Freitag, 8. Februar 2019


Zu Hause
Mitten in der Nacht kamen wir zu Hause an. Es war so wundervoll wieder hier zu sein!!

Jonathan wurde wach als wir ihn aus dem Auto holten und er war total aufgeregt als wir mit ihm ins Haus gingen. Natürlich hat er sofort gemerkt wo er ist!!

Wir haben noch über eine Stunde mit ihm Fernsehen geschaut, er war total aufgedreht und offensichtlich gar nicht müde. Und wir…wollten erstmal in Ruhe an- und runterkommen.

Die Nacht war…nicht besonders gut. Jonathan ist sehr oft aufgewacht und hat geweint. Aber gut: das kennen wir ja schon mit ihm. Und im Gegensatz zu den Nächten in der Klinik war es ein Fortschritt.

In den kommenden Tagen „normalisierte“ sich Jonathans Zustand wieder: er aß und trank als wäre nie etwas gewesen. Wir nahmen unsere Therapien wieder auf und besuchten sein Therapiepferd BELLA. Reiten ging mit dem Gips leider nicht (weil er die Beine nicht spreizen konnte), aber er konnte Bella streicheln und riechen…das hat ihm sehr gut gefallen und ihm ein Stück „Normalität“ vermittelt!!

Für uns kehrte aber keine Normalität ein. Leider.

Ich verfasste (wie ich es schon geschrieben hatte) eine Beschwerde an die Geschäftsleitung der Klinik.
Das hat mich mehrere Tage gekostet: die Formulierungen sollten stimmen, ich wollte ja niemanden beleidigen oder diskreditieren – aber trotzdem auf die Missstände in der Organisation hinweisen und deutlich machen das es für Jonathan lebensgefährlich sein kann wenn er sich über Wochen in Rage schreit.

Bis heute….haben wir KEINERLEI REAKTION auf diese Beschwerde bekommen - auch das habe ich schon erwähnt, aber es ärgert mich einfach maßlos. Es ist ein UNDING. Eine UNVERSCHÄMTHEIT. Und RESPEKTLOS.

Davon mal abgesehen möchte ich aber an dieser Stelle BETONEN: MEDIZINISCH waren wir in dieser Klinik SEHR ZUFRIEDEN!!! MEDIZINISCH kann vermutlich keine andere Klinik in Deutschland das leisten was hier geleistet wurde und jeden Tag geleistet wird.
Leider ist DAS aber nicht alles! Auch das „drum herum“ muss stimmen damit man wiederkommen möchte. Und WIR….werden sehr gut überlegen ob wir wieder in diese Klinik gehen, sollte irgendwann eine andere/weitere Operation bei Jonathan nötig sein.

Womit besonders ICH in diesen Wochen zu Hause auch beschäftigt war ist: telefonieren. Und zwar mit der Klinik!
Ich weiß nicht genau warum….aber aus irgendwelchen Gründen rief man uns alle 2-3 Tage an und versuchte den zweiten Op-Termin von Anfang November auf Mitte Dezember zu verlegen – und das mit fadenscheinigen und ABSURDEN Begründungen.

Wir wussten das wir bei der zweiten Op zwischen 3 und 4 Wochen (!!!) in der Klinik bleiben mussten: wegen der Orthesenversorgung. Denn diesmal WÜRDEN wir mit Beinschienen heimgehen.
Wenn man uns also einen Termin Mitte Dezember aufdrängen wollte bedeutete das: wir wären Weihnachten und Silvester im Krankenhaus. DAS WAR MIT UNS ABER NICHT MACHBAR. Generell nicht und auch nicht wegen Marvin!
Ursprünglich waren wir mal davon ausgegangen nur einmal in die Klinik zu müssen, jetzt waren wir gezwungen Marvin 3-4 Wochen in der Obhut der Großeltern zu lassen (er musste ja zur Schule) – wir würden ihn NICHT an Weihnachten und Silvester allein lassen ODER mit ihm gemeinsam in der KLINIK feiern! AUF GAR KEINEN FALL.
Zumal es MEDIZINISCH überhaupt keine wirkliche Notwendigkeit gab Jonathans Op noch einmal um 6 Wochen nach hinten zu verschieben! (Natürlich habe ich alle Gespräche die mit der Klinik stattgefunden haben auch mit unserem Kinderarzt erörtert und ihn um seine Meinung dazu gebeten. Er hat ALLES ad absurdum geführt und mir Begründungen dafür geliefert.
Überhaupt ein HOCH auf unseren Kinderarzt! Er war in dieser Zeit IMMER erreichbar: auch am Wochenende und abends….ohne ihn hätte ich diese Diskussionen mit der Klinik nicht geschafft.)

Diese STÄNDIGEN Gespräche mit der Klinik haben mich so viel Kraft gekostet…
Es war zwar wie ein „Running Gag“ in unserer Familie: „Die Klinik hat angerufen….“…mein Vater lachte dann schon immer und sagte: „Was für einen Scheiß haben sie diesmal erzählt?“…aber eigentlich war es gar nicht lustig. Sondern nur anstrengend. Und unnötig.

