WARUM?
Warum trifft es ausgerechnet MICH? Wie soll mein Leben weitergehen? Und: WERDE
ICH DAS SCHAFFEN??? ...
..diese
Fragen stellen sich wohl alle Eltern eines behinderten Kindes hunderte, ja
tausende Male. Aber: es gibt keine Antworten…
Man muß
lernen mit der Situation umzugehen, sie akzeptieren. Die Veränderungen für das
eigene Leben, für die Partnerschaft, für die Geschwisterkinder hinzunehmen und
nicht nur schlechtes in ihnen zu sehen – man muss lernen ihnen positives
abzugewinnen, denn nur so schafft man es weiterzumachen und nicht an der
Situation zu zerbrechen.
Mit
diesem Blog möchten wir anderen Eltern von behinderten Kindern Mut machen.
Ratschläge geben wie WIR es geschafft haben. Eine Plattform schaffen um für das
ein oder andere medizinische Problem einen Lösungsansatz zu finden.
Und
natürlich: euch unseren Sohn vorzustellen!! Sein Leben soll nicht umsonst sein…
Doch von
Anfang an:
Unsere
Diagnose lautet
MOPD Typ 1.
Einer der
seltensten Gendefekte im Kleinwuchsbereich weltweit. Momentan leben in Dtld 3
und weltweit ca 10 Kinder mit diesem Defekt. Und ich sage bewusst KINDER…denn
die Lebenserwartung ist sehr gering, oft nur ein paar Monate.
Aufgrund
der geringen Anzahl der bekannten Fälle ist diese Krankheit weitgehend
unerforscht. Schon einige Male haben wir ratlose Ärzte gesehen die keine Ahnung
hatten wie wir gesundheitliche Probleme lösen können.
Die
Schwangerschaft
Nach
einem gesunden und normal geborenen Kind in 2006 (von einem anderen Vater) wurde
ich Ende 2013 wieder schwanger: mit Zwillingen. Leider hielt diese
Schwangerschaft nur 12 Wochen.
Ende 2014
wurde ich erneut schwanger und auch diese Schwangerschaft stand von Anfang an
unter keinem guten Stern….schon in einer recht frühen Schwangerschaftswoche
setzten das erste Mal Blutungen ein. Ein Schock!!!
Die
Blutungen kamen und gingen bis zur Geburt. Ich schwankte zwischen strikter
Bettruhe, wieder aufstehen dürfen, Arztterminen und auch
Krankenhausaufenthalten.
Jeder
Ultraschall zeigte aber ein quietschfideles Kind, das die Blutungen scheinbar
nicht beeindruckte.
Allerdings:
das Baby war immer zu klein, weit unterhalb jeglicher Durchschnittswerte.
Zuerst korrigierten die Ärzte den Entbindungstermin zwei Wochen nach hinten. Dann
schickten sie mich zur Nackenfaltenmessung: diese blieb ohne Ergebnis, alle
Werte sprachen für ein gesundes Baby. Nun wollte man genauer hinschauen, doch
eine Fruchtwasseruntersuchung hielten die Ärzte für zu riskant da immer wieder
Blutungen auftraten und sie das Baby nicht über die Maßen stressen wollten.
Also wurde eine neue Methode zur Chromosomenanalyse durchgeführt: der
sogenannte Prena-Test. Hierbei war es lediglich notwendig das MIR Blut
abgenommen wurde anhand dessen die Chromosomen des Baby ausgelesen wurden. Auch
dieses Ergebnis sprach für ein gesundes Kind.
Doch
weiterhin fiel das geringe Wachstum auf. Ich wurde zu Untersuchungen in eine
größere Klinik geschickt. Das Ergebnis hier: meine Plazenta sei eine Kugel und
viel zu klein, sie könne das Kind offensichtlich nicht ausreichend versorgen.
Häufigere Kontrollen seien notwendig, das Baby aber fit und gut durchblutet:
also erst mal kein Grund zur Besorgnis!
Bei einer
späteren Untersuchung in der Klinik wurden aber auch hier die Ärzte stutzig
weil das Kleine einfach nicht richtig wachsen wollte und meine Blutungen
stärker als je zuvor wiedergekommen waren. Also entschlossen wir uns gemeinsam
mit dem Ärzteteam nun doch zu einer Fruchtwasseruntersuchung – trotz der
Risiken. Doch meine Einstellung war: Ich möchte kein behindertes Kind!! Ich
kann und will damit nicht leben!!! Und so sollte ebendies ausgeschlossen
werden…
..wenn
ich damals nur schon das gewußt hätte was ich heute weiß…..
