Zu Hause
Mitten in
der Nacht kamen wir zu Hause an. Es war so wundervoll wieder hier zu sein!!
Jonathan
wurde wach als wir ihn aus dem Auto holten und er war total aufgeregt als wir
mit ihm ins Haus gingen. Natürlich hat er sofort gemerkt wo er ist!!
Wir haben
noch über eine Stunde mit ihm Fernsehen geschaut, er war total aufgedreht und
offensichtlich gar nicht müde. Und wir…wollten erstmal in Ruhe an- und
runterkommen.
Die Nacht
war…nicht besonders gut. Jonathan ist sehr oft aufgewacht und hat geweint. Aber
gut: das kennen wir ja schon mit ihm. Und im Gegensatz zu den Nächten in der
Klinik war es ein Fortschritt.
In den
kommenden Tagen „normalisierte“ sich Jonathans Zustand wieder: er aß und trank
als wäre nie etwas gewesen. Wir nahmen unsere Therapien wieder auf und
besuchten sein Therapiepferd BELLA. Reiten ging mit dem Gips leider nicht (weil
er die Beine nicht spreizen konnte), aber er konnte Bella streicheln und
riechen…das hat ihm sehr gut gefallen und ihm ein Stück „Normalität“
vermittelt!!
Für uns
kehrte aber keine Normalität ein. Leider.
Ich
verfasste (wie ich es schon geschrieben hatte) eine Beschwerde an die
Geschäftsleitung der Klinik.
Das hat
mich mehrere Tage gekostet: die Formulierungen sollten stimmen, ich wollte ja
niemanden beleidigen oder diskreditieren – aber trotzdem auf die Missstände in
der Organisation hinweisen und deutlich machen das es für Jonathan
lebensgefährlich sein kann wenn er sich über Wochen in Rage schreit.
Bis
heute….haben wir KEINERLEI REAKTION auf diese Beschwerde bekommen - auch das
habe ich schon erwähnt, aber es ärgert mich einfach maßlos. Es ist ein UNDING. Eine
UNVERSCHÄMTHEIT. Und RESPEKTLOS.
Davon mal
abgesehen möchte ich aber an dieser Stelle BETONEN: MEDIZINISCH waren wir in
dieser Klinik SEHR ZUFRIEDEN!!! MEDIZINISCH kann vermutlich keine andere Klinik
in Deutschland das leisten was hier geleistet wurde und jeden Tag geleistet
wird.
Leider
ist DAS aber nicht alles! Auch das „drum herum“ muss stimmen damit man
wiederkommen möchte. Und WIR….werden sehr gut überlegen ob wir wieder in diese
Klinik gehen, sollte irgendwann eine andere/weitere Operation bei Jonathan
nötig sein.
Womit
besonders ICH in diesen Wochen zu Hause auch beschäftigt war ist: telefonieren.
Und zwar mit der Klinik!
Ich weiß
nicht genau warum….aber aus irgendwelchen Gründen rief man uns alle 2-3 Tage an
und versuchte den zweiten Op-Termin von Anfang November auf Mitte Dezember zu
verlegen – und das mit fadenscheinigen und ABSURDEN Begründungen.
Wir
wussten das wir bei der zweiten Op zwischen 3 und 4 Wochen (!!!) in der Klinik
bleiben mussten: wegen der Orthesenversorgung. Denn diesmal WÜRDEN wir mit
Beinschienen heimgehen.
Wenn man
uns also einen Termin Mitte Dezember aufdrängen wollte bedeutete das: wir wären
Weihnachten und Silvester im Krankenhaus. DAS WAR MIT UNS ABER NICHT MACHBAR.
Generell nicht und auch nicht wegen Marvin!
Ursprünglich
waren wir mal davon ausgegangen nur einmal in die Klinik zu müssen, jetzt waren
wir gezwungen Marvin 3-4 Wochen in der Obhut der Großeltern zu lassen (er
musste ja zur Schule) – wir würden ihn NICHT an Weihnachten und Silvester
allein lassen ODER mit ihm gemeinsam in der KLINIK feiern! AUF GAR KEINEN FALL.
Zumal es
MEDIZINISCH überhaupt keine wirkliche Notwendigkeit gab Jonathans Op noch
einmal um 6 Wochen nach hinten zu verschieben! (Natürlich habe ich alle
Gespräche die mit der Klinik stattgefunden haben auch mit unserem Kinderarzt
erörtert und ihn um seine Meinung dazu gebeten. Er hat ALLES ad absurdum
geführt und mir Begründungen dafür geliefert.
Überhaupt
ein HOCH auf unseren Kinderarzt! Er war in dieser Zeit IMMER erreichbar: auch
am Wochenende und abends….ohne ihn hätte ich diese Diskussionen mit der Klinik
nicht geschafft.)
Diese
STÄNDIGEN Gespräche mit der Klinik haben mich so viel Kraft gekostet…
Es war
zwar wie ein „Running Gag“ in unserer Familie: „Die Klinik hat
angerufen….“…mein Vater lachte dann schon immer und sagte: „Was für einen
Scheiß haben sie diesmal erzählt?“…aber eigentlich war es gar nicht lustig.
