Die
ersten Tage nach dem Krampfanfall zu Hause waren sehr schlimm für mich: ich
hatte Angst, eher schon richtige Panik!, das es wieder passieren könnte.
Ich habe
Jonathan den ganzen Tag auf meinem Arm herumgetragen, die Hausarbeit blieb
liegen…wenn er geschlafen hat dann auch tagsüber meist in meinem Arm. War ich
gezwungen ihn doch mal in sein Bett zu legen (weil ich duschen oder kochen
musste), dann bin ich alle paar Minuten in sein Zimmer gerannt um nach ihm zu
sehen.
Mein Mann
hat in dieser ersten Zeit komplett im Homeoffice gearbeitet weil ich den
Gedanken nicht ertragen konnte das er tagsüber stundenlang circa 90 Kilometer
entfernt ist. (DANKE AN DIESER STELLE AN MAX DAFÜR DAS DIES ÜBERHAUPT MÖGLICH
WAR!
MAX:
THANK YOU FOR BEING SO GENEROUS AT THIS TIME!)
Aber mit
jedem Tag der verging gewann ich ein Stückchen „Vertrauen“ zurück und es ging
mir besser. Auch Jonathan ging es zunehmend besser: die Wirkung der krampflösenden
Medikamente verging und er war nicht mehr so müde und schlapp, der Ausschlag
verblasste.
Die
Wochen vergingen und wir feierten unsere kirchliche Hochzeit in ganz kleinem
Rahmen: 1.war es für uns ein sehr „intimer“ Tag an dem es uns ausschließlich darum
ging Gottes Segen zu erhalten für unseren Weg mit Jonathan - dieser Weg würde
schwierig werden und wir könnten jede Hilfe gebrauchen die wir bekommen
konnten. Und 2.wäre uns eine große Feier mit Jonathan auch zu anstrengend
gewesen. Wir wollten es in diesen Wochen ein bisschen „ruhiger“ angehen lassen
aus Angst dass erneut ein Krampfanfall entstehen könnte wenn der kleine Mann zu
sehr unter Stress stand.
Die OP an
Leistenbruch und Hodenhochstand rückte näher, in circa zwei Wochen sollte sie
durchgeführt werden - und mir graute schon sehr davor!!! Um auf andere Gedanken zu kommen beschlossen wir
Jonathans Geburtstagsausflug nun endlich nachzuholen! 8o)
Also
haben wir samstags alles zusammen gepackt und sind in den Zoo gefahren. Hach,
was waren wir aufgeregt! 8o))
Auch an
diesem Tag wurden wir wieder einige Male angesprochen in der Art: „Wie alt ist
denn das Kleine? Bestimmt noch ganz frisch, oder?“. Und wir mussten uns wieder
einige Male vehement dagegen wehren wenn jemand Jonathan einfach anfassen
wollte. Okay: das würde nun also unser Leben sein wenn wir in die
Öffentlichkeit gingen! Wir mussten uns wohl oder übel daran gewöhnen…
Was mir
von diesem Tag in Erinnerung geblieben ist, weil es mir sehr wehgetan hat, war
die Aussage eines kleinen Mädchens.
Wir saßen
beim Mittagessen, Jonathan schaute über meine Schulter zum Nachbartisch und
dort saß das Mädchen –sie war vielleicht 2 oder 3- mit ihren Eltern und aß zu
Mittag. Sie schaute Jonathan sehr intensiv an und sagte dann: „Papa schau mal,
das Baby ist SOOO HÄSSLICH!“….ihren Eltern war das offensichtlich sehr
peinlich, hatten die doch sofort bemerkt das Joni nicht gesund ist. Ich war
nicht böse oder sauer..das war die Aussage eines Kindes, Kinder reden wie sie
denken und das ist auch gut so! Trotzdem.. ich hatte dicke Tränen in den Augen
und musste mehrfach schlucken. Ich weiß das mein Sohn „anders“ aussieht, ich
sehe es ja selbst..aber es ausgesprochen zu hören war schon schlimm.
Aber bis
auf diese Punkte: war der Ausflug in den Zoo genau so toll wie wir ihn uns
ausgemalt hatten! Natürlich hat Jonathan nicht über den ganzen Zoobesuch hinweg
aufmerksam alle Tiere angeschaut – das kann man ja noch nicht mal von einem
gesunden Einjährigen erwarten, also erst Recht nicht von ihm! Aber er hat
Giraffen, Zebras und besonders die Elefanten bestaunt! Ein Elefant stand direkt
vor uns und hat mit dem Rüssel gewedelt: Jonathan war völlig weggetreten vor
Faszination über dieses große Tier! Deswegen hat er als Erinnerung auch einen
Mini-Elefanten aus Plüsch bekommen. 8o)
In den
nächsten Tagen erzählten wir jedem wie toll unser Ausflug gewesen war. Wie sehr
wir es genossen hätten etwas „normales“ zu tun und einfach mal gemeinsam Spaß
zu haben!
