Donnerstag, 6. September 2018


WM 2018 in Russland
Eigentlich würde ich DAS THEMA ja gerne totschweigen und unter den Tisch fallen lassen! Was für eine Blamage….für den AMTIERENDEN WELTMEISTER.

Wochenlang hatten wir uns auf diese vier Wochen gefreut!!
Deko gekauft und Deko aus dem Keller geholt: das Wohnzimmer in ein Fanlager umgestaltet…und die Autos dekoriert. Klamotten und Accessoires für Jonathan gekauft, denn ich wollte bei Facebook „Jonis WM-Kantine“ machen, jeden Tag ein Foto von Jonathan in wechselnden Outfits. 8o)) Allein das war eine wochenlange Vorbereitung! Outfits zusammenstellen und auch schon mal das ein oder andere Foto machen.

Außerdem hatte uns unser Kumpel Tobi Sergeo versprochen das wir ein Spiel der Deutschen Mannschaft gemeinsam anschauen würden: er hatte Jonathan im letzten Jahr ein originales Mini-Trikot geschenkt und wollte nun im Partnerlook mit seinem kleinen Freund die Weltmeister anfeuern. Da Tobi beruflich sehr eingespannt ist und viel reist, sehen wir ihn nicht so häufig. Deshalb freuten wir uns auf dieses Treffen wirklich sehr!!

Jooooooo…und dann kam alles anders. MEINE GÜTE war DAS ein Gekicke!!! (Augen zuhalt!)

Ich denke, intensiver brauchen wir auf das Thema gar nicht mehr eingehen….widmen wir uns lieber schöneren Dingen!!! Wir fuhren in den Sommerurlaub:

Und wieder einmal Urlaub in Holland
…warum auch nicht? 8o)) …
Uns gefiel es in Holland, die Luft am Meer war grade für mich total gut (ich hatte vor einigen Jahren eine Lungenentzündung und habe seitdem Asthma), Holland war nicht weit entfernt…

Dieses Mal würden wir allerdings mit der ganzen Familie fahren: mit meinen Eltern und Geschwistern. (Es war das erste Mal das wir ALLE GEMEINSAM in Urlaub fuhren!) Und wir würden in einem anderen Ort sein als die letzten Jahre.

Freitags reisten wir an. Das Ferienhaus war wirklich ein Traum!! Wir hatten 6 Schlafzimmer und 6 Bäder: davon einige mit Whirlpool. Eine Dachterrasse und eine Terrasse im Garten. Einen riesigen Esstisch!! Eine Sauna UND … ein eigenes Indoor-Schwimmbad. Beheizt und beleuchtet. HAMMER!!! Für Jonathan ein Traum!!! Er konnte jeden Tag ins Wasser und planschen. (Wir hatten extra zwei Tuben Hautcreme dabei um ihn mehrmals am Tag eincremen zu können wegen seiner schlechten Haut.)

Wir haben ein paar kleinere, sehr schöne!, Städtchen angeschaut…waren auch alle gemeinsam am Meer: allerdings gab es an dem Abschnitt zu dem wir gefahren waren 100te von Quallen und so blieb es an diesem Tag bei einem Strandspaziergang.

Zwischendurch haben wir auch mal getrennt voneinander etwas unternommen (eine Eigenschaft die ich an meinen Eltern sehr schätze ist, das man mit ihnen gemeinsam in Urlaub fahren kann, sie aber trotzdem nicht erwarten das man 24 Stunden aufeinander hängt!). So waren wir vier einen ganzen Tag am Strand während der Rest der Familie etwas anderes unternommen hat….

Es war so schön zu sehen wieviel Spaß Jonathan am Strand hatte!! Und wir hatten einen direkten Vergleich seiner Entwicklung: im Vorjahr konnte er sich nicht (lange) allein in der Aufrichtung halten, er war meist „auf dem Boden“ im Sand unterwegs. Dieses Jahr konnte er stabil knien und hat so auf dem Liegestuhl Muscheln sortiert.

Auf dem Strandspielplatz ist er gerutscht und wir haben ihn auf einer Wippe gewippt…er konnte sich schon gut alleine festhalten und hatte auch hier einen wahnsinnigen Spaß! (Natürlich standen wir dabei mal wieder komplett im Mittelpunkt, aber: wir wurden so gut wie gar nicht angesprochen! Die Leute haben geschaut, aber die meisten hatten sofort ein Lächeln im Gesicht und haben Jonathan einfach gewunken. Sowas kennen wir aus Deutschland nicht in der Häufigkeit. Vielleicht lag es daran das Menschen im Urlaub entspannter sind als zu Hause?)