Sondern nur anstrengend. Und unnötig.
Ich ließ
mich nicht beirren, der Termin wurde NICHT verlegt. Und so packten wir wieder
Koffer - denn nur 3 Wochen zu Hause waren uns gegönnt bevor wir uns auf den Weg
machten für die zweite Op.
Die
zweite Operation in der Kinderorthopädie
Wir
wussten was auf uns zukommen würde…dachten wir zumindest.
Packten
die Koffer ganz anders weil wir aus der Erfahrung wussten das wir andere
Spielsachen brauchten um ein Kind mit Gipsbein zu beschäftigen….das wir andere
Kleidung brauchten….
Dachten
wir wären gewappnet uns nicht wie beim ersten Aufenthalt alles gefallen zu
lassen und Zeit zu vergeuden. Einige Menschen aus unserem Umfeld hatten gesagt
dass die Klinik uns einen „roten Teppich“ ausrollen würde weil sie nach Erhalt
der Beschwerde nun wussten dass wir uns nicht alles gefallen lassen. Dass man in
der Klinik bestimmt versuchen würde dieses Mal alles besser zu machen…
Je näher
wir dem Ort (und damit der Klinik) kamen…umso übler wurde mir. Als wir dann in
die Straße einbogen hatte ich das Gefühl heulen zu müssen. Es gab keinen Ort an
dem ich grade weniger sein wollte als hier. Wir sind direkt vor den
Haupteingang gefahren um auszuladen. Und in dem Moment wollte ich
wegrennen…einfach nur wegrennen…ich hatte ein total ungutes Gefühl: Panik…das
etwas schlimmes passieren würde. (Ich hatte eine Ahnung, aber das wusste ich
damals noch nicht.)
Ich sagte
mir selbst nur dass ich spinne und mich zusammenreißen muss. Was ich auch so
gut es geht getan habe. Denn eins stand ja fest: Jonathan BRAUCHTE diese Op
wenn er laufen lernen sollte!!
Nun ja…
Zuerst
einmal sei gesagt: das Klinikteam gab sich TATSÄCHLICH mehr Mühe als beim
ersten Aufenthalt hier!
Termine
wurden vereinbart und eingehalten. Wenn sie sich DOCH verschoben: bekamen wir
umgehend eine Information und einen neuen Termin.
Die
Abläufe waren besser organisiert, die Zusammenarbeit mit dem Reha-Team für die
Anpassung der Orthesen funktionierte.
Die Op
des zweiten Beins war erfolgreich. Jonathan weinte danach auch nicht mehr so stark
wie beim ersten Mal: vermutlich weil es für IHN kein großer Unterschied war ob
er an einem Bein oder an ZWEI Beinen Gips hatte – er hatte sich an die
Einschränkungen gewöhnt die damit einhergingen….
Es hätte
alles so gut sein können. …
Aber zwei
Tage nach der Op bekam Jonathan Fieber. Die Ärzte sagten das das eine Reaktion
auf die Op sei, aber ich glaubte das nicht: er hatte das beim ersten Mal doch
auch nicht gehabt!!!
Ich
glaubte eher an einen Infekt im Rachenbereich: er wehrte sich dagegen zu
schlucken, hustete komisch. Ein Arzt schaute nach, konnte aber nichts erkennen.
Wir
begannen mit Jonathan zu inhalieren, er bekam Fiebersenkende Medikamente.
Aber die
Situation besserte sich nicht.
Also
fuhren wir mit ihm zu einem HNO-Arzt.
Der nahm
einen Abstrich und verschrieb weitere Medikamente: Jonathan hatte einen stark
geröteten Hals, aber keine Mandelvereiterung. Ein Abstrich wurde genommen, die
Vermutung war – Kehlkopfentzündung.
Eigentlich
ging es dem kleinen Mann recht gut….doch an diesem Abend…ich war grade in der
Pension angekommen und hatte mich fürs Bett fertig gemacht…rief mein Mann mich
an.
Jonathan
hatte einen Krampfanfall gehabt.
Der erste
seit über 2 Jahren.
Ich zitterte
am ganzen Körper und sagte dass ich sofort in die Klinik komme. Und da bin ich
auch die ganze Nacht geblieben. Auf einem Beistellbett das wir
freundlicherweise bekommen hatten – wir durften beide bei Jonathan bleiben. Die
Schwestern hatten Verständnis.
(Dafür
möchte ich mich an dieser Stelle auch noch einmal offiziell bedanken!)
Geschlafen
habe ich in dieser Nacht nicht.
Der
Anfall war zwar nur kurz gewesen und Jonathan war auch alleine wieder
„rausgekommen“, er hatte keine Medikamente benötigt. Aber…irgendwie hatte ich
Angst. Bekam kaum Luft und musste immer an das ungute Gefühl denken das ich
schon bei der Anreise hierher gehabt hatte.
Jonathan
lag bei mir und jedes Mal wenn er im Schlaf zuckte schreckte ich hoch aus Angst
das er wieder einen Anfall hatte…..