Das
Ergebnis der Fruchtwasseruntersuchung zeigte das wir zu 99,9% ein gesundes Kind
erwarten – und zwar einen kleinen Jungen! 8o)
Wir
wurden von den Ärzten darauf vorbereitet daß wir sehr wahrscheinlich aber ein
Frühchen bekommen würden. Da keine Gendefekte gefunden worden waren spreche das
geringe Wachstum für eine Unterversorgung durch die Plazenta und das wiederum
führe meist zu einer Frühgeburt.
Kurz vor
Ende des 7.Schwangerschaftsmonats bekam ich Wehen. Die Frauenärztin schickte
mich sofort mit dem Krankenwagen in die Klinik wo ich stationär aufgenommen
wurde. Ich bekam einen Wehenhemmer und vorsichtshalber auch eine Spritze die
die Lungenreife herbeiführen sollte.
Die
Geburt und das erste Kennenlernen
Am
nächsten Tag wurden die Werte des CTG schlechter und deswegen entschlossen sich
die Ärzte zu einem Notkaiserschnitt. Innerhalb von 20 Minuten lag ich –total
überfordert- im Op. Da wir knapp 80 km von der Klinik entfernt wohnen konnte
mein Mann nicht rechtzeitig da sein und ich war allein mit dieser Situation die
mich an die Grenzen der Belastbarkeit brachte.
Ich
durfte meinen kleinen Jungen nicht sehen, er wurde sofort in die Kinderklinik
gebracht.
Sein
Geburtsgewicht betrug 490g und er war 29cm groß.
Einige
Stunden nach der Geburt durfte mein Mann in die Kinderklinik und einen ersten
Blick auf ihn werfen….alles was er sagen konnte als er mir berichtete: „ Er ist
so unglaublich klein!! Aber auch unglaublich schön!“
Am
nächsten Morgen durfte/konnte dann auch ich zu unserem Kleinen. Ich wußte was
mich erwarten wird: Kabel, viele Kabel!…Geräte die piepsen…komische Gerüche…und
doch war ich geschockt: er war so unfassbar klein!! Und da er sehr unreif war,
war auch seine Haut noch nicht „fertig“: sie war dunkel. Zudem war er mit
Hämatomen übersäät und man hatte ihn bei der Entbindung auch in die rechte
Seite geschnitten…sein Gesicht konnte ich überhaupt nicht sehen denn es war
hinter einer Atemhilfe (Cpap) verborgen.
Ich kann
nicht wirklich beschreiben was mir durch den Kopf ging als ich das alles zum
ersten Mal gesehen habe: von Angst (um mein Baby) über Erleichterung (das die
schwierige Schwangerschaft vorbei ist und die Verantwortung für dieses Leben
nicht mehr bei mir liegt) zu Panik (diese Klinik, dieser Kasten wird für lange
Zeit der Mittelpunkt in seinem Leben sein) zu noch größerer Panik (werde ich es
schaffen mit dieser Situation umzugehen?) zu Traurigkeit (das mein Mann bei
seinem ersten Kind so etwas erleben muß) …vermutlich kann diese Situation auch
nur jemand nachvollziehen der sie selber erlebt hat.
Nachdem
der erste Schock überwunden war begann ich den Kleinen genauer zu betrachten
und Fragen an die uns betreuende Schwester zu stellen. Mir ist eigentlich
sofort aufgefallen das seine Hände und Füße irgendwie…merkwürdig aussahen. Zu
klein und zu dick….die Finger und Zehen zu kurz und einfach ganz anders als ich
es von meinem großen Sohn, Marvin, in
Erinnerung hatte. Diese Beobachtung sollte noch eine Rolle spielen – doch für
den Moment bekamen wir nur die Auskunft das dies bei Frühchen oft der Fall sei:
es handele sich um Wassereinlagerungen die noch verschwinden würden.
Die Haut
werde in einigen Tagen auch ausgebildet sein und dann könnten wir ihn anfassen,
bis dahin: nur ganz leicht an der Handinnenfläche berühren – alles andere
verursache ihm Schmerzen. (Doch selbst diese Berührung war für mich
grenzwertig: die Haut war klebrig und ich hatte unsägliche Angst ihn zu
verletzen.) Die Schnitte werden verheilen, die Hämatome verschwinden.
Die beste
Nachricht jedoch war: er atmete von alleine!!! Von Anfang an!!! Er war nie auch
nur eine Sekunde lang beatmet, und das mit diesem Gewicht! Er hatte einfach
einen unbändigen Willen zu leben! Das machte uns Mut und gab uns Hoffnung….
