht zu
schauen haben mich schlucken lassen. Natürlich wusste ich das auch sie unter
der ganzen Situation „leidet“….aber an diesem Tag wurde es mir so deutlich vor
Augen geführt, anhand so kleiner Wünsche - die einfach nicht möglich sind. Ich
sehe sie nun mit ganz anderen Augen und habe eine andere Art von Respekt vor
ihr als vorher.
Als letztes war noch Jonathans Patenonkel mit einem
Interview dran. Selbst Vater von (mittlerweile) vier Kindern ..hatte ich vor
dem Interview mit ihm am meisten Angst um ehrlich zu sein.
Ich weiß dass es grade für ihn (und seine Frau)
nicht einfach war sich FÜR das Patenamt bei Jonathan zu entscheiden. Wir haben
ihn gefragt als wir schon wussten das Jonathan nicht gesund ist…er wurde direkt
mit der Aussicht konfrontiert das sein Patenkind nicht lange leben würde. Er
war zu Anfang unsicher….aber nur weil er Angst hatte zu wenig Zeit für Jonathan
zu haben, der Rolle des „Pat“ (wie es bei uns heißt) nicht gerecht zu werden. Die
Rolle des Paten nicht so ausfüllen zu können wie wir uns das vorstellten…
In einem Gespräch haben wir diese Zweifel
ausgeräumt: wir haben nämlich gar keine so hohen Anforderungen an unsere
Paten….und dann hat er eingewilligt.
Was für ihn, zumindest soweit ICH das weiß!, nie
ein Thema war….war die frühe Sterblichkeit von Jonathan. Als aber nun sein
Interview anstand hatte ich ein bisschen Bedenken ob er nicht DOCH damit
kämpft. Ob er nicht DOCH ab und an bereut dem Patenamt zugestimmt zu haben.
Immerhin ist man als Vater von vier Kindern etwas sensibler wenn es um das
Thema Sterblichkeit geht…oder???
Aber ich hatte ganz umsonst Bedenken!
Er hat sein Interview ebenfalls sehr souverän
gemeistert, hat voller Inbrunst gesagt das es egal ist ob Jonathan krank oder
gesund ist – er ist das Kind seines besten Freundes und deswegen habe er das
Patenamt voller Stolz übernommen. Jonathan sei ein süßer Fratz und mache das
alles viel besser als man zu Anfang geglaubt habe – und im Übrigen würden auch
wir alles total toll meistern.
(Hut ab an der Stelle an die Freunde meines
Mannes!!! Sie bekommen ihn bei weitem nicht mehr so oft zu Gesicht wie
früher….Jonathan geht vor. Trotzdem halten sie ihm die Freundschaft. Seit über
drei Jahren! Sie stehen immer an seiner/an unserer Seite…auch wenn wir so viele
Verabredungen absagen….müssen! Und wir so vielen Einschränkungen unterworfen
sind. DAS ist nicht alltäglich!!
In meinem Freundeskreis hat es nicht funktioniert
und ich habe mich von einigen Freundinnen getrennt da sie mich einfach nur noch
Kraft gekostet –statt mir welche gegeben- haben.
Deswegen an die Freunde meines Mannes: DANKE, IHR
SEID ECHT TOLL!!)
Irgendwann, nachdem Jonathan im Garten beim
Krabbeln gefilmt worden war, sagte die Redakteurin dann das sie „genug
Aufnahmen im Kasten“ habe….ich war ein wenig erleichtert..dieser Drehtag war
ziemlich anstrengend für mich gewesen.
Emotional anstrengend.
Aber auch unfassbar schön.
Und hilfreich: denn ich sah meine
Familienmitglieder nun mit anderen Augen.