Morgens
habe ich dann zu meinem Mann gesagt das ich schnell in die Pension duschen gehe
und dann wiederkomme, er solle mit Jonathan einfach noch weiterschlafen damit
der kleine Kerl sich erholen könnte.
In der
Pension…wurde mir so übel!!! Keine Ahnung warum. Aus Angst? Vielleicht…mir war
so schlecht dass ich mich minutenlang übergeben musste und dabei liefen die
Tränen. In was für einer BESCHISSENEN Situation steckten wir hier nur fest!!
Ich
duschte und ging wieder zur Klinik, stand schon vor der Tür als mein Handy
klingelte. Mein Mann. Mir sackten die Beine weg, denn ich ahnte es schon. Aber
es war eine Schwester dran die sagte: „Frau Kremer, Sie müssen sofort kommen.
Jonathan hat einen schlimmen Krampfanfall – schon seit einer halben Stunde- und
die Medikamente wirken nicht!“
(……der Krampf
hatte begonnen als ich im Bad stand und mich übergeben musste…Zufall?? Oder
Mama-Gespür??)
Ich raste
in Jonathans Zimmer. Mein Mann trug den kleinen Kerl auf dem Arm. Einen Blick
auf ihn habe ich geschafft, dann musste ich haltlos weinen und weggehen.
Er zuckte
unkontrolliert….war kalkweiß im Gesicht. Ich konnte das nicht ertragen.
Ein
Anästhesist kam ins Zimmer gespurtet, legte einen Zugang am Arm -am krampfenden
Arm!!!-, in SEKUNDEN!! Bei Jonathan ist es NIE einfach einen Zugang zu legen
und jetzt wo er sich auch noch „schüttelte“…dieser Arzt hat meinen VOLLSTEN
RESPEKT!!! Er hat das UNFASSBAR gut gemacht.
Die
Medikamente die Jonathan über den Zugang bekam änderten nichts an seinem
Zustand. Zur Sicherheit wurde er bebeutelt, die Sauerstoffsättigung zu messen
ist bei ihm nicht leicht und man wollte nichts riskieren.
In der
Zwischenzeit rief ich unseren Kinderarzt an der sofort einen Notfallplan auf
mein Handy schickte: Anweisungen welche Medikamente in welcher Dosierung zu
geben waren.
Ein Team
von Rettungssanitätern und ein Notarzt kamen dazu.
Ich sah
an den besorgten Blicken des Arztes dass wir uns grade in einer kritischen Situation
befanden. Sie wollten uns in eine Spezialklinik fliegen –bzw nur Jonathan sollte
fliegen und wir müssten mit dem Auto hinterher fahren. Aber in dem Zustand in
dem er sich momentan befand - konnte man ihn nicht transportieren.
Der
Krampf dauerte mittlerweile fast eine Stunde.
Ich bin
kein Arzt. Aber ich bin nicht dumm. Ein Krampfanfall der so lange dauert….kann
Hirnschäden hervorrufen. Eigentlich….war ich schon überzeugt das es welche
geben würde.
Diese
Szenen in diesem Zimmer….die werde ich NIE vergessen! Das waren mit die
dunkelsten Minuten die wir bisher mit Jonathan erleben mussten.
Irgendwann…hörte
der Krampf auf….ansprechbar war Jonathan nicht, man hatte ihm gegen den Krampf
ein Schlafmittel gegeben. Es hatte gewirkt, er entspannte sich und schlief. Nun
konnten wir transportiert werden, sogar im Krankenwagen: es bestand keine
Notwendigkeit mehr sich „zu beeilen“.
Ich fuhr
im Rettungswagen mit, mein Mann mit dem Auto hinterher.
Im
Rettungswagen sagte der Notarzt mir dass er große Angst bekommen habe als er zu
uns ins Zimmer gekommen sei. Ein so langer und heftiger Krampf der sich nicht
lösen ließ bei einem Kind mit solchen Hirnfehlbildungen…er habe „SCHWERE
BEDENKEN“ gehabt.
Nun…bei
mir kamen während der Fahrt so viele Gefühle und Ängste hoch, ich weinte
durchgehend.
Zum
einen..klar: Jonathan im Krampf zu sehen und Angst zu haben was nun mit dem
Gehirn ist….
Zum
anderen…hatten wir erst vor wenigen Tagen die Mitteilung bekommen das ein
weiteres deutsches Kind mit MOPD1 (Lotta) nach einem Krampfanfall im
Krankenhaus lag. Bei ihr hatte man nun eine „Nekrotisierende Enzephalitis“ -eine
Hirnhautentzündung bei der Teile des Hirns absterben- diagnostiziert.
Wenn
Jonathan das nun auch hatte????
Mir
schnürte sich der Hals zu. Ich hatte solche ANGST!!! Die kleine Lotta kämpfte
um ihr Leben und zu diesem Zeitpunkt war nicht sicher ob sie das überlebt – und
wenn ja in welchem geistigen Zustand…
Müssten
WIR dasselbe nun auch ertragen…..???