Allerdings
schlief ich trotz dieses schönen Erlebnisses jede Nacht ein bisschen
schlechter, mir drehte sich der Magen um und ich hatte das Gefühl nicht mehr
atmen zu können: der OP-Termin kam näher…
Rota-Viren
Und dann
saßen wir abends mit Jonathan auf der Couch und gaben ihm die letzte
Milchflasche des Tages. Er trank – und spuckte die Milch wieder aus. Naja, ab
und an passiert das ja mal. Aber irgendwie…hatte ich auf einmal ein komisches
Gefühl! Ich sagte zu meinem Mann das er auch mittags nach dem Gläschen gespuckt
habe und nun schon wieder? Komisch…aber ok.
Wir haben
nicht weiter darüber nachgedacht und ihn gekuschelt damit er einschlafen
konnte. Aber er setzte sich hoch und…spuckte schon wieder. Hmmm…also jetzt
wurde es mir mulmig! Das hatte er ja noch nie gemacht!
Um es
kurz zu machen: das war erst der Anfang. In dieser Nacht hörte Jonathan nicht
mehr auf sich zu übergeben und bekam auch Durchfall. Er trank zwischendurch
immer wieder Milch und auch Tee, Flüssigkeit nahm er also auf – aber er erbrach
alles wieder. Immer und immer wieder…er war völlig erschöpft und gegen Morgen
war keine Flüssigkeit mehr da die er hätte ausspucken können, aber er würgte
sich trotzdem unfassbar stark. Ich war nun soweit den Notarzt anzurufen.
Und in
diesem Moment ging es ihm augenscheinlich besser: weder Erbrechen noch
Durchfall, er entspannte sich und konnte ein wenig schlafen. Das habe ich auch
getan. Aber kaum öffnete der Kinderarzt, habe ich dort angerufen und
geschildert wo das Problem lag. Ich solle sofort in die Praxis kommen bekam ich
gesagt.
Jonathan
ist mein zweites Kind und man entwickelt ja schon ein Gespür dafür wann eine
Erkrankung schlimmer ist…an diesem Morgen habe ich ernsthaft überlegt schon
eine Tasche mit Klamotten für die Klinik zu packen und mit zum Arzt zu nehmen.
Aber dann habe ich gedacht: das ist dann die SELBSTERFÜLLENDE PROPHEZEIHUNG!
Das kann ich nicht machen, denn sonst lande ich auf jeden Fall im Krankenhaus…
Also bin
ich ohne Tasche zum Arzt gefahren.
Jonathan
war munter und hat geplappert und gestrampelt. Der Arzt kam und ich habe
erzählt wie die Nacht so war. Er hat sich alles angehört, dabei gefragt was wir
vor 2-3 Tagen gemacht hätten (ich sagte das wir im Zoo waren) und Jonathan dann
ausgezogen bis er den nackten Bauch vor sich hatte. Dann hat er vorsichtig eine
Hautfalte zwischen die Finger genommen, hochgezogen, losgelassen und ein
niederschmetterndes Urteil gefällt:
„Es tut
mir wirklich total leid. Aber Sie müssen in die Klinik fahren. Jonathan ist
dehydriert und braucht vermutlich eine Infusion. Ich weiß das ist schwer für
Sie…aber wir bekommen das jetzt nicht alleine hin, es ist notwendig! Ok? Ich
telefoniere mit der Klinik und melde Sie an, Sie fahren heim und packen ein
paar Sachen ein. Aber dann fahren Sie bitte SOFORT los. Es könnte sein das
Jonathan die Rota-Viren hat. Ich melde mich in den kommenden Tagen bei Ihnen,
in Ordnung?“
Ich weiß
nur noch dass ich genickt und „Ok“ gesagt habe. Ich vertraute unserem Arzt,
wenn er sagte das es NOTWENDIG war: dann war es das auch…aber mir gingen
tausend Gedanken durch den Kopf: da hatte ich so lange von der Feier zum ersten
Geburtstag geträumt und dann hatten wir den Tag nicht so feiern können wie wir
wollten. Bald sollte die OP durchgeführt werden und wir würden für einige Tage
in der Klinik bleiben müssen. Und JETZT sollte ich da auch hinfahren und wir
würden sicherlich über Nacht bleiben müssen?? Allein beim Gedanken an die
Geräusche und Gerüche ging mir der Hals zu…
Ich
konnte meine Tränen nicht mehr unterdrücken. War mir peinlich, aber ließ sich
nicht ändern. Die Vorstellung das Jonathan heute Abend nicht zu Hause sein
würde war nun mal schlimm für mich. Und auch für Marvin würde das schlimm sein!