….schon
lange vor der Geburt war natürlich der Name ein Thema in unserer Familie
gewesen…nach der Fruchtwasseruntersuchung stand fest es wird ein Junge, die
Mädchennamen wurden also verworfen. 8o)
Ich
wollte einen PHIL – einen PHIL COLLIN um genau zu sein, denn ich bin riesiger
Phil Collins Fan!! Mein Mann fand den Namen „Ok“, aber nicht berauschend. Dann
kam mein großer Sohn mit dem Vorschlag JONATHAN – den ich erst gar nicht toll
fand. Zu lang, zu holprig, zu hart….doch je länger er mir durch den Kopf
schwirrte desto mehr Gefallen fand ich daran. Das ging meinem Mann ähnlich.
Aber von Phil lösen konnte ich mich auch nicht so ganz. Also schlossen wir
einen Kompromiss: sollte das Baby mit Haaren geboren werden hieße es JONATHAN,
sollte es mit Glatze zur Welt kommen hieße es PHIL (sorry an Phil Collins: aber
die Haare sind nun mal lichter geworden mit den Jahren!).
Und dann
lag ich ihm OP und hatte Angst und zitterte vor mich hin. Die Schwestern wollten
mich ablenken und fragten wie der Bub denn heißen soll. Also habe ich ihnen von
unserem Kompromiss erzählt und sie …haben sich kaputt gelacht!! 8o) Ich glaube
es waren 12 Leute im OP und alle haben sich amüsiert, es war eine tolle
Stimmung in dieser schwierigen Situation und ich konnte mich dadurch ein wenig
entspannen und fallen lassen. Das haben die Schwestern wohl bemerkt denn sie
haben das Thema aufgegriffen und mir gesagt das JONATHAN so viel schöner sei
und der Name auch nicht mehr so häufig vorkomme heutzutage. Dann schaute eine
Anästhesistin über das Tuch und meinte: „ Es ist ein Jonathan!“, und die
andere: „Quatsch, er hat KEINE Haare!“, darauf die erste wieder: „Macht nix,
wir sagen dem Papa einfach die sind innerhalb von 5 Minuten alle ausgefallen!“…8o)))
Und das haben die Damen auch genauso gemacht….8o))))
Also
wurde er Jonathan genannt. Und wir sind heute sehr froh darüber!! JONATHAN
kommt aus dem hebräischen und bedeutet frei übersetzt: GESCHENK GOTTES. Und
genau das ist er: unser Geschenk Gottes!! Er hat zum einen diese schwierige
Schwangerschaft überstanden und sich mit einem Gewicht von nur 490g ins Leben
gekämpft, zum anderen ist er eins von nur 10 Kindern weltweit mit dem Gendefekt
MOPD Typ 1. Wenn also „Jonathan“ nicht passend für IHN ist, für wen dann?????
Die Zeit
in der Kinderklinik
…war
schwierig und eine große Herausforderung für uns alle: meinen Mann und mich,
meinen Sohn, aber auch für unsere Eltern, Geschwister und Freunde.
Mein Mann
und ich durften quasi Tag und Nacht zu Jonathan, wann immer wir wollten. Mein
Sohn durfte aufgrund seines Alters (er war zu Beginn dieser Zeit noch 8 Jahre
alt) ÜBERHAUPT zu seinem Bruder, durfte
nur durch eine Glasscheibe vom Balkon aus schauen – was für ihn aber
unbefriedigend und auch langweilig war. Unsere Eltern konnten einmal pro Woche
vorbeikommen, durften Jonathan aber nur ansehen und nicht berühren (wegen
eventueller Keime). Unsere Geschwister waren gezwungen ihn vom Balkon aus anzuschauen,
sie hatten ebenfalls keinen Zutritt.
Für uns
hieß es nun unser Leben neu organisieren. Mein Mann und ich waren die Einzigen
die wirklich immer zu Jonathan durften und ihn auf seinem Weg unterstützen
konnten. Also:
Wenn ich
in die Klinik fahren wollte brauchte ich Betreuung für Marvin. Und dann saß ich
bei Jonathan und habe mich dauernd gefragt was der Große wohl macht und wie es
ihm geht? War ich aber zu Hause habe ich mich um Jonathan gesorgt…es war eine
sehr anstrengende Zeit!
Mein Mann
ist jeden Abend nach seiner Arbeit in die Klinik gefahren: so war für viele
Stunden am Tag jemand dort - aber Marvin und ich haben ihn kaum zu Gesicht
bekommen. Auch ein geregeltes Familienleben mit gemeinsamen Mahlzeiten fand in
dieser Zeit nicht wirklich statt.
