WM 2018 in Russland
Eigentlich würde ich DAS THEMA ja gerne
totschweigen und unter den Tisch fallen lassen! Was für eine Blamage….für den
AMTIERENDEN WELTMEISTER.
Wochenlang hatten wir uns auf diese vier Wochen
gefreut!!
Deko gekauft und Deko aus dem Keller geholt: das
Wohnzimmer in ein Fanlager umgestaltet…und die Autos dekoriert. Klamotten und
Accessoires für Jonathan gekauft, denn ich wollte bei Facebook „Jonis
WM-Kantine“ machen, jeden Tag ein Foto von Jonathan in wechselnden Outfits.
8o)) Allein das war eine wochenlange Vorbereitung! Outfits zusammenstellen und
auch schon mal das ein oder andere Foto machen.
Außerdem hatte uns unser Kumpel Tobi Sergeo
versprochen das wir ein Spiel der Deutschen Mannschaft gemeinsam anschauen
würden: er hatte Jonathan im letzten Jahr ein originales Mini-Trikot geschenkt
und wollte nun im Partnerlook mit seinem kleinen Freund die Weltmeister
anfeuern. Da Tobi beruflich sehr eingespannt ist und viel reist, sehen wir ihn
nicht so häufig. Deshalb freuten wir uns auf dieses Treffen wirklich sehr!!
Jooooooo…und dann kam alles anders. MEINE GÜTE war
DAS ein Gekicke!!! (Augen zuhalt!)
Ich denke, intensiver brauchen wir auf das Thema
gar nicht mehr eingehen….widmen wir uns lieber schöneren Dingen!!! Wir fuhren
in den Sommerurlaub:
Und wieder einmal Urlaub in Holland
…warum auch nicht? 8o)) …
Uns gefiel es in Holland, die Luft am Meer war
grade für mich total gut (ich hatte vor einigen Jahren eine Lungenentzündung
und habe seitdem Asthma), Holland war nicht weit entfernt…
Dieses Mal würden wir allerdings mit der ganzen
Familie fahren: mit meinen Eltern und Geschwistern. (Es war das erste Mal das
wir ALLE GEMEINSAM in Urlaub fuhren!) Und wir würden in einem anderen Ort sein
als die letzten Jahre.
Freitags reisten wir an. Das Ferienhaus war
wirklich ein Traum!! Wir hatten 6 Schlafzimmer und 6 Bäder: davon einige mit
Whirlpool. Eine Dachterrasse und eine Terrasse im Garten. Einen riesigen
Esstisch!! Eine Sauna UND … ein eigenes Indoor-Schwimmbad. Beheizt und
beleuchtet. HAMMER!!! Für Jonathan ein Traum!!! Er konnte jeden Tag ins Wasser
und planschen. (Wir hatten extra zwei Tuben Hautcreme dabei um ihn mehrmals am
Tag eincremen zu können wegen seiner schlechten Haut.)
Wir haben ein paar kleinere, sehr schöne!,
Städtchen angeschaut…waren auch alle gemeinsam am Meer: allerdings gab es an
dem Abschnitt zu dem wir gefahren waren 100te von Quallen und so blieb es an
diesem Tag bei einem Strandspaziergang.
Zwischendurch haben wir auch mal getrennt
voneinander etwas unternommen (eine Eigenschaft die ich an meinen Eltern sehr
schätze ist, das man mit ihnen gemeinsam in Urlaub fahren kann, sie aber
trotzdem nicht erwarten das man 24 Stunden aufeinander hängt!). So waren wir
vier einen ganzen Tag am Strand während der Rest der Familie etwas anderes
unternommen hat….
Es war so schön zu sehen wieviel Spaß Jonathan am
Strand hatte!! Und wir hatten einen direkten Vergleich seiner Entwicklung: im
Vorjahr konnte er sich nicht (lange) allein in der Aufrichtung halten, er war
meist „auf dem Boden“ im Sand unterwegs. Dieses Jahr konnte er stabil knien und
hat so auf dem Liegestuhl Muscheln sortiert.
Auf dem Strandspielplatz ist er gerutscht und wir
haben ihn auf einer Wippe gewippt…er konnte sich schon gut alleine festhalten
und hatte auch hier einen wahnsinnigen Spaß! (Natürlich standen wir dabei mal
wieder komplett im Mittelpunkt, aber: wir wurden so gut wie gar nicht
angesprochen! Die Leute haben geschaut, aber die meisten hatten sofort ein
Lächeln im Gesicht und haben Jonathan einfach gewunken. Sowas kennen wir aus
Deutschland nicht in der Häufigkeit. Vielleicht lag es daran das Menschen im
Urlaub entspannter sind als zu Hause?)