Als Jonathan die ersten fünf Monate seines Lebens in der Klinik verbracht hatte
war das für uns „normal“: wir kannten es ja nicht anders. Doch als er dann
wegen der Krampfanfälle einige Tage nicht bei uns war…war das Haus auf einmal
so leer und so still. Das hatten wir alle gespürt und ich hatte wenig Lust
darauf das in den kommenden Tagen schon wieder
zu erleben!
Mir blieb
aber keine Wahl, der Kinderarzt sagte zwar nicht dass Lebensgefahr bestehe –
bat mich aber mich so schnell als möglich auf den Weg zu machen und im
Krankenhaus auf einem Test nach Rota-Viren zu bestehen.
Also bin
ich heimgefahren um die Tasche zu packen und habe mich nun doch geärgert das
ich morgens nicht auf mein Bauchgefühl vertraut und sie schon fertig gemacht
hatte. Beim Packen habe ich dann meinen Mann angerufen und auf den neuesten
Stand gebracht. Er war betroffen und meinte das er leider nicht sofort in
die Klinik kommen könnte: er habe noch
ein paar wichtige Meetings, käme aber am Nachmittag. Und weil er mich
kennt…sagte er auch direkt das er mit seinem Chef sprechen und diesem mitteilen
würde das er morgen nicht zur Arbeit käme, denn sicherlich sollte er bei
Jonathan in der Klinik bleiben??? Ich solle dann gleich ein paar Sachen für ihn
mit einpacken. Große Erleichterung meinerseits…spätestens seit den fünf Monaten
Neonatologie sind Kliniken nicht meine Welt. Und dort zu übernachten ist für
mich eine Horrorvorstellung. Wenn ich müsste würde ich es tun – aber wenn ich
nicht muss, bin ich sehr froh.
Dann noch
meinen Vater anrufen: er musste bei Schulschluss an der Schule stehen und
Marvin abholen, ihm erklären das Jonathan in der Klinik sei. Ich würde mich
melden und Marvin dann später bei meinen Eltern abholen.
Danach
habe ich also alles gepackt, vor allem die Medikamente!, und bin losgefahren.
Nach 45 Minuten waren wir da und sind in die Kinderklinik gegangen. Wie
versprochen hatte unser Arzt uns schon angekündigt und auch erwähnt das wir
bitte NICHT im Wartezimmer sitzen sollten – also hat man uns in ein
Sprechzimmer gebracht.
Jonathan
meckerte ein bisschen und ich dachte das ich die Wartezeit ja damit überbrücken
könnte das ich ihm ein wenig Tee gäbe. Er trank…und trank…und trank…am Ende
waren es 170ml Tee, quasi in einem Zug. Das war das Vielfache von dem was er
sonst trank. Und in diesem Moment war mir klar: hier stimmt etwas ganz und gar
nicht!!
Der Arzt
kam und ich schilderte ihm die Situation. Er stellte Fragen und machte sich
Notizen. Begutachtete Jonathan und nahm ihm schließlich Blut für ein Blutbild
und eine BGA (Blutgasanalyse) ab. Das Ergebnis kam schon nach kurzer Zeit:
Jonathan war immens dehydriert und benötigte SOFORT eine Infusion. Also SOFORT.
Ein paar Stunden später…und es wäre nichts mehr zu machen gewesen.
Vielleicht
wäre ein gesundes und normal gewachsenes Kind nach einer Nacht nicht so
ausgetrocknet, aber Jonathan ist eben anders. Viel kleiner und nicht so
widerstandsfähig. Zudem leidet er an diesem unkontrollierten Elektrolytverlust
der das Ganze nicht besser macht.
Wir
wurden also auf Station geschickt. Dort legte man Jonathan einen Zugang in den
Arm und er bekam Kochsalzlösung sowie ein Medikament gegen Übelkeit/Durchfall. Weiterhin
wurde eine Stuhlprobe genommen um auf Rota-Viren zu testen.
Ja: da waren
wir nun. Im Krankenhaus. Schon wieder. Ich konnte es nicht fassen. Wenigstens
hatten wir ein Einzelzimmer. Immerhin!!
Ich habe
ein wenig mit Jonathan gespielt und dann hat er geschlafen: klar, er war müde
weil er in der Nacht kaum zur Ruhe gekommen war. Irgendwann kam dann mein Mann und hat „übernommen“.
Ich bin nach Hause gefahren um mich um Marvin zu kümmern.
Die
Wohnung fühlte sich genauso leer und still an wie ich mir das gedacht hatte.