Um es
vorweg zu nehmen: wir waren 5 Monate in der Klinik und es war eine Zeit die uns
alle (aus verschiedenen Gründen!) an unsere Grenzen gebracht hat. Und noch
heute: mehr als 1,5 Jahre später bekomme ich Gänsehaut, Atemnot und Tränen in
den Augen wenn ich im Fernsehen in einer Frühchensendung diese Geräte piepsen
höre!!! Oder darüber schreibe….
Aber
zurück zum medizinischen…
Ich bin
den Ärzten vom ersten Tag an immer wieder „auf die Nerven gegangen“ weil mich
die „komischen“ Hände und Füße irritiert haben. Und nach circa einer Woche hat
mich die Stationsärztin dann mit in ihr Büro genommen und mir eröffnet das man
vermutet daß unser Sohn kleinwüchsig ist. Diese Diagnose liege nahe wegen der
Hände und Füße, außerdem seien auch Knochenanomalien beim Röntgen aufgefallen.
Aber um es sicher zu sagen müsse man noch mehrere Tests machen.
In diesem
Moment hielt sich mein Schock in Grenzen: Kleinwuchs…ok: nicht schön aber auch
kein Weltuntergang! Es gibt eine Menge Kleinwüchsige die ein relativ normales
Leben führen - und sogar Schauspieler werden können.
Doch dann
kam der Ultraschall des Kopfes, des Gehirns …und uns wurde erklärt es gibt
große Auffälligkeiten und Probleme mit dem Gehirn. (Medizinische Fakten stelle
ich in unterstrichen vor damit es leichter ist sie aus meinem Text
herauszufiltern!!!)
Jonathan
hat einen Mikrocephalus, also einen viel zu kleinen Kopf. In diesem kleinen
Kopf kann natürlich auch nur ein kleines Gehirn sitzen. Doch leider ist das
Gehirn bei ihm nochmal kleiner als der Kopf und im hinteren Bereich befindet
sich nur Hirnwasser. Zudem fehlt die Gyrierung des Gehirns, also die Windungen:
es ist glatt wie ein Apfel und nicht „wellig“ wie eine Walnuss. Der Balken, der
die rechte und linke Hirnhälfte verbindet, fehlt komplett. Und es sind diverse
Zysten im Gehirn vorhanden.
Das war
dann ein immens großer Schock! Ich hatte doch von Anfang gesagt das ich kein
behindertes Kind möchte, hatte alle Tests machen lassen und nun sowas??? Wie
sollte ich damit klarkommen??? Was würde er überhaupt können im Leben??? (Wie
wir mit dieser Situation klarkamen und was grade mich beschäftigt hat werde ich
später genauer beschreiben.)
Für uns
wurde ein Gespräch mit einer Humangenetikerin in der Klinik vereinbart – und
das hat mich stutzig gemacht. Ich habe zu meinem Mann gesagt das scheinbar noch
mehr im Argen liegen muß ansonsten würde uns doch keine Humangenetikerin an die
Seite gestellt??
Und so
war es dann auch. Die Humangenetikerin eröffnete uns das sie sicher sei das
Jonathan kleinwüchsig wäre, doch zusammen genommen mit den Hirndefiziten
vermute sie eine extrem seltene Form. Sie wollte uns keine Auskunft darüber
geben WELCHE Form: damit wir uns nicht verrückt machen indem wir im Internet
recherieren…und außerdem könne es diese Erkrankung eigentlich gar nicht sein,
denn sie habe vor nicht einmal zwei Jahren ein Kind mit dieser seltenen Form in
genau dieser Klinik betreut – und es sei ja dermaßen UNWAHRSCHEINLICH das man
nun einen zweiten Fall habe!!!! Sie
erbat unsere Erlaubnis Röntgen- und Ultraschallbilder sowie die Krankenakte
einem befreundeten Professor vorzulegen der im Bereich des Kleinwuchses
forsche. Wir haben die Erlaubnis erteilt denn uns war sehr daran gelegen endlich
zu wissen mit was wir es zu tun hatten!
Ich weiß
nicht mehr wie lange es gedauert hat bis wir ein erneutes Gespräch mit der
Humangenetikerin führten und sie uns sagte das der Professor ihre Vermutung
bekräftigt habe und sie jetzt gerne eine Genanalyse durchführen würde um die
Diagnose zu bestätigen.
Jetzt
wurde zum ersten Mal der Name der Krankheit erwähnt:
MOPD Typ
I.
Nur
Buchstaben…und trotzdem werden diese Buchstaben unser Leben und das unserer
Familien ab jetzt vollkommen auf den Kopf stellen und uns alle auf die härteste
Probe stellen die man sich vorstellen kann.