Nur eine Begegnung hatten wir…die hat mich mal wieder sprachlos gemacht.
Auf dem Weg zum Strand, ich trage Jonathan –mit Sonnenbrille und Sonnenmütze- auf dem Arm…ein älteres deutsches Ehepaar geht neben uns. Der Mann schaut…schaut noch einmal. Und sagt dann: „Ist der ECHT?“ …ohne Worte.
Ich habe gelacht und gesagt: „Natürlich ist er echt! Er ist kleinwüchsig!“…später ist mir dann (ich bin in solchen Situationen ja nicht so schlagfertig) eingefallen das ich lieber hätte sagen sollen: „Nein, das ist eine Puppe. Und ich gehe im reifen Alter von 40 Jahren IMMER mit meiner PUPPE zum Strand.“
…es ist auch eigentlich egal was man in so einer Situation antwortet. Manche Menschen reden einfach ohne zu denken. Und ich bezweifle das man sie für die Zukunft zum Denken animieren kann – egal was man antwortet.

Das Wetter in Holland war jedenfalls ein Traum: wir hatten eine Woche lang nur gutes Wetter, der obligatorische Regentag fand nicht statt. Allerdings war UNS das Wasser im Meer dann doch zu kalt zum Schwimmen. Anders sah das bei Marvin aus….der alte Wasserfrosch ging schwimmen…ich war nur mit den Füßen drin und hatte Gänsehaut, aber er: schwimmt ganz entspannt (oder gechilled wie die Teenies heutzutage sagen!).

Der für uns mit Abstand schönste Tag des Urlaubs….meine Familie möge es uns verzeihen, aber sie wissen sicher wie es gemeint ist! ….war aber der Besuch bei….einem Familientreffen von 5 holländischen Familien die Kinder mit einer Form von Primordialem Kleinwuchs haben.

Im letzten Jahr hat ein betroffener Vater in Holland ein „local office“ (also eine Außenstelle) der WALKING WITH GIANTS FOUNDATION aus Liverpool gegründet. Ein Verein der es sich zur Aufgabe gemacht hat Familien mit Kindern mit Primordialen Kleinwuchsformen zusammenzuführen. Weltweit…gibt es weniger als 500 Kinder mit einer der bis heute 5 bekannten Krankheitsformen – andere Betroffene zu finden und mit ihnen zu reden ist so wichtig für uns Eltern! Deswegen findet einmal jährlich ein Treffen aller betroffenen Familien in Liverpool statt – und da auch wir seit ein paar Monaten Mitglieder in dieser Organisation waren, würden wir im Sommer zu diesem Treffen fliegen.

(Eine weitere Aufgabe dieses Vereins ist übrigens auch das Sammeln von Spenden: denn die Forschung die seit 10 Jahren von einem einzigen Ärzteteam weltweit betrieben wird…wird nicht von der Pharmaindustrie bezahlt, es gibt einfach zu wenige Fälle. Also wird diese Forschung von Spenden finanziert.)

Ich hatte schon oft mit dem Gründer des Vereins aus Holland gesprochen, naja: geschrieben! Bei Facebook. Er war mir sympathisch und ich dachte mir, wenn wir nun nach Holland fahren, dann könnten wir ihn doch dort treffen? Dann würden wir in Liverpool wenigstens schon eine Familie kennen und uns nicht so überfordert und allein fühlen.
(Zu diesem Zeitpunkt kannten wir drei weitere deutsche betroffene Familien, doch keine davon würde an dem Treffen in Liverpool teilnehmen.)

Er fand meine Idee toll, sagte mir aber das er eine viel bessere Idee habe: wir sollten an einem Familientreffen teilnehmen und auch gleich die anderen 4 holländischen Familien kennenlernen. Alle könnten englisch sprechen, eine Familie sogar deutsch: sie waren ursprünglich aus Deutschland. Ein Traum, denn Holländisch konnten wir nicht.

Alle diese Familien stehen seit einem Jahr (seit der Gründung des local office) in den Niederlanden in der Öffentlichkeit, sie haben schon Fernsehbeiträge gedreht…ich glaube der Gründer selbst war auch schon in Talkshows. Also hatten sie mit meinem Vorschlag, den Hessischen Rundfunk zum Dreh mitzubringen, keine Probleme.

Unsere Redakteurin war mehr als begeistert uns begleiten zu dürfen und fand die Möglichkeit andere Betroffene zu interviewen großartig!!