Ich ließ mich nicht beirren, der Termin wurde NICHT verlegt. Und so packten wir wieder Koffer - denn nur 3 Wochen zu Hause waren uns gegönnt bevor wir uns auf den Weg machten für die zweite Op.


Die zweite Operation in der Kinderorthopädie
Wir wussten was auf uns zukommen würde…dachten wir zumindest.
Packten die Koffer ganz anders weil wir aus der Erfahrung wussten das wir andere Spielsachen brauchten um ein Kind mit Gipsbein zu beschäftigen….das wir andere Kleidung brauchten….
Dachten wir wären gewappnet uns nicht wie beim ersten Aufenthalt alles gefallen zu lassen und Zeit zu vergeuden. Einige Menschen aus unserem Umfeld hatten gesagt dass die Klinik uns einen „roten Teppich“ ausrollen würde weil sie nach Erhalt der Beschwerde nun wussten dass wir uns nicht alles gefallen lassen. Dass man in der Klinik bestimmt versuchen würde dieses Mal alles besser zu machen…

Je näher wir dem Ort (und damit der Klinik) kamen…umso übler wurde mir. Als wir dann in die Straße einbogen hatte ich das Gefühl heulen zu müssen. Es gab keinen Ort an dem ich grade weniger sein wollte als hier. Wir sind direkt vor den Haupteingang gefahren um auszuladen. Und in dem Moment wollte ich wegrennen…einfach nur wegrennen…ich hatte ein total ungutes Gefühl: Panik…das etwas schlimmes passieren würde. (Ich hatte eine Ahnung, aber das wusste ich damals noch nicht.)

Ich sagte mir selbst nur dass ich spinne und mich zusammenreißen muss. Was ich auch so gut es geht getan habe. Denn eins stand ja fest: Jonathan BRAUCHTE diese Op wenn er laufen lernen sollte!!

Nun ja…
Zuerst einmal sei gesagt: das Klinikteam gab sich TATSÄCHLICH mehr Mühe als beim ersten Aufenthalt hier!
Termine wurden vereinbart und eingehalten. Wenn sie sich DOCH verschoben: bekamen wir umgehend eine Information und einen neuen Termin.
Die Abläufe waren besser organisiert, die Zusammenarbeit mit dem Reha-Team für die Anpassung der Orthesen funktionierte.
Die Op des zweiten Beins war erfolgreich. Jonathan weinte danach auch nicht mehr so stark wie beim ersten Mal: vermutlich weil es für IHN kein großer Unterschied war ob er an einem Bein oder an ZWEI Beinen Gips hatte – er hatte sich an die Einschränkungen gewöhnt die damit einhergingen….

Es hätte alles so gut sein können. …

Aber zwei Tage nach der Op bekam Jonathan Fieber. Die Ärzte sagten das das eine Reaktion auf die Op sei, aber ich glaubte das nicht: er hatte das beim ersten Mal doch auch nicht gehabt!!!
Ich glaubte eher an einen Infekt im Rachenbereich: er wehrte sich dagegen zu schlucken, hustete komisch. Ein Arzt schaute nach, konnte aber nichts erkennen.
Wir begannen mit Jonathan zu inhalieren, er bekam Fiebersenkende Medikamente.

Aber die Situation besserte sich nicht.

Also fuhren wir mit ihm zu einem HNO-Arzt.
Der nahm einen Abstrich und verschrieb weitere Medikamente: Jonathan hatte einen stark geröteten Hals, aber keine Mandelvereiterung. Ein Abstrich wurde genommen, die Vermutung war – Kehlkopfentzündung.

Eigentlich ging es dem kleinen Mann recht gut….doch an diesem Abend…ich war grade in der Pension angekommen und hatte mich fürs Bett fertig gemacht…rief mein Mann mich an.

Jonathan hatte einen Krampfanfall gehabt.

Der erste seit über 2 Jahren.

Ich zitterte am ganzen Körper und sagte dass ich sofort in die Klinik komme. Und da bin ich auch die ganze Nacht geblieben. Auf einem Beistellbett das wir freundlicherweise bekommen hatten – wir durften beide bei Jonathan bleiben. Die Schwestern hatten Verständnis.
(Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch noch einmal offiziell bedanken!)

Geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht.
Der Anfall war zwar nur kurz gewesen und Jonathan war auch alleine wieder „rausgekommen“, er hatte keine Medikamente benötigt. Aber…irgendwie hatte ich Angst. Bekam kaum Luft und musste immer an das ungute Gefühl denken das ich schon bei der Anreise hierher gehabt hatte.

Jonathan lag bei mir und jedes Mal wenn er im Schlaf zuckte schreckte ich hoch aus Angst das er wieder einen Anfall hatte…..