Und Marvin hatte Angst, auch das hatte ich vorausgesehen. Wie ging es seinem
Bruder? Würde er wieder nach Hause kommen? Dieser Abend war nicht schön…
Mein Mann
meldete sich zwar und sagte das es Jonathan so weit gut gehe: er habe noch
Durchfall, aber sich nicht mehr erbrochen und sei ansonsten recht fit. Die
Angst blieb trotzdem.
Am
nächsten Morgen bin ich in die Klinik gefahren, auch an diesem Tag würde Marvin
nach der Schule zu seinen Großeltern gehen. Mein Mann erzählte das die Nacht
recht ruhig gewesen sei, Jonathan gehe es soweit gut. Die Ärzte würden Tests
machen um zu schauen warum Jonathan diesen Brech-Durchfall hatte. Und ansonsten
würde mein Mann jetzt gerne heimfahren und duschen - denn die Dusche in der
Klinik…war nicht besonders hygienisch. (Wir haben im Nachgang dieses Klinikaufenthaltes
der Klinikleitung eine Beschwerde per Email zukommen lassen, mehr möchte ich zu
diesem Thema an der Stelle nicht erläutern.) Wir vereinbarten dass ich tagsüber
bei Jonathan bleiben würde, dann könnte mein Mann auch noch ein wenig arbeiten,
er würde gegen Abend wiederkommen.
Also habe
ich Jonathan gekuschelt, mit ihm gespielt, ihn gefüttert: er aß recht gut.
Hatte aber immer noch Durchfall. Sehr stark sogar. Ansonsten war er fit.
Nach dem
Mittagessen wurde Jonathan müde. Da wir ein Einzelzimmer hatten stand das
Klappbett meines Mannes noch aufgeklappt im Raum und ich habe mich mit Jonathan
zusammen zu einem Mittagsschlaf hingelegt. Mit ihm im Arm habe ich die nötige
Ruhe gefunden um zu schlafen.
Doch auf
einmal wurde ich wach weil jemand den Raum betrat. Ich blickte verschlafen hoch
und sah…den Chirurgen der Jonathans Hodenhochstand festgestellt und uns auf der
Intensivstation besucht hatte. „O, hallo! Was machen SIE denn hier?“ fragte ich
ihn. Und er sagte: „Ich wollte Sie nicht wecken, aber ich habe gelesen das
Jonathan schon wieder hier ist und wollte nach Ihnen sehen.“. Er ist einfach so
ein toller Mensch!! Wir haben geredet und er meinte das wir in Kontakt blieben
wegen der geplanten OP: wir müssten ja erst schauen was nun bei den Tests
herauskäme und wie es Jonathan in den nächsten Tagen gehen würde – eventuell
müssten wir die OP auch verschieben.
An diese
Möglichkeit hatte ich noch gar nicht gedacht…
Nachmittags
kam eine Schwester zu uns und verkündete das die Ergebnisse der Tests vorlägen:
Jonathan habe den Rota-Virus. Ich konnte es nicht fassen! Das war doch ein voll
schlimmer Virus, oder?? Aber die Schwester beruhigte mich: ganz ohne sei es für
Personen mit schlechtem Immunsystem natürlich nicht, aber Jonathan sei ja schon
unter Beobachtung. Man könne regelmäßig kontrollieren dass er nicht dehydriere.
ABER: wir stünden nun unter „Quarantäne“. Heißt: beim Betreten und Verlassen
der Station mussten wir uns EXTREM gut die Hände und Unterarme desinfizieren.
Wenn wir auf Station waren durften wir nicht ins Gemeinschaftszimmer für die
Eltern gehen, alles was wir benötigten würden uns die Schwestern bringen. Okay:
das hatte ja ein wenig den Anschein von Luxusurlaub! 8o))
Und wie
lange würden wir hier bleiben müssen?, habe ich sofort gefragt. Denn mit solch
einem Virus war doch vermutlich wieder ein längerer Krankenhausaufenthalt
vorprogrammiert!! Aber die Schwester beruhigte mich: nur ein paar Tage bis der
Durchfall besser sei, dann könnten wir gehen. Ansteckend sei Jonathan nur
während des akuten Durchfalls, danach nicht mehr.
Diese
Aussagen beruhigten mich. Durchfall, Erbrechen…Flüssigkeitsverlust und das in
Verbindung mit dem ohnehin bestehenden Elektrolytverlust: da waren schon Ängste
hochgekommen…solche Erkrankungen haben schon mehr als ein Kind mit MOPD I das
Leben gekostet! Doch was die Schwester sagte hörte sich vernünftig und
beruhigend an…dann wollten wir mal die „paar Tage“ in Angriff nehmen bis wir
wieder nach Hause konnten!!