Eine der deutschen Familien wollte ein paar Tage NACH dem Familientreffen zu einem Urlaub nach Holland aufbrechen, das wusste ich. Also habe ich die Familie gefragt ob sie es nicht möglich machen könnten ein paar Tage eher zu unseren Nachbarn ans Meer zu fahren – dann hätten auch sie die Möglichkeit alle diese Familien kennenzulernen.
Und was soll ich sagen? Sie haben das hinbekommen und waren auch mit dabei. 8o)

7 Familien….eine Kamera…und das in einem Freizeitpark für kleine Kinder. 8o)))
Es war…unbeschreiblich….

Als ich dem Gründer des Vereins aus Holland das erste Mal in live gegenüberstand war mein erster Gedanke: „Er ist viel größer als ich dachte!“…lach….die Kamera war bei unserem ersten Aufeinandertreffen auf uns gerichtet und ich glaube…ein paar Tränen sind gelaufen bei mir! So lange hatte ich mir gewünscht ihn zu treffen und von Angesicht zu Angesicht mit ihm reden zu können.

Mindestens genauso sehr beeindruckt war ich aber auch von den anwesenden Kindern. Manche von ihnen kannte ich aus dem Internet, manche überhaupt nicht.

Ein kleiner Junge hat mich besonders beeindruckt: Jan. Er hat MOPD2 und Moyamoya, ist nur etwas über 50cm groß…und läuft….das war…so beeindruckend zu sehen!!

Überhaupt…waren alle diese Familien, alle diese Kinder…so beeindruckend für mich!! Wir wurden mit einem Lächeln empfangen, jeder hat uns umarmt…es war als wären wir schon immer mit diesen Menschen bekannt gewesen. Die Kinder gingen auf Jonathan zu, ein Mädchen streichelte ihm die Backe und den Kopf…lächelte ihn an. Es war so viel Liebe in dieser Geste, so viel Verständnis…für Joni.

Ein Vater hat mich zu Tränen gerührt.
Er wurde interviewt und unsere Redakteurin fragte ihn ob er jemals mit seinem Schicksal hadere. Und er antwortete: „Nein. Nie! Es gibt so viele Menschen die gerne Kinder hätten und keine bekommen können. Ich habe Kinder, auch wenn die nicht gesund sind. Doch ICH weiss wenigstens was es bedeutet ein VATER zu sein! Das haben viele andere nicht und dafür bin ich dankbar.“ …und er sagte noch etwas sehr wahres was mir einen Kloß im Hals verursachte: „Diese beiden Kinder sind das Gesicht der Liebe meiner Frau und mir. Und wenn unsere Liebe eben so aussieht und nicht perfekt ist…dann ist das auch gut.“
Ich habe mittlerweile VIELE Eltern von behinderten Kindern getroffen. Aber ich habe noch NIE einen Vater wie ihn kennengelernt! Der so in sich ruht, nie hadert, glücklich ist. Glücklich ist mit seinem Schicksal und es einfach annimmt. Vor ihm ziehe ich wirklich wirklich den Hut! Ein großes Vorbild. Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere…

Dieser ganze Tag war einfach…überwältigend…und anstrengend. Emotional. Auch mit den Dreharbeiten. Aber ich denke, die Bilder die an diesem Tag entstanden sind werden einfach überragend sein.

…wir arbeiten ja nun schon sehr lange mit unserer Redakteurin zusammen. Aber so wie an diesem Tag habe ich sie noch nie gesehen! Nach den ersten 15 Minuten die sie gedreht hatte, die ersten Begegnungen mit den ganzen Familien….nahm sie die Kamera herunter, sah mich mit Tränen in den Augen an und sagte: „Das nimmt mich grade so mit! Alle diese winzig kleinen Kinder…die ganze Situation! Es berührt mich total.“

Mir ging es nicht anders….es waren zwar nicht die ersten Familien mit unserem Schicksal die wir kennenlernten…aber es war das erste Mal das wir mit „so vielen“ Familien zusammen waren. Das wir so viel Austausch hatten und auch so viele Krankheitsbilder sahen die wir vorher noch nicht in echt gesehen hatten.
Das erste Mal das wir wirklich sahen was alles möglich ist für unsere Kinder…und auch: das diese Kinder so glücklich sind und einfach nur KINDER sein wollen!

An diesem Tag bekam ich eine erste leise Ahnung davon wie die Convention in Liverpool sein würde…aber es war nur eine leise Ahnung und mit der Realität konnte sie nicht mithalten. Denn nach Liverpool…reisten in diesem Jahr mit uns 46 Familien aus der ganzen Welt. Und ich kann nur sagen dass wir mehr als froh waren schon 5 dieser Familien zu kennen…