Nur eine Begegnung hatten wir…die hat mich mal
wieder sprachlos gemacht.
Auf dem Weg zum Strand, ich trage Jonathan –mit Sonnenbrille
und Sonnenmütze- auf dem Arm…ein älteres deutsches Ehepaar geht neben uns. Der
Mann schaut…schaut noch einmal. Und sagt dann: „Ist der ECHT?“ …ohne Worte.
Ich habe gelacht und gesagt: „Natürlich ist er
echt! Er ist kleinwüchsig!“…später ist mir dann (ich bin in solchen Situationen
ja nicht so schlagfertig) eingefallen das ich lieber hätte sagen sollen: „Nein,
das ist eine Puppe. Und ich gehe im reifen Alter von 40 Jahren IMMER mit meiner
PUPPE zum Strand.“
…es ist auch eigentlich egal was man in so einer
Situation antwortet. Manche Menschen reden einfach ohne zu denken. Und ich
bezweifle das man sie für die Zukunft zum Denken animieren kann – egal was man
antwortet.
Das Wetter in Holland war jedenfalls ein Traum: wir
hatten eine Woche lang nur gutes Wetter, der obligatorische Regentag fand nicht
statt. Allerdings war UNS das Wasser im Meer dann doch zu kalt zum Schwimmen.
Anders sah das bei Marvin aus….der alte Wasserfrosch ging schwimmen…ich war nur
mit den Füßen drin und hatte Gänsehaut, aber er: schwimmt ganz entspannt (oder
gechilled wie die Teenies heutzutage sagen!).
Der für uns mit Abstand schönste Tag des
Urlaubs….meine Familie möge es uns verzeihen, aber sie wissen sicher wie es
gemeint ist! ….war aber der Besuch bei….einem Familientreffen von 5
holländischen Familien die Kinder mit einer Form von Primordialem Kleinwuchs
haben.
Im letzten Jahr hat ein betroffener Vater in
Holland ein „local office“ (also eine Außenstelle) der WALKING WITH GIANTS
FOUNDATION aus Liverpool gegründet. Ein Verein der es sich zur Aufgabe gemacht
hat Familien mit Kindern mit Primordialen Kleinwuchsformen zusammenzuführen.
Weltweit…gibt es weniger als 500 Kinder mit einer der bis heute 5 bekannten
Krankheitsformen – andere Betroffene zu finden und mit ihnen zu reden ist so
wichtig für uns Eltern! Deswegen findet einmal jährlich ein Treffen aller
betroffenen Familien in Liverpool statt – und da auch wir seit ein paar Monaten
Mitglieder in dieser Organisation waren, würden wir im Sommer zu diesem Treffen
fliegen.
(Eine weitere Aufgabe dieses Vereins ist übrigens auch
das Sammeln von Spenden: denn die Forschung die seit 10 Jahren von einem
einzigen Ärzteteam weltweit betrieben wird…wird nicht von der Pharmaindustrie
bezahlt, es gibt einfach zu wenige Fälle. Also wird diese Forschung von Spenden
finanziert.)
Ich hatte schon oft mit dem Gründer des Vereins aus
Holland gesprochen, naja: geschrieben! Bei Facebook. Er war mir sympathisch und
ich dachte mir, wenn wir nun nach Holland fahren, dann könnten wir ihn doch
dort treffen? Dann würden wir in Liverpool wenigstens schon eine Familie kennen
und uns nicht so überfordert und allein fühlen.
(Zu diesem Zeitpunkt kannten wir drei weitere
deutsche betroffene Familien, doch keine davon würde an dem Treffen in
Liverpool teilnehmen.)
Er fand meine Idee toll, sagte mir aber das er eine
viel bessere Idee habe: wir sollten an einem Familientreffen teilnehmen und
auch gleich die anderen 4 holländischen Familien kennenlernen. Alle könnten
englisch sprechen, eine Familie sogar deutsch: sie waren ursprünglich aus
Deutschland. Ein Traum, denn Holländisch konnten wir nicht.
Alle diese Familien stehen seit einem Jahr (seit
der Gründung des local office) in den Niederlanden in der Öffentlichkeit, sie
haben schon Fernsehbeiträge gedreht…ich glaube der Gründer selbst war auch
schon in Talkshows. Also hatten sie mit meinem Vorschlag, den Hessischen
Rundfunk zum Dreh mitzubringen, keine Probleme.
Unsere Redakteurin war mehr als begeistert uns
begleiten zu dürfen und fand die Möglichkeit andere Betroffene zu interviewen großartig!!
