Freitag, 23. Juni 2017

Vorbereitungen für die Entlassung
Jetzt wurde es also wirklich ernst!! Mein Herz hämmerte, ich war so AUFGEREGT!!! Freute mich…und hatte auch ein bißchen Angst um ehrlich zu sein!
Bisher waren wir unter dauernder Beobachtung gewesen was Jonathans Blutwerte, Medikamentengaben, Herzfrequenz oder auch den Blutdruck anging – wenn er nach Hause kam waren wir komplett allein für ihn verantwortlich!! Und ich kann aus meiner Erfahrung sagen, ich habe ja schon ein „gesundes“ Kind: das hier war eine ganz andere Hausnummer!! Zu Anfang der Schwangerschaft hatte mein Mann immer gesagt: „Du kennst Dich aus, Du hast ja alles schon mal erlebt: das ist dann kein Problem und Du bringst mir alles bei!“…ja…hatten wir uns so gedacht. Doch nun war ich zum zweiten Mal Mutter und ALLES war NEU und ANDERS. Also konnte ich meinem Mann GAR NICHTS beibringen, wir lernten gemeinsam die Fürsorge für ein besonderes Kind.

Das fing schon damit an das wir Jonathan im Krankenhaus kurz vor der Entlassung gemeinsam baden durften – nur mein Mann und ich, ganz alleine. Es war ein sehr schöner Moment, das muß ich betonen!! Ein Stück „Normalität“ das andere Eltern eines knapp 5 Monate alten Babys sicherlich gar nicht mehr wirklich wahrnehmen. Aber für uns war es einfach nur…toll!! Aber…und jetzt muß ich bei der Erinnerung ein wenig schmunzeln!!! Es war gar nicht so einfach ihn zu baden…im Gegensatz zu Marvin der schon bei der Geburt 54cm und 3700g hatte, war Jonathan an diesem Tag nur knapp 38cm lang und brachte ca 1800g auf die Waage, seine Arme und Beine waren so unglaublich dünn und dann: HASSTE er es zu baden!!! Er hat geschrien und sich gewunden, war glitschig vom Wasser und wir hatten Angst ihn zu fest zu drücken…es war eine ganz schöne Herausforderung und wir haben beide ziemlich geschwitzt. Wobei…das könnte natürlich auch an der Wärmelampe gelegen haben die genau über uns hing…8o)))


Aber für eins war meine Erfahrung mit meinem ersten Sohn dann doch wichtig: ich habe meinem Mann ein paar Tage vor der Entlassung gesagt das wir uns am besten mal mit unserem Autositz/MaxiCosi beschäftigen sollten. Damit, wie wir Jonathan darin transportieren wollen, denn er war ja ziemlich klein! Einen „Frühchenadapter“ hatten wir, dann haben wir uns ein Plüschtier gesucht das ungefähr 38cm Länge hatte und haben versucht es in dem Sitz anzuschnallen. Nun ja...trotz Frühchenadapter...es hat nicht geklappt! Das Plüschtier war viel zu klein: nach oben und unten war zu viel Luft, die Gurte waren selbst in der kleinsten/engsten Stufe viel zu weit. Ich war entsetzt!! Wir mußten von der Kinderklinik bis nach Hause knapp 80km fahren: da kann man das Baby doch nicht so transportieren!! Das ist ja total gefährlich!!

Ich dachte zuerst an einen Transport im Krankenwagen, den hätten wir dann eben bezahlt. Aber mein Mann sagte –zu Recht!- es müsse doch eine Lösung geben - denn wir müssten ja mit ihm zu Hause auch Auto fahren: zum Arzt, zum Einkaufen…

Mein Mann fing an im Internet zu recherchieren. Und ist auf den BKMF gestoßen: den BUNDESVERBAND FÜR KLEINWÜCHSIGE MENSCHEN UND IHRE FAMILIEN. Dorthin hat er eine Mail geschickt und dann mit einem sehr netten Mann telefoniert der uns erklärt hat wie wir unter zu Hilfenahme von Mulltüchern und Pampers Jonathan so „verankern“ können das er sicher in seinem Autositz sitzen kann. An dieser Stelle: ein großes Dankeschön an diesen Verband!! Sie standen uns oft mit Rat und Tat zur Seite und viele Probleme hätten wir ohne die Hilfe des BKMF nicht lösen können.


So: nun war also auch dieses Hindernis aus der Welt geschafft!! Jetzt konnten wir den Sitz benutzen, hatten Jonathans Bett und Wickeltisch hergerichtet, alle Medikamente und Hilfsmittel zu Hause, Fläschchen ausgekocht und wir hatten auch Kleidung für ihn.