Morgens habe ich dann zu meinem Mann gesagt das ich schnell in die Pension duschen gehe und dann wiederkomme, er solle mit Jonathan einfach noch weiterschlafen damit der kleine Kerl sich erholen könnte.

In der Pension…wurde mir so übel!!! Keine Ahnung warum. Aus Angst? Vielleicht…mir war so schlecht dass ich mich minutenlang übergeben musste und dabei liefen die Tränen. In was für einer BESCHISSENEN Situation steckten wir hier nur fest!!

Ich duschte und ging wieder zur Klinik, stand schon vor der Tür als mein Handy klingelte. Mein Mann. Mir sackten die Beine weg, denn ich ahnte es schon. Aber es war eine Schwester dran die sagte: „Frau Kremer, Sie müssen sofort kommen. Jonathan hat einen schlimmen Krampfanfall – schon seit einer halben Stunde- und die Medikamente wirken nicht!“
(……der Krampf hatte begonnen als ich im Bad stand und mich übergeben musste…Zufall?? Oder Mama-Gespür??)

Ich raste in Jonathans Zimmer. Mein Mann trug den kleinen Kerl auf dem Arm. Einen Blick auf ihn habe ich geschafft, dann musste ich haltlos weinen und weggehen.
Er zuckte unkontrolliert….war kalkweiß im Gesicht. Ich konnte das nicht ertragen.

Ein Anästhesist kam ins Zimmer gespurtet, legte einen Zugang am Arm -am krampfenden Arm!!!-, in SEKUNDEN!! Bei Jonathan ist es NIE einfach einen Zugang zu legen und jetzt wo er sich auch noch „schüttelte“…dieser Arzt hat meinen VOLLSTEN RESPEKT!!! Er hat das UNFASSBAR gut gemacht.

Die Medikamente die Jonathan über den Zugang bekam änderten nichts an seinem Zustand. Zur Sicherheit wurde er bebeutelt, die Sauerstoffsättigung zu messen ist bei ihm nicht leicht und man wollte nichts riskieren.

In der Zwischenzeit rief ich unseren Kinderarzt an der sofort einen Notfallplan auf mein Handy schickte: Anweisungen welche Medikamente in welcher Dosierung zu geben waren.   

Ein Team von Rettungssanitätern und ein Notarzt kamen dazu.
Ich sah an den besorgten Blicken des Arztes dass wir uns grade in einer kritischen Situation befanden. Sie wollten uns in eine Spezialklinik fliegen –bzw nur Jonathan sollte fliegen und wir müssten mit dem Auto hinterher fahren. Aber in dem Zustand in dem er sich momentan befand - konnte man ihn nicht transportieren.

Der Krampf dauerte mittlerweile fast eine Stunde.
Ich bin kein Arzt. Aber ich bin nicht dumm. Ein Krampfanfall der so lange dauert….kann Hirnschäden hervorrufen. Eigentlich….war ich schon überzeugt das es welche geben würde.

Diese Szenen in diesem Zimmer….die werde ich NIE vergessen! Das waren mit die dunkelsten Minuten die wir bisher mit Jonathan erleben mussten.

Irgendwann…hörte der Krampf auf….ansprechbar war Jonathan nicht, man hatte ihm gegen den Krampf ein Schlafmittel gegeben. Es hatte gewirkt, er entspannte sich und schlief. Nun konnten wir transportiert werden, sogar im Krankenwagen: es bestand keine Notwendigkeit mehr sich „zu beeilen“.

Ich fuhr im Rettungswagen mit, mein Mann mit dem Auto hinterher.
Im Rettungswagen sagte der Notarzt mir dass er große Angst bekommen habe als er zu uns ins Zimmer gekommen sei. Ein so langer und heftiger Krampf der sich nicht lösen ließ bei einem Kind mit solchen Hirnfehlbildungen…er habe „SCHWERE BEDENKEN“ gehabt.

Nun…bei mir kamen während der Fahrt so viele Gefühle und Ängste hoch, ich weinte durchgehend.
Zum einen..klar: Jonathan im Krampf zu sehen und Angst zu haben was nun mit dem Gehirn ist….
Zum anderen…hatten wir erst vor wenigen Tagen die Mitteilung bekommen das ein weiteres deutsches Kind mit MOPD1 (Lotta) nach einem Krampfanfall im Krankenhaus lag. Bei ihr hatte man nun eine „Nekrotisierende Enzephalitis“ -eine Hirnhautentzündung bei der Teile des Hirns absterben- diagnostiziert.

Wenn Jonathan das nun auch hatte????

Mir schnürte sich der Hals zu. Ich hatte solche ANGST!!! Die kleine Lotta kämpfte um ihr Leben und zu diesem Zeitpunkt war nicht sicher ob sie das überlebt – und wenn ja in welchem geistigen Zustand…

Müssten WIR dasselbe nun auch ertragen…..???