Eine der deutschen Familien wollte ein paar Tage
NACH dem Familientreffen zu einem Urlaub nach Holland aufbrechen, das wusste
ich. Also habe ich die Familie gefragt ob sie es nicht möglich machen könnten
ein paar Tage eher zu unseren Nachbarn ans Meer zu fahren – dann hätten auch
sie die Möglichkeit alle diese Familien kennenzulernen.
Und was soll ich sagen? Sie haben das hinbekommen und
waren auch mit dabei. 8o)
7 Familien….eine Kamera…und das in einem Freizeitpark
für kleine Kinder. 8o)))
Es war…unbeschreiblich….
Als ich dem Gründer des Vereins aus Holland das
erste Mal in live gegenüberstand war mein erster Gedanke: „Er ist viel größer
als ich dachte!“…lach….die Kamera war bei unserem ersten Aufeinandertreffen auf
uns gerichtet und ich glaube…ein paar Tränen sind gelaufen bei mir! So lange
hatte ich mir gewünscht ihn zu treffen und von Angesicht zu Angesicht mit ihm
reden zu können.
Mindestens genauso sehr beeindruckt war ich aber
auch von den anwesenden Kindern. Manche von ihnen kannte ich aus dem Internet,
manche überhaupt nicht.
Ein kleiner Junge hat mich besonders beeindruckt:
Jan. Er hat MOPD2 und Moyamoya, ist nur etwas über 50cm groß…und läuft….das
war…so beeindruckend zu sehen!!
Überhaupt…waren alle diese Familien, alle diese
Kinder…so beeindruckend für mich!! Wir wurden mit einem Lächeln empfangen,
jeder hat uns umarmt…es war als wären wir schon immer mit diesen Menschen
bekannt gewesen. Die Kinder gingen auf Jonathan zu, ein Mädchen streichelte ihm
die Backe und den Kopf…lächelte ihn an. Es war so viel Liebe in dieser Geste,
so viel Verständnis…für Joni.
Ein Vater hat mich zu Tränen gerührt.
Er wurde interviewt und unsere Redakteurin fragte
ihn ob er jemals mit seinem Schicksal hadere. Und er antwortete: „Nein. Nie! Es
gibt so viele Menschen die gerne Kinder hätten und keine bekommen können. Ich
habe Kinder, auch wenn die nicht gesund sind. Doch ICH weiss wenigstens was es
bedeutet ein VATER zu sein! Das haben viele andere nicht und dafür bin ich
dankbar.“ …und er sagte noch etwas sehr wahres was mir einen Kloß im Hals
verursachte: „Diese beiden Kinder sind das Gesicht der Liebe meiner Frau und
mir. Und wenn unsere Liebe eben so aussieht und nicht perfekt ist…dann ist das
auch gut.“
Ich habe mittlerweile VIELE Eltern von behinderten
Kindern getroffen. Aber ich habe noch NIE einen Vater wie ihn kennengelernt!
Der so in sich ruht, nie hadert, glücklich ist. Glücklich ist mit seinem
Schicksal und es einfach annimmt. Vor ihm ziehe ich wirklich wirklich den Hut!
Ein großes Vorbild. Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere…
Dieser ganze Tag war einfach…überwältigend…und
anstrengend. Emotional. Auch mit den Dreharbeiten. Aber ich denke, die Bilder
die an diesem Tag entstanden sind werden einfach überragend sein.
…wir arbeiten ja nun schon sehr lange mit unserer
Redakteurin zusammen. Aber so wie an diesem Tag habe ich sie noch nie gesehen!
Nach den ersten 15 Minuten die sie gedreht hatte, die ersten Begegnungen mit
den ganzen Familien….nahm sie die Kamera herunter, sah mich mit Tränen in den
Augen an und sagte: „Das nimmt mich grade so mit! Alle diese winzig kleinen
Kinder…die ganze Situation! Es berührt mich total.“
Mir ging es nicht anders….es waren zwar nicht die
ersten Familien mit unserem Schicksal die wir kennenlernten…aber es war das
erste Mal das wir mit „so vielen“ Familien zusammen waren. Das wir so viel
Austausch hatten und auch so viele Krankheitsbilder sahen die wir vorher noch
nicht in echt gesehen hatten.
Das erste Mal das wir wirklich sahen was alles
möglich ist für unsere Kinder…und auch: das diese Kinder so glücklich sind und
einfach nur KINDER sein wollen!
An diesem Tag bekam ich eine erste leise Ahnung
davon wie die Convention in Liverpool sein würde…aber es war nur eine leise
Ahnung und mit der Realität konnte sie nicht mithalten. Denn nach
Liverpool…reisten in diesem Jahr mit uns 46 Familien aus der ganzen Welt. Und
ich kann nur sagen dass wir mehr als froh waren schon 5 dieser Familien zu
kennen…