Und dann war der große Tag gekommen.

Ich kann gar nicht genau beschreiben was in mir vorging an diesem Tag! In der Nacht vorher hatte ich kaum geschlafen, ich war so aufgeregt!! Nach fast 5 Monaten durfte mein Baby endlich nach Hause kommen, dahin wo es hingehörte – zu seiner Familie.

Wir sind zum ersten Mal mit „Gepäck“ durch die Türen der Frühchenstation gegangen: ansonsten darf man Gegenstände wegen der Keime nicht mitbringen, muß sie im Spind lassen. Doch heute wartete Jonathan in einem Zimmer allein auf uns, damit wir keine anderen Kinder in Gefahr brachten mit der Kleidung und dem Autositz.

Es war ein unfassbares Gefühl zu wissen das wir heute zum letzten Mal auf dieser Station sind!! Natürlich war auch ein bißchen Wehmut dabei: wir hatten zu einigen Schwestern über die Monate eine sehr enge Bindung aufgebaut, hier war für lange Zeit unser Zuhause gewesen…Jonathans erstes Zuhause. Ohne die aufopfernde Betreuung der Ärzte, Schwestern und Pfleger hätte unser Junge es vielleicht gar nicht bis hierher geschafft!!! Und auch für mich war das Pflegepersonal auf dieser Station eine Stütze gewesen: es hat natürlich Momente gegeben in denen ich auf der Station geweint habe, in denen ich das Gefühl hatte es keinen Tag länger auszuhalten..zu verzweifeln an dieser Situation. Dann hat man mich hier aufgefangen, mir neue Kraft gegeben. Die Pflege hatte sich nicht nur auf Jonathan erstreckt, sondern auch auf uns…

Und von einigen fiel uns deswegen der Abschied sehr schwer. Besonders von der Schwester die Jonathan zur Welt gebracht hatte. Sie war von Anfang an ein so wichtiger Mensch für mich: abgesehen davon das sie unfassbar sympathisch ist war sie bei meiner Entbindung dabei, hatte Jonathan noch vor mir gesehen und ihn ins Leben „geschupst“…ich konnte mit ihr darüber reden, sie Dinge fragen die ich nicht mitbekommen hatte (mein Mann war und ist bei diesem Thema außen vor, er hat es ja leider nicht rechtzeitig zur Geburt ins Krankenhaus geschafft). Ohne sie hätte ich die Eindrücke dieser (nicht schönen) Geburt mit Sicherheit nicht so gut verkraftet und nicht so gut aufarbeiten können. Außerdem habe ich wenige Menschen außerhalb unserer Familie erlebt in deren Augen ein solches Strahlen steht wenn sie mein Kind betrachten, die ihn so bedingungslos annehmen und lieben…Deswegen bin ich sehr froh und dankbar das wir bis heute in Kontakt stehen: sie besucht Jonathan so oft es ihr möglich ist. DANKE DAS ES DICH IN UNSEREM LEBEN GIBT!!

Ein weiteres Bindeglied zu unserer Zeit in der Klinik ist ein Pfleger der Frühchenstation. Mit ihm war ich schon Jahre bevor Jonathan sich ankündigte befreundet und er ist mit ein Grund warum wir uns ausgerechnet dieses Krankenhaus ausgesucht haben: denn er ist ein Mensch dem ich vom ersten Moment unserer Bekanntschaft an mein vollstes Vertrauen geschenkt habe. Als die Ärzte die Vermutung äußerten daß wir ein Frühchen bekommen würden stand für mich sofort fest das ich in das Krankenhaus gehen möchte in dem er arbeitet – bei ihm würde ich mich geborgen und gut betreut fühlen. Auch er ist heute noch an unserer Seite und hilft uns wo er kann. DANKE…AUCH WENN ES EIN ZU KLEINES WORT FÜR DAS IST WAS DU FÜR UNS GETAN HAST! ICH WEISS DAS ES NICHT IMMER EINFACH FÜR DICH WAR…GRADE DESWEGEN WERDEN WIR DIR DAS NIE VERGESSEN!!


Diese beiden für uns so wichtigen Menschen waren am Tag unserer Entlassung auf Station, und sie haben mir einen Wunsch erfüllt:
Sie haben sich gemeinsam in die Ausgangstür gestellt nachdem ich mit meinem Mann und Jonathan hindurch gegangen war – beim Blick zurück haben sie uns gewunken….und dieses Bild, diesen Eindruck habe ich mitgenommen und trage ihn bis heute in meinem Herzen. Ein gutes Bild…ein schöner Eindruck…und ein würdiger Abschluß nach dieser wirklich wirklich harten Zeit!!


Zuhause
Das Gefühl nach einer so langen und aufreibenden Zeit durch die Türen der Klinik zu gehen – und zwar MIT unserem Sohn…ich habe keine Worte dafür. Und werde vermutlich auch nie Worte dafür finden. Wahrscheinlich kann das auch nur jemand 100% nachvollziehen der ähnliches erlebt hat.
Mir liefen Tränen über die Backen und ich war UNENDLICH ERLEICHTERT.
Jetzt nur noch: NACH HAUSE!!! Zu MARVIN!!! Meine Jungs sollten sich endlich kennenlernen, spüren, riechen….

Die Autofahrt war mir noch nie so lang vorgekommen wie an diesem Tag! Am liebsten hätte ich Flügel an meinem Auto ausgeklappt damit es schneller geht. 8o))

Und dann: endlich!!! Nach fast 5 Monaten!!! Durch die Haustüre in die Wohnung und da kam Marvin schon angerannt (er war eine halbe Stunde vorher von seinem Opa nach Hause gebracht worden wo er den Tag verbracht hatte). Ich weiß nur noch das er in Dauerschleife „Mein Bruder!!! Mein Bruder!!“ gerufen hat…dann hat er sich neben das MaxiCosi gesetzt, Jonathan angefasst und…geweint…

Da ist mir wirklich sehr deutlich bewußt geworden wie sehr auch ER gelitten hat in dieser Zeit! Wie hart es sein muß ein Geschwister zu haben das man nicht kennt…das aber die Eltern voll in Beschlag nimmt – und um das sich fast alles im täglichen Leben dreht!!

Ich hatte vorher ein bißchen Angst wie die Beziehung der beiden werden würde: erstens waren sie 9 Jahre auseinander und zweitens war Jonathan jetzt schon ein paar Monate alt und Marvin kannte ihn gar nicht – hatte das der Bindung geschadet??? Als ich nun sah wie erleichtert auch Marvin war seinen Bruder bei sich zu haben…wie er Jonathan ansah…wie er ihn liebevoll in den Arm nahm und anhimmelte…da wußte ich das ich mir keine Sorgen zu machen brauchte!! Und bis heute ist er ein SUPER großer Bruder!!


Mein Mann hatte ein paar Tage Urlaub genommen (seine Elternzeit begann erst in einigen Wochen) so daß wir die erste Zeit zu Hause wirklich alle gemeinsam genießen konnten.
Es war alles sehr aufregend….und unglaublich schön!!! Füttern, Medikamente geben, Blutdruck messen: es hat alles wunderbar geklappt, wir hatten in der Klinik ja auch geübt!!


Was wir aber direkt beschlossen haben als wir heimkamen: wir versuchen mal ohne die Magensonde klarzukommen!! Wir hatten es beide gehasst sie zu legen und zumindest ich hatte auch ein wenig Angst das zu Hause ohne die „Aufsicht“ und „Kontrolle“ von erfahrenem Fachpersonal machen zu müssen. Also haben wir überlegt wie wir die Medikamente am sinnvollsten verabreichen könnten und uns dann entschieden sie in ein wenig Saft zu geben und die Mischung dann mit der Spritze direkt in den Mund zu spritzen. Wir haben für uns beschlossen: wenn das drei Tage lang funktioniert OHNE daß wir die Sonde brauchen – dann wird sie gezogen…

Über alle Medikamentengaben, Mahlzeiten und Blutdruckmessungen haben wir Buch geführt um uns einen Überblick zu verschaffen: wie viel Nahrung nimmt Jonathan auf? Wann müssen wir welche Medikamente geben und haben wir dabei den Abstand zu den Mahlzeiten korrekt eingehalten??? Manche Medikamente müssen auch zu bestimmten Uhrzeiten (im 12-Stunden- oder 24-Stunden-Takt) gegeben werden: haben wir heute daran gedacht???? Ist sein Blutdruck höher wenn er grade gegessen hat??? Wie ist sein Blutdruck überhaupt, wirkt das Medikament???
(Es hat eine Zeit gedauert das alles zu verinnerlichen: heute geht das ohne darüber nachzudenken!!)

Nach drei Tagen haben wir festgestellt das wir die Sonde nicht benutzt haben: also raus mit dem Ding!! Sieht sowieso „scheiße“ aus: so ein Schlauch im Gesicht!! 8o))
Wenn wir da schon gewußt hätten was wir zwei Wochen später in der Klinik